Archiv für August 2006

Eine Runde Dankbarkeit

Samstag, 5. August 2006

Für Gesundheit:
Dass meine Gesundheit mir erlaubt, stundenlang die Isar entlang zu laufen, unbeschwert Sex zu haben, fröhlich zu sein, zu essen, was ich möchte, Treppen zu steigen, zu reisen, anzufassen, was ich möchte.

Für Liebe:
Dass ich die Liebe empfinde und bekomme, die mir diese Partnerschaft ermöglicht, dass mir Freundschaften möglich sind, die mein Leben bereichern.

Für Freiheit:
Dass in der Gesellschaft, in der ich lebe, Menschenrechte gelten, dass Grundrechte wie das auf Abtreibung durch sind (allein die regelmäßige Lektüre bei feministing macht mir klar, wie wenig selbstverständlich das ist).
Dass ich genug Geld verdiene, um unbeschwert leben zu können und um bei Zahnproblemen vielleicht den neuen Wintermantel abschreiben zu müssen, nicht aber das Kalbfleisch für Vitello tonnato.

Für Sicherheit:
Dass ich einfach aus dem Haus gehen kann, um dieses Kalbfleisch zu kaufen, ohne Angst zu haben, dass mir eine Rakete auf den Kopf fällt oder ich überfallen werde.

Am Rest arbeiten wir.

(Klargeworden unter anderem bei der Lektüre dieser Geschichte.)

Dentale Premieren

Freitag, 4. August 2006

Ja, schaun’S, Sie werden jetzt gleich sagen: „Und? So ist das halt mit Zahnbehandlungen.“ Aber Sie müssen verstehen: Ich kannte das bislang nicht! Für mich ist das neu, außergewöhnlich, aufregend. In der NZZ am Sonntag stand zum Beispiel ein bodenloser Artikel (leider nicht online, vielleicht erinnert mein Leser „Burgdorfer“ zumindest noch den Namen des Autors?) eines Redaktors in später Midlife-Crisis, der soeben durch massive Reduktion der Kalorienzufuhr zum ersten Mal in seinem Leben viele Kilo abgenommen hatte und darüber geradezu missionarisch schrieb. Er las sich wie eine handelsübliche 12-Jährige nach dem ersten gelungenen Diätversuch: Genauso enthusiasmiert und mindestens ebenso bar jeder ernährungswissenschaftlichen Ahnung. Hatte die Schlussredaktorin Urlaub? In einem Blog hätte man den Schmarrn Detail für Detail auseinander genommen.

Worauf ich hinaus will:
Wurzelbehandlung links – check
Provisorische Füllung links und rechts – check
Aussicht auf Teilkrone rechts – check
Aussicht auf Kostenvoranschlag – check

Zwei Stunden in den durchaus angenehmen Behandlungsräumen verbracht, gestaunt, wie lange Nadeln in einen Zahn passen, mich zwischendurch mit Herrn Arzt über berufliche Erfüllung ausgetauscht. Zudem habe ich gelernt, dass die Betäubungsspritze Adrenalin enthält (bisher immer als unnötig abgelehnt: „Aber Herr Zahnarzt, Sie wollen mir doch nicht etwa weh tun?“, heute aufgezwungen bekommen: „Das ist am Nerv; ich habe keine Lust, Sie von der Decke zu kratzen.“). Mir war schwindlig und zittrig geworden; Herr Zahnarzt erklärte das mit dem eben gespritzten Adrenalin, das die Blutgefäße verschmälere.

Mittlerweise ist die Wirkung der Spritze beendet, ich habe wieder leichte Schmerzen, konnte aber bereits Hüttenkäse essen – in Miniportionen durch den schmalen Spalt zwischen oberen und unteren Schneidezähnen geschoben, den mir die schmerzenden Kiefergelenke momentan ermöglichen. In zwei Wochen geht’s weiter.

Vom Leben betrogen

Donnerstag, 3. August 2006

Jeder Mensch, so behaupte ich, hat ein paar Abmachungen mit dem Leben. Als Kind hießen die noch: „Wenn ich heute in Bio nicht abgefragt werde, trage ich daheim freiwillig den Müll raus.“ Später möglicherweise: „Wenn er sich von mir zum Frühstück einladen lässt, bin ich morgen weniger grässlich zu meiner WG-Mitbewohnerin.“

Eine meiner Abmachungen mit dem Leben hieß unausgesprochen: „In diesem Haushalt bin ich die mit dem kaputten Rücken, dafür habe ich erstklassige Zähne.“ So ging das viele Jahre lang: Der Mitbewohner machte eine umfangreiche Zahnreparatur nach der anderen durch, konnte aber stundenlang auf dem Boden liegend korrigieren oder in anatomisch schier unmöglichen Positionen schlafen – völlig ohne Folgen. Ich hingegen war alle eineinhalb Jahre vor lauter Rückenschmerzen unbeweglich, absolvierte aber meine jährlichen Zahnarzt-Termine innerhalb von Minuten und in erster Linie scherzend über meine mangelnde Lukrativität.

Bis gestern. Abends war ich mit einer Freundin aus zum Essen, kaute ohnehin schon seit Tagen auf der rechten Seite, weil der Backenzahn links mit der schicken neuen Kunstofffüllung beim Kauen eher schmerzte. Zum Nachtisch gab es Zitronensorbet – das mich durch ungeklärte Umstände (Sorbet?!) ein Drittel rechten oberen Backenzahns kostete. Ein durchaus gesund aussehendes aber völlig den Anschluss verloren habendes Stück Zahn, zum Teufel. Zum Ausgleich schmerzt heute die linke Seite auch ohne Kauen deutlich, die kann ich nicht nutzen. Zwar habe ich gleich morgen früh einen Reparatur-Termin, fürchte aber, dass das lediglich der Anfang einer langen Kette von Eingriffen in meine Beißwerkzeuge ist, wie ich sie vom Mitbewohner kenne. Brücken. Kronen. Spritzen. Implantate. Kostenvoranschläge. Wurzelbehandlungen. Provisorien. Füllungen.

Ich fühle mich sehr jämmerlich. Und betrogen. Außerdem schlägt mir bereits ein einziger Tag Brei-Ernährung aufs Gemüt.

Vielleicht hätte ich nicht durch regelmäßiges Training in der Muckibude die Rückenprobleme überwältigen sollen. Ich habe ganz offensichtlich das kosmische Gleichgewicht gestört.

Methode Gernstl

Mittwoch, 2. August 2006

Gerade wieder festgestellt: Bei meinen Recherchen zu Menschengeschichten sind es nicht die vorbereiteten Interviewfragen, die das eigentlich Interessante zutage fördern. Es ist immer, immer die Phase, in der ich den Stift bereits weggelegt habe und mal nichts sage, in der der Mensch kurz seufzt und dann eher in sich selbst hinein die Dinge erzählt, die später die eigentliche Geschichte ausmachen werden.
Und ich sage dann, zu Ehren Gernstls: „A so.“

(oder: Warum mich Interviews im Radio oder Fernsehen oder gar Talk-Shows meist wenig interessieren.)