Archiv für September 2006

Samstägliche Blicke auf meinen Wecker

Samstag, 16. September 2006

2.30 Uhr: (Beim Abräumen der Reste vielfältiger Feinkost, die ich in den Stunden zuvor mit einer schönen, klugen Freundin niedergemacht hatte.) Hoffentlich war das nicht das eine Glas Rotwein zu viel. Ach nee, ich bin nur angesäuselt, kann ja noch problemlos räumen. Lieber noch einen zusätzlichen halben Liter Wasser trinken. Was freue ich mich aufs Laufen an der Isar morgen nach zwei Wochen Pause!

6 Uhr: Hachja, der Arbeitsrhythmus. Kann ich ja kurz aufs Klo gehen. Das Mini-Kopfweh ist hoffentlich nur Dehydrierung. Darauf ein großes Glas Wasser.

7.30 Uhr: Schon wieder aufs Klo? Na gut. Holla, das Kopfweh hat sich ausgebreitet.

9 Uhr: Fünfeinhalb Stunden Schlaf können ja mal reichen. Habe ich nach dem Laufen und Frühstücken auch noch genug Zeit einzukaufen. Gleich mal ein großes Glas Wasser gegen dieses Kopfweh und die dumpfe Übelkeit. Morgemantel anziehen, Brille aufsetzen. Wenn ich auf dem Weg von der Küche ins Wohnzimmer den Blick nicht vom Boden hebe, wird der Schwindel vielleicht besser. Oder ich nehme doch lieber hier gleich rechts die Abzweigung zurück in mein Schlafzimmer und lege mich wieder hin. Vorher brav das Wasser austrinken.

10 Uhr: Nur noch ein bisschen schlafen. Marschmusik live in Hörweite? Das Oktoberfest wird doch nicht schon heute losgehen?

11 Uhr: WAS?! Ah, der freundliche Laubsauger des greisen Hausmeisters. Ich mach mal kurz die Balkontür zu. Wer hat meine Stirn in eine Schraubzwinge gelegt? Ein einfacher Klogang müsste doch auch mit geschlossenen Augen funktionieren. Oh, der Mitbewohner hat Blumen ins Bad gestellt, einen großen Strauß Lilien. Gut, dass ich die Augen doch noch geöffnet habe. Da begegnet er mir auch schon selbst und informiert mich, dass er gleich für ein paar Stunden in die Arbeit geht. Ich leg mich mal wieder hin.

12 Uhr: Bitte aufhören dieses Kopfweh, bitte, bitte. Und die Übelkeit gleich mitnehmen. Das Laufen an der Isar kann ich wohl knicken.

13.30 Uhr: Ich steh einfach nie wieder auf. Nausea ist eines der englischen Wörter, die einen Sachverhalt so viel besser treffen als alles, was ich im Deutschen oder Spanischen kenne. Wenn ich aber heute nicht noch einkaufen gehe, gibt es am Montag kein Geburtstagsgeschenk für den Mitbewohner.

14.30 Uhr: Kurzer Klobesuch. Jetzt ist eh schon alles wurscht. Wieso trinke ich auch abends mehr als ein Gläschen Alkohol und lasse mir den gesamten folgenden Tag stehlen, wenn ich die möglichen Folgen oft genug erlebt habe? Ich versuche es mal mit Aufstehen. Wenigstens Geschenkebesorgung muss drin sein. Und eine Stippvisite in meinem Blog. Wenn ich sofort das verschwitzte Bettzeug abziehe und die Überzüge in die Waschmaschine stecke, gibt es keinen Weg zurück.

Happy Clappy in der fränkischen Diaspora

Donnerstag, 14. September 2006

happy_clappy_1982.jpg

(1982. Ich habe den Herrn rechts lieber mal anonymisiert; ich wette, er schaut heute noch genau so aus und wäre wiedererkennbar.)

Wie so viele Religionsgegner habe ich eine religiöse Vergangenheit. Und zwar ziemlich aktiv. Das Foto oben zeigt mich bei einer dieser Aktivitäten: Im Alter von 15 bis 17 tingelte ich sonntags mit einer Kirchenklampfenband über vor allem fränkische Dörfer und machte Musik. Dauerhafte Folge: Ich kenne mich in der katholischen Liturgie aus (das Drehbuch für katholische Zeremonien). Und ich kriege Krampfanfälle beim Erklingen ökumenischer Gassenhauer wie „Ins Wasser fällt ein Stein“ oder „Liebe ist nicht nur ein Wort“ (Sie kennen Michael Mittermeiers „Kumbaya“-Nummer?).

Im Nachhinein weiß ich ja auch nicht so recht, wie ich da mit 15 reingeraten bin. Einflussfaktoren, die mir einfallen:
– Ich war bei den Pfadfindern meiner Pfarrei, und der Bassist sowie der Gitarrist der Band waren Pfadfinder eines befreundeten Stammes – doch, das heißt so.
– Der Leiter der Band war Pater bei den örtlichen Redemptoristen und Religionslehrer in meiner Schule. Seinem Kloster war ein Internat angeschlossen, in dem regelmäßig Besinnungstage für Jugendliche stattfanden, an denen wiederum ich mit Freundinnen teilnahm. Außerdem rekrutierte die Band aus dem Internat den Schlagzeuger, einen hin-und-wieder Saxofonisten sowie die Knabenschola.
– Ich war in den Keyboarder verliebt, der zwei Klassen höher in dieselbe Schule wie ich ging (nicht der Herr auf dem Foto links; das ist mein damaliger Griechisch-Nachhilfelehrer).
– Der Redemptoristenpater hatte mich als Querflötistin und Sängerin hinzugebeten.
– Für meine superbehüteten Ohren klangen „Bandprobe“ und sonntägliche Fahrten auf die Dörfer nach verlockenden Abenteuern. (Nie vergessen: I was born uncool.)

Mit unserer Musik mischten wir kleine Landgemeinden auf, viele davon im diasporischen, weil überwiegend evangelischen Franken. In den meisten waren bis in die 80er Jahre noch nie Jugendgottesdienste gehalten worden. Wir spielten immer zur besten Sendezeit, sprich vormittags zur Sonntagsmesse. In meiner Erinnerung waren diese Kirchen allesamt barock, unbeheizt und eine akustische Katastrophe. „Nicht zu laut!“ war der wichtigste Hinweis des Pfarrers, weswegen das Schlagzeug ausschließlich mit Besen bedient wurde. Im Anschluss luden uns entweder der Pfarrer oder Gemeindemitglieder zum Mittagessen ein; es gab immer Schweinsbraten mit Glöß (fränkisch für „Knödel“).

Doch erst mal mussten wir ja in die zu beschallenden Gemeinde kommen. Da keiner von uns Musikanten ein Auto hatte, fuhren wir gemeinsam im VW-Bus des Internats, der Pater am Steuer. Der Mann hatte möglicherweise seinen Führerschein in der Weihnachtslotterie des Vatikans gewonnen, fuhr auf jeden Fall wie eine gesengte Wildsau. Eine Mitfahrt auf dem vorderen Mittelsitz war eine echte Mutprobe: Da ein VW-Bus keine Motorhaube hat, sah man der Stoßstange des Vorderwagens, der knapp verpassten Hauswand, der Leitplanke, kurz: dem Tod direkt ins Auge. Zudem betete der Pater gerne mit uns weiteren Insassen während der Fahrt Rosenkranz oder hob zu singen an, die meiste Zeit mit Blick nach hinten, um seinen Mitfahrern herzerfrischend und beseelt zuzulächeln. Ich hatte auf jeder Fahrt die Vision einer himmlischen GSG9 aus gepanzerten Engeln, die losgeschickt wurde, sobald sich der VW-Bus in Bewegung setzte. Anders konnte ich mir nicht erklären, dass der Pater nie verunfallte.

In der Gastkirche angekommen, bauten wir zusammen „die Anlage“ auf; Strom gab’s meistens aus der Sakristei (der Umkleide). Bei dieser Gelegenheit entdeckte ich meine Begabung, über Kabel zu stolpern, selbst wenn ich sie selbst gezogen hatte. Was schlecht war, denn diese Kabel waren teuer. Als mein Vater, Elektriker und damit Kabel-Heavy-User, erfuhr, wie viel diese Anlagenkabel kosteten, war er sicher, dass man uns über den Tisch zog. Er ließ sich von mir eines mitbringen, besorgte meterweise Billigkabel sowie Stecker und baute uns welche nach. In der darauf folgenden Jugendmesse, ich glaube im idyllischen Roßtal, lernten wir dann alle, warum die Kabel sonst so teuer waren: Die handgemachten spielten uns Radiosender auf unsere Verstärker. Wir traten an diesem Sonntag lieber unplugged auf (und wussten noch nicht mal, dass das so hieß).

Ein paar Mal nahm mich der Pater auch einzeln zu so genannten Besinnungsabenden in irgendwelche entlegenen Gemeindehäuser mit, bei denen ich ihn und seine Wandergitarre mit Flöte und Stimme unterstützte. Wenn ich mich recht erinnere, versuchte ich ihn auf einer dieser Fahrten zu einer Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau in der katholischen Kirche zu bringen. Doch bereits meine Beobachtung, dass den Frauen in der Kirche nur die Drecksjobs überlassen würden und keine in irgend einer Weise entscheidende Position, brachte ihn derart aus der Fassung, dass ich es bleiben ließ.

Mein Engagement in Sachen Happy Clappy tröpfelte aus, als ich zum einen aufs Abitur zusteuerte, zum anderen Mitglied eines sehr rührigen Jugendchores wurde.

(„Mehr Respekt vor Gott“, hörte ich Dr. Joseph Ratzinger am Sonntag in der TV-Berichterstattung fordern, als ich nicht flink genug wegschaltete. Diese Forderung ist zwar genau sein Job, aber: Wie bitte? Den Herren, die am 11.9.2001 fast 3000 Menschen im World Trade Center ermordeten, fehlte es sicher nicht am Respekt vor Gott. Auch nicht den IRA-Bombern, den Bahn-Attentätern vor zwei Jahren in Madrid, der italienischen Mafia oder George W. Bush. Vielleicht muss man ja wie ich ungläubig sein, um in erster Linie mehr Respekt vor den Menschen einzufordern?)

Reflexalberei

Donnerstag, 14. September 2006

Ätznatron: ägyptischer Pharao der 18. Dynastie.

(Ohne Probleme gleichzeitig möglich: grottenüble Laune.)

Applaus, Frau Speidel

Mittwoch, 13. September 2006

Sehe gerade im Fernsehen, dass Jutta Speidel sich erlaubt hat zu altern. Ganz viele Falten, erschlafftes Kinn, Bewegungen voll Energie, die Stimme nicht einen Monat älter als in Drei sind einer zu viel – ich kann gar nicht wegschaun. Klasse!

Auf dem Heimweg

Dienstag, 12. September 2006

s_bahnhof.jpg

Und irgendwo in einem Blog oder bei flickr wird gerade die Nahaufnahme eines S-Bahn-Mülleimers hochgeladen, schätze ich.

Geiz killt Sozialstaat

Dienstag, 12. September 2006

Ich find ihn weiterhin klasse, unseren Sozialstaat. Klar fallen mir viele Ecken und Winkel ein, an denen man ihn verbessern könnte. Aber ich bin mir sehr bewusst, dass ich bei Hautkrebs nicht erst mal auf mein Konto schauen muss, dass ich mich nach einem Zusammenbruch meines Arbeitgebers nicht mit dem Hut in die Sendlinger Straße stellen muss, dass ich selbst bei völliger Arbeitsunfähigkeit nicht meinen Eltern den Lebensabend belasten muss.

Das Bewusstsein über diesen Sozialstaat macht mich sehr wütend auf seine Feinde – und das sind nach meiner Überzeugung in erster Linie die Ich-bin-doch-nicht-blöd-Schnäppchenjäger. Ich habe mich hier schon mal darüber ausgelassen. Sehr viel sauberer und ausführlicher hat das Gabor Steingart bei Spon getan: „Dolchstoß durch den Konsumenten.“

Wir nehmen gern die getrennten Betriebstoiletten in Anspruch, die unsere Arbeitsstättenverordnung für Mann und Frau vorsieht, akzeptieren die gesetzlich festgeschriebenen Urlaubstage, den Kündigungs- wie den Krankheitsschutz, und wenn alles schief läuft im Leben, greifen wir auf die Sozialhilfe zurück, die sich samt Wohnungs- und Kindergeld bis auf die Höhe eines Verkäufergehalts summieren kann.
(…)
Man kann den Sozialstaat einfach ignorieren, zum Beispiel dadurch, dass man beim sozialstaatsfreien Anbieter in Asien bestellt. Das ist fast automatisch ein Votum gegen getrennte Toiletten und ein Plädoyer für niedrigere Löhne.
(…)
Wo auch immer ihr politisches Herz schlägt, links oder rechts, kaum dass die Kunden den Supermarkt oder das Kaufhaus betreten, sind sie nicht bereit, einen Sozialaufschlag zu zahlen. Der normale Käufer bei Karstadt, Metro und Lidl ist ein regelrechter Globalisierungsfanatiker, der Preis und Leistung vergleicht, aber nicht Nationalitäten und ihre sozialen Sicherungssysteme. Er will Rabatte bekommen und nicht Aufschläge zahlen. Der gute Deal interessiert ihn, nicht das schmutzige Geschäft, das ihm irgendwo auf der Welt vorausgegangen ist.
(…)
Mit jedem Kauf eines fernöstlichen Produkts erteilen die Käufer dem heimischen Sozialkartell und seinen Lieferbedingungen eine Absage. Sie vergleichen Preis und Leistung des Produkts, aber sie bedenken nicht Preis und Leistung der das Produkt erzeugenden Nation. So wurden die Konsumenten in allen Ländern des Westens zu Vollstreckern der Globalisierung. Im Weltkrieg um Wohlstand sind sie die wichtigsten Kombattanten der Angreiferstaaten. Wenn ihnen keiner in die Arme fällt, vernichten sie mit ihrer Kaufentscheidung kühlen Herzens die heimische Industrie. Denn fast alles, was man kaufen kann, kann man mittlerweile auch ohne diesen Zusatzstoff erstehen, den wir Sozialstaat nennen.

Eigentlich lauter Binsen und Banalitäten, möchte man meinen. Anscheinend aber für die meisten Menschen, die vom Sozialstaat profitieren, noch zu kompliziert. Parallelen zum Billigpreis-Nährboden für Gammelfleisch sehen sie vermutlich auch nicht.

Nachtrag: Bin ja selbst auch kaum besser, fällt mir da ein. Aber da war ich mit der Tüte voll H&M-Zeugs (fünf Teile für etwa 70 Euro, Schnäppchen!!) längst zuhause, als mir das klar wurde.

Ich und Lyrik – ein Klagelied

Freitag, 8. September 2006

Beichtzeit: Ich kann Lyrik nicht.
Zwischen Gedichten und mir klaffen uneinsehbar tiefe Gräben, über die mich allerhöchstens eine liebende Hand führen kann. Allerdings auch das nur, wenn sie mir vorher die Augen verbunden hat.

Für dieses Unverstehen kann ich niemand Drittem die Schuld geben: Ich erinnere mich deutlich an meine erste Abwehrreaktion Lyrik gegenüber. Da hatte ich gerade Lesen gelernt und den Sammelband von James Krüss Das Buch der sieben Sachen geschenkt bekommen (befindet sich immer noch in meinem Besitz). Ich las gefesselt die Geschichten, freute mich an den Illustrationen (die mir bis heute aufs Lebendigste im Gedächtnis sind) – und überblätterte schon nach ein, zwei vergeblichen Anläufen alles, was in einer schmalen Spalte, linksbündig, Flattersatz daher kam (niemand fühlte sich je von Stanley E. Fishs Aufsatztitel „How to recognize a poem when you see one“ so stark angesprochen wie später ich). Ich weiß auch genau, was diesen Langeweilereflex auslöste: Texte in dieser äußeren Form erzählten keine Geschichten – und wenn sie es doch taten, dann auf eine bemühte und alberne Art, die es in Prosa nicht gebraucht hätte.

Das blieb so, mein ganzes Leben. Ein früher Meilenstein in meiner Lesegeschichte waren Kiplings Dschungelbücher, in einer zauberhaft illustrierten Jugendausgabe. Da die Gedichte und Lieder thematisch eingebunden waren, überflog ich sie zumindest, aber ich erinnere mich deutlich an das gierige Umblättern und die folgende Enttäuschung: „Äh, bloß ein Gedicht.“

Dass meine Mutter von Schillers Lyrik schwärmte und klar signalisierte, dass Gedichte besonders wertvolle Kunst seien, kann mich auch nicht verdorben haben. Dasselbe tat sie nämlich mit Theaterstücken, ohne dass ich je Probleme mit Dramen oder Theater an sich gehabt hätte.

Nun habe ich ja begeistert Literaturwissenschaft studiert. Darin bemühte ich mich ehrlich und redlich um einen Zugang zu Gedichten. Doch bei dieser Gelegenheit erkannte ich, dass ich Gedichte einfach nicht verstehe. Genauer: Ich sehe sie nicht, mir entgehen ganze Zeilen. Bei John Donne oder Milton versuchte ich mir das damit zu erklären, dass die Sprache durch ihre Ferne von meiner Gegenwart eben sehr verschlüsselt sei. Aber man legte mir auch Lyrik in meiner Muttersprache und aus meiner Zeit vor, die sich vor meinen Augen in frei schwebende Wörter auflöste. Ein Semester lang befasste ich mich mit amerikanischer Lyrik des 20. Jahrhunderts. Da das Seminar in einer britischen Hochschule stattfand, umfasste es eine motivierend große Fülle Materials. Zumindest boxte ich mich durch die Wörter einer solchen Menge Lyrik, dass ich „Howl“, ein bisschen Kerouac und Creeley sowie einen ganzen Schwung T.S. Eliot erkenne, wenn ich’s sehe – aber nicht etwa wegen eines Zugangs zu den Originaltexten, sondern wegen der zugehörigen und sehr spannenden Ausführungen des exzentrischen Dozenten (wieder Prosa).

(Exkurs: Das ist nicht die einzige Art von Fiktion, die mir aus zweiter Hand lieber ist als direkt. Wenn mein Freund Frank mir aus den Romanen von Terry Pratchett erzählt, finde ich sie klasse. Die Romane selbst langweilen mich. Selbiges bei der Fernsehserie Simpsons.)

Der Mitbewohner, ein Lyrik-Liebhaber, hat mich durch manches Gedicht geführt, das mir zunächst nur unverbundene Wörter war – auch das fand ich schön. (Und muss immer an Glenn Close als Jenny Fields im Film Garp und wie er die Welt sah denken, die sich von ihrem Sohn seine Kurzgeschichte erklären lässt und dann erfreut sagt: „Wenn es das bedeutet, dann gefällt es mir.“)

In meiner Zeit als Dozentin für englische Literaturwissenschaft musste ich meine Einführungskurs-Studenten natürlich auch zu Lyrik bringen. Die Vorbereitung dieser Stunden holte ich komplett aus Büchern, selbst konnte ich sie mir nicht erarbeiten. Ich fühlte mich wie eine Betrügerin. In meiner eigenen Magisterprüfung hatte ich mich geschickt durch Spezialisierung auf Dramatic Monologue durch den Lyrik-Part gemogelt. Und Shakespeares Sonette gehen eh immer.

Ich empfinde meine Lyrikstörung als echtes Gebrechen, als Lücke in meiner Wahrnehmungsfähigkeit. Weil das so ist, werde ich manchmal böse auf Lyrik und schimpfe, warum die Schreiberin nicht gleich ein Bild gemalt hat, wenn sie mir ganz offensichtlich gar nicht sagen will, was sie meint. Dann erinnere ich mich an die Podiumsdiskussion, in der der Romanschreiber Robert McLiam Wilson (ob der nach seinem wundervollen Eureka Street je wieder etwas zustande bringt?) die feenhaft durchscheinende irische Lyrikerin Medbh McGuckian bearbeitete, warum sie den Blödsinn mit den Gedichten nicht endlich sein lasse und mal was Richtiges schreibe, zum Beispiel einen Roman.

Glücklicherweise fällt mir dann ein, dass ich Lyrik ja doch ein bisschen kann. Manchmal. Wenn es auf Spanisch ist. Federico García Lorca zum Beispiel, der immer zu mir gesprochen hat. Oder Lateinamerikaner wie Nicanor Parra. Pablo Neruda wieder gar nicht, zu manieriert (oder empfinde ich das erst so, seit ich ihn seine Gedicht selbst vorlesen hörte?). Dann aber auch wieder deutsch Robert Gernhard, der sich bezeichnenderweise auch zeichnend ausdrückte.