Archiv für Oktober 2006

Waffenstillstand im Krieg gegen den eigenen Körper

Dienstag, 17. Oktober 2006

Frau Klugscheisser (das schreibe ich bloß wegem Internet nicht mit ß) rief zu einer Herbstaktion auf, in der sie fragt: Mit welchem eigentlich als hässlich verhassten Körperteil haben Sie sich mittlerweile angefreundet?

Ich wollte erst abwinken, weil ich ein Leben damit verbracht habe, möglichst detailliert und begründet fast alles an meiner physischen Erscheinung falsch zu finden (sprich: eine Frau zu sein). Da wüsste ich ja gar nicht, wo ich anfangen soll.
Doch wenn ich in mich hinein horche, stelle ich fest: Das liegt hinter mir. Ich bin ganz ehrlich der Meinung: Dieser mein Körper passt schon so. Er hat nicht im Entferntesten Idealform oder -beschaffenheit, aber: Na und?
Ich wünschte nur, an diesem Punkt wäre ich schon vor 20 Jahren gewesen.

Also kann ich gelassen nach einer der abstruseren Zielscheiben meines überwundenen körperlichen Selbsthasses kramen: meine großen Zehen. Peter Praschl hat vor Monaten für das Süddeutsche Magazin aufgezählt, auf welche überraschende Details ihres Körpers Frauen in seinem Blickfeld ihren Selbstekel so richten, und ich muss zugeben: Selbst ich wäre nicht darauf gekommen, die Gewebefalte zwischen Achsel und Busen fett und eklig zu finden – Respekt. Aber große Zehen standen nicht mal auf Herrn Praschls beeindruckender Liste.

Bis vor kurzem habe ich meine großen Zehen nicht nur gering geschätzt – ich habe sie verachtet. Ich fand sie nämlich nicht etwa hässlich, sondern vulgär. Sie sehen aus wie große Knubbelnasen, diese Zehen, mit einem Schwung nach oben. Sie sind der deutlichste Hinweis auf den Genpool, dem ich entstamme, und der sich vor allem aus Bauern und einfachsten Handwerkern speist. Sie verkörperten für mich immer das genaue Gegenteil von Eleganz in ihrer Derbheit, Blödheit, Plumpheit – Vulgarität. Genau so müssen die Zehen ausgesehen haben, dich sich die eine Stiefschwester Aschenputtels abhacken musste, um in die feinen Tanzschühchen zu passen. Blärch.

Konsequenterweise mied ich jahrelang offene Schuhe, die diese verhassten großen Zehen bloßlegten. Dabei war es nicht mal der eigene Blick von oben auf meine Füße, den ich als so schlimm empfand, sondern was mir Spiegel entgegenwarfen: Von vorne oder von der Seite ein Epitom des Prolltums.

Doch das ist erst mal vorbei. Ich habe es geschafft, diese Körperteile in ein wohlwollenderes Körpergefühl zu integrieren. Diesen Sommer habe ich mir sogar richtige Sandalen gekauft, in denen meine großen Zehen deutlich zu sehen sind. Und es hat mir gar nichts ausgemacht.

Bullshit-Bingo in interner Kommunikation

Montag, 16. Oktober 2006

„Man muss die Leute dort abholen, wo sie sind.”

Könnte man nicht stattdessen einen gemeinsamen Treffpunkt ausmachen?

Hier ausgeliehen.

Marken-Bigotterie

Montag, 16. Oktober 2006

Einerseits weiß ich, wie Marken funktionieren und warum sie wirken – das gehört zu meinem Job. Zur Erklärung reicht eigentlich der bereits angesprochene Prada-Artikel aus der SZ-Wochenendbeilage. Darin kommt der Schlüsselbegriff „Lebensgefühl“ vor, und das erzeugen Marken durch einen sorgfältig generierten Mythos und das damit verbundene Wertesystem.

Auf derselben Seite liebe ich Mode als Kunstform. Ich finde es jede Saison wieder spannend, was sich die kreativen Köpfe der großen Häuser ausgedacht haben, welche Stoffe verwendet werden, welche Epochen und Themen durchscheinen. Auch schaue ich sehr gerne schön gekleidete Menschen an, freue mich an ihren Einfällen und an der Sorgfalt, mit der sie sich stylen. (Ein Herr hat aus dieser Freude ein Blog gemacht: Sie kennen The Sartorialist?)

Nur – andererseits hat weder das eine noch das andere mit mir persönlich zu tun. Während meine Mutter sich bis heute beim Anblick der Haute-Couture-Schauen ereifern kann: „Wer soll DAS bitte tragen?!“, sehe ich kaum einen Bezug zu meiner eigenen Kleidung. Bis in die Klamottengeschäfte meiner Reichweite sickert ohnehin höchstens mal eine Farbe, die auf dem Laufsteg zu sehen war.

Ebenfalls andererseits entferne ich – seit ich denken kann – Herstellerwapperl aus meiner Kleidung. Die sichtbaren, weil ich ohne Bezahlung nur in Ausnahmefällen Werbung laufe. Die innen liegenden, wenn sie kratzen oder das Kleidungsstück verformen. Gestickte Herstellernamen trenne ich auf, über die unentfernbaren Logos auf Sportbekleidung ärgere ich mich. Vielleicht bin ich einfach nur sehr wählerisch, womit ich mich identifizieren lasse; eine Kleiderfabrik gehört jedenfalls nicht dazu, mögen ihre Produkte noch so exklusiv und teuer sein. Nicht mal mit dem Boykott derselben lasse ich mich identifizieren – ich fand es faszinierend, wie viel Energie mein sechs Jahre jüngerer Bruder seinerzeit investierte, bestimmte Marken nicht zu tragen.

Und so gerne ich wohlgekleidete und elegant / kreativ gestylte Menschen ansehe – wenn den Mittelpunkt eine Tasche, Brille oder Jacke mit einem riesigen Herstellernachweis bildet, sehe ich nur noch eine unpersönliche Litfasssäule.

Antiquarische Kleidung ist etwas Anderes: Die 50 Jahre alte Kostümjacke mit kratzigem Mohair aus dem längst verblichenen Modehaus Feldmann in meiner Geburtstadt trage ich sehr gerne mit Feldmann-Etikett im Innenfutter. Es gehört zur Geschichte, die dieses Kleidungsstück erzählt. Ebenso ginge es mir mit maßgeschneiderten Einzelstücken (kommt schon noch): Darin sähe ich das Wapperl des Designers als Handwerker-Signatur.

(Zum Film nochmal: SZ-Autorin Kiani muss einen anderen gesehen haben als ich. Mir ist im Gegensatz zu ihr sogar besonders aufgefallen, dass die Runway-Chefredakteurin Miranda keineswegs als willkürliche Sadistin dargestellt wurde, sondern von einem übermenschlichen Qualitätsanspruch getrieben. In ihrem Job ist sie derart gut, dass ihre Umgebung ihre soziale Inkompetenz in Kauf nimmt. Wäre ich nicht so ein gefallsüchtiger Feigling, könnte ich ihr ähneln.)

The Kaltmamsell wears Prada

Sonntag, 15. Oktober 2006

prada.jpg

Na gut, sechs Jahre altes Prada. Bei Ebay gekauft. Und eigentlich Männermode. Aber das mit der Designermode wäre damit abgehakt, finde ich.
(Es geht um die Schuhe. Und der Film war genau das Richtige für Samstagnachmittag.)

Cooking with Feminists

Samstag, 14. Oktober 2006

cooking_feminists.jpg

(Klicken für Gucken)
Das wäre die erste Kochsendung, die ich regelmäßig anschauen würde.

via feministing, eh klar

Was beneide ich die englischsprachigen Feministinnen! Es gibt so viele Varianten des Feminismus, doch in Deutschland wird von außen nur eine gesehen, die von Alice Schwarzer in den 70ern (dass auch diese Dame sich weiterentwickelt hat, wird gerne ignoriert). Dabei ist zum Beispiel diese wunderbar geschriebene, literarische Vision von Herrn Mek auch feministisch. Und auch in Deutschland gibt es eine feministische Strömung, die das Feiern des weiblichen Körpers in all seinen Varianten für frauenbefreiend hält. (DIIITAAAAA!)

In England / Kanada / USA gibt eine Menge Frontfrauen (und Fronten), es bewegt sich viel, Feminismus ist ungeheuer lebendig. Und selbstverständlich hackeln die Damen (und Herren) schier aufs Blut, wer den echteren Feminismus hat. Das ist gut so! Ich bin schon sehr gespannt auf das Buch von Jessica, einer der feministing-Autorinnen.

„Du musst ja Zeit haben“

Donnerstag, 12. Oktober 2006

Sie kennen diese Reaktion auf die Schilderunge einer Leidenschaft oder auch nur eines Interesses? „Du musst ja Zeit haben!“ Eben bekam ich das zu hören, als ich dem Kollegen rechts auf Anfrage erzählte, dass mir nicht nur die Verfilmung von Gefährliche Liebschaften mit John Malkovich sehr gut gefällt, sondern dass ich auch den Briefroman, der dem Film zugrunde liegt, begeistert gelesen habe.

Und vermutlich kennt jeder Blogger, jede Bloggerin diesen Satz als eine Reaktion auf die Erklärung, was ein Blog oder überhaupt dieses Blog-Dings ist.

„Du musst ja Zeit haben!“
Ist eigentlich eine ganz schöne Ohrfeige. Deutlicher kann man jemandem ja kaum klarmachen, dass man das, worein er oder sie ihr Herzblut stecken, für keiner Wertschätzung würdig hält.
„Du musst ja Zeit haben!“

Hiermit verbiete ich mir diesen Satz als Kommentar zu welchem Interesse auch immer. Selbst wenn es sich um das Nachbilden des Brandenburger Tores mit Zündhölzern handelt.

(Ausgerechnet in den 20 Minuten, die ich in den vergangenen Wochen morgens Deutschlandradio höre, wird das religiöse „Wort zum Tage“ gesendet. Mag das bereits abgefärbt haben?)

What makes the German blog scene special

Dienstag, 10. Oktober 2006

Originally written for the BoBs Blog, asked to explain German blogging to the other members of the international jury.

While self-declared and even established blog experts keep discussing the influence of German blogs on the classic media and/or public opinion, they completey miss the fact that the German blog scene has developed a unique profile. A reason for this oversight might be the fact that this profile has little to do with the high hopes and deep fears that German media specialists used to have and raise about blogs.

It may be ironic, but the greatest asset of German blogs is exactly the quality that the media experts bemoan frequently:
„Zu 99,9% egozentrischer, selbstreflektierter Schrott,“ is how Lars-Christian Cords from fischerAppelt kommunikation just recently defined German blogs: 99,9 percent egocentric self-reflective junk.

Cords couldn’t be more right in his analysis, it is just the conclusion where he goes wrong: Most of the most successful (i.e. widely read and influential) German blogs are very subjective and personal with a high literary quality. What makes them popular is their subjectivity.

Of course people read wirres for its factual content, but it is the author Felix’s style and his personality shining through every posting that makes them love it and come back. And the excessively quoted success story of Spreeblick revealing a ringtone provider’s dubious sales methods was so consequential exactly because it was not an investigative newspaper-like story but a highly literary and brilliantly written mock script for a children’s TV programme.

One indication of this typically German quality in blogging is the flood of public readings: Starting in trendy and playful Berlin, they spread out over the whole republic, providing the essence of German blogging – high-quality stories read out by the apparently fascinating people who came up with them. Hardly a week goes by without a public blog reading in Germany or Austria (Switzerland has not yet joined the parade – a.more.s? Tanja? blogk family? Just say the word.).

One might point out as a contradiction that the German blog with by far the most traffic is BILDblog, a classic watchblog. But the majority of blogs high up in public blog charts contain well put personal observations of public interest.

The German blogsphere is mainly about getting a glimpse into other people’s lives, their views, their stories – thereby achieving exactly what managers and teachers try by “storytelling”.

Or to quote Anke Gröner in her (top-read) blog:

Jeder Spacken, der meint, Weblogs seien dazu da, Geld zu machen, hat keine Ahnung. Wenn’s zufällig klappt – klar, logisch, gerne, wieso nicht. Aber was Weblogs wirklich ausmachen – dass sie nämlich irgendwann viel, viel mehr sind als Buchstaben auf einem Bildschirm von angeblich doofen, einsamen Nerds, die nichts besseres zu tun haben, als über die Bahn zu meckern oder sich über Celebritys lustig zu machen –, das versteht nur, wer selbst ein Weblog schreibt. Sie sind eine einzigartige Form der Kommunikation, und ich für meinen Teil bin sehr, sehr froh, sie für mich entdeckt zu haben.

(Please don’t make me translate this…)