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Der Bursche, vielleicht 15, 16 Jahre alt, der vor mir die Stufen zum S-Bahn-Gleis hochgeht, trägt eine Büchertasche aus olivfarbenem Canvas, auf die er sorgfältig in 15 Zentimeter großen Lettern das Bandlogo von ACDC gemalt hat, mit schwarzem Filzstift.
Wie rührend altmodisch, denke ich mir. Dann überlege ich, was die Entsprechung in meiner Generation gewesen wäre, also zu der Zeit vor fast 30 Jahren, als ACDC zeitgemäß waren. Mir fällt ein, wie ich mit 12, 13 Jahren im ekligen Schwimmunterricht mit meiner damaligen besten Freundin versuchte, Szenen aus 30 Jahre alten Esther-Williams-Filmen nachzuspielen (seither lasse ich nichts über Wasserballett kommen; das ist scheißanstrengend). Und wie wir unsere Mitschülerinnen dazu überredeten, Busby-Berkeley-Kameraeinstellungen von nacheinander ins Wasser gleitenden Badeanzugträgerinnen zu imitieren (machten die leider nie so oft mit, wie es meiner Freundin und mir gefallen hätte). Ist das vergleichbar?
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Freitagnachmittag im knackvollen ICE-Großraumabteil. Es ist eher ruhig, nur hin und wieder ertönen unartikulierte menschliche Laute. Da ich beim Hereinkommen ein paar leere Rollstühle gesehen habe, schließe ich auf die Gesellschaft von Behinderten. Dann bemerke ich aus dem Augenwinkel fliegende Hände und Arme in den Reihen vor mir. Ich sehe mich genauer um und erkenne, dass ich in einen abteilfüllenden Schulausflug schwer pubertierender Jugendlicher geraten bin: Die Burschen tragen Heavy-Metal-Shirts und Sackhüpfhosen, die Mädel enge Oberteile und Glitzer im Haar. Allerdings sind es gehörlose schwer pubertierende Jugendliche, und so ist die einzige Geräuschquelle das Dreiergrüppchen Jungs, das anscheinend zusammen über einem kleinen Computerspiel sitzt und in Lauten mitfiebert.
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Ich nähere mich in Schwabing einem Ost- und Gemüselädchen, in dem ich hin und wieder einkaufe, und das auch heute den Großteil seiner Waren verlockend auf dem Gehsteig aufgebaut hat. Vor einer Kiste mit Birnen steht ein Kamerastativ, durch die winzige digitale Filmkamera guckt eine großgewachsene Dame in Jeanskostümchen und Pumps, passende große Ledertasche über der Schulter, auf die Birnen. Hellblonde, verstrubbelte Kurzfrisur. Ach, Doris Dörrie. Und schon formiert mein Hirn eine neue Pauschalvorstellung von großen Regisseurinnen, nämlich dass die nicht mal für die Wochenendeinkäufe ohne Kamera aus dem Haus gehen.
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Die erste Viertelstunde meines Isarlaufs, rechts über der Mauer rauscht leise der Fluss, links rauschen die Bäume. Langsam steigere ich das Tempo. Es überholt ein Mann, der mir im Vorbeilaufen und mit sächsischem Akzent zuruft: „Hübscher Hintern!“ Ich danke mit hörbarer Verblüffung, worauf er sich kurz umdreht und bekräftigt: „Doch, echt.“ Erst nach Minuten finde ich in meinen Rhythmus zurück.