Weihnachtsstern
Dienstag, 26. Dezember 2006Gefertigt von Papa Kaltmamsell.
Gefertigt von Papa Kaltmamsell.
Weihnachten sei der 24.12. Denn als Ungläubige picke ich mir oberflächlich und nach Sentimentalität die Stückchen Folklore raus, die mir passen, ohne Verpflichtung auf tieferen Sinn.
An den Weihnachtsfeiertagen: Weitestmögliche Umgehung familiärer Pflichten, gerne auch mithilfe von Lüge („Zweiter Weihnachtsfeiertag? Ach sowas, das geht nicht, da sind wir schon bei meinen Eltern.“ „Zweiter Weihnachtsfeiertag? Ach sowas, das geht nicht, da sind wir schon bei den Mitbewohner-Eltern.“). Diesjähriges Ergebnis: Erster Weihnachtsfeiertag bei Mitbewohner-Familie, auf Bitten des Mitbewohners. Zweiter Weihnachtsfeiertag FREI!
Der 24. Dezember enthält: Christbaumkauf, Christbaumaufstellen und -schmücken (traditionell Männersache), Aufstellen der mitbewohnerlichen Krippe. In der letzten hellen Stunde des Tages Spaziergang „Wir suchen das Christkind“. Dann Hübschmachen, Einkleiden in festliche Gewänder. Erste Abendessenvorbereitungen. Gegen 19 Uhr: Einkreisen des beleuchteten Christbaums, Absingen von Weihnachtsliedern (deutsch und englisch), Auspacken der Geschenke, dazu englischen Egg-Nogg. Dann abschließende Speisenzubereitung (Menü muss vielgängig und vom Feinsten sein, hier habe ich mich bei spanischen Bräuchen bedient), stundenlanges Verzehren der Speisen. Beim abschließenden Espresso Anrichten des Plätzchentellers einschließlich spanischer Weihnachtssüßigkeiten (Turrón, Mazapán). Stöhnen von „wer soll das denn noch essen?“ bei gleichzeitigem Griff zur Süßigkeit.
Erstes Verräumen von Verpackungsmaterial, Bettruhe gegen 23 Uhr.
Dieses Jahr bin ich zum zweiten Mal Heilig-Abend-Geberin, meine Eltern kommen zu uns. Wie immer, wenn ich meine Eltern als Gäste habe, schwanke ich zwischen den Rollen Gastgeberin (Werkeln im Hintergrund, rundum Versorgen) und Familienmitglied (Teamarbeit). Wird schon.
Doch deshalb kommt ein weiterer Programmpunkt dazu: Gegen 22 Uhr Anrufen bei der spanischen Verwandtschaft, inzwischen nur noch bei der Schwester und dem Bruder meines Vaters.
Menü heute: Verschiedene Räucherfische an Feldsalat mit Walnüssen / Australische Miso-Suppe / 80-Grad-Lammkeule mit Lauch und Linsen / Mousse au Chocolat an Orangenflan.
Gestern habe ich mir beim Flan-Machen heißen Zucker über die Finger der linken Hand gegossen. Ganz erstaunlich, welch höllische Schmerzen Verbrennungen verursachen; ich konnte über eine Stunde nicht mal feststellen, welche Finger es tatsächlich erwischt hatte und wo, weil erst mal solidarisch alle brüllten. Ich verteilte die Brandsalbe (irgenwann ohne Anlass als Grundausstattung der Hausapotheke gekauft, ein Glück) großzügig über alle Finger. Endlich ließ sich das Schmerztoben dem Ringfinger zuordnen, nach einiger Zeit gaben Brandblasen weitere Hinweise.
Ich wünsche wirklich fröhliche Weihnachten!
Heilig Abend 1972.
Heilig Abend 1976: Papa ruft daheim in Spanien an – auf unserem allerersten Telefon.
Die Textchefin des SZ-Magazins schreibt über ihre sieben Monate als Patientin auf der Intensivstation. Als erstes bin ich gestern daüber erschrocken, dass Susanne Schneider so krank war – da ich das SZ-Magazin seit der ersten Ausgabe gelesen habe, gehört die Redaktion ein bisschen zu meinem Haushalt.
Ich hatte ein Schwannom, einen Tumor des Nervensystems. Normalerweise besteht die Aufgabe der sogenannten Schwann-Zellen darin, die Nerven zu umhüllen. Aber manchmal machen sie sich selbstständig und finden sich zu einem Klumpen zusammen. Am Tag, als ich ins Krankenhaus kam, war der Tumor groß wie ein Handball und drückte meinen linken Lungenflügel zusammen und mein Herz nach rechts.
Und dann habe ich sehr bewegt ihre Geschichte gelesen. Habe Antworten auf Fragen bekommen, die ich mir schon lange gestellt habe, zum Beispiel: Ist es langweilig, wenn man monatelang im Krankenhaus liegen muss? Die Antworten sind nicht überraschend, aber sehr interessant.
Als ich etwa am 20. März aus dem Koma zurück war, lebte ich die ersten Wochen zwischen Tag und Traum, das lag an den vielen Medikamenten. Ich wähnte mich in New York, und was nicht in diese Vorstellung passte, wurde passend gemacht: Das Personal sprach Deutsch? Ist eben eine Dependance von Großhadern in Manhattan.
Frau Schneider schreibt unpretentiös in Kapiteln, die Chronologie und Themenblöcke vermischen, und beim Lesen ein bisschen von der verwischten und gleichzeitigen luziden Wahrnehmung erzeugen, die sie in all den Monaten gehabt haben muss. Über das, was sie über ihre Zimmernachbarn mitbekommen hat, was diese vermutlich über sie mitbekommen haben. Wie sie eine Sprechform entwickelte, mit der sie sich trotz Loch im Hals halbwegs verständlich machen konnte. Über den unglaublichen Einsatz des Pflegepersonals. Und in einem langen Absatz, was sie alles gelernt hat über das Funktionieren einer Intensivstation.
Heute verstehe ich nahezu komplett Intensivstationsdeutsch. »Tobi hat heute Hintergrund« bedeutet, außer dem Stationsarzt ist für kritische Fragen auch noch ein Oberarzt erreichbar, abends und am Wochenende per Handy. Und weil sich alle duzen, heißt der Arzt eben Tobi. Für den Patienten ist das weniger geschickt, er kann ja schlecht »Doktor Tobi« sagen.
Ich bin froh, dass Susanne Schneider so viel Raum im Magazin bekam, diesen Bericht zu veröffentlichen (innige Lesempfehlung). Und wünsche ihr unbekannterweise alles, alles Gute.
Eben spielt mir das Deutschlandradio (“Zahlen Sie Ihre Rundfunkgebühren. Wir kümmern uns um den Rest.”) „Winter Wonderland” von Diana Ross vor, und mir fällt auf, wie wenig Weihnachtsmusik ich dieses Jahr erwischt habe. Selbst auf meinem eher hastig abgehakten Christkindlsmarktbesuch (erstmals auf dem wundervollen Schwabinger Christkindlsmarkt – warum habe ich diese Empfehlung nicht schon viel früher ernst genommen?) gab es live von der Bühne originelles Bayrisches und nicht die übliche Massenware. Möglicherweise habe ich diese Saison noch nicht einmal George Michael über fehlgeschenkte Herzen singen hören. Wie habe ich das bloß geschafft?
Ich sollte mir dringend mal ein paar Synapsen kappen lassen, glaube ich.
Schreibt er leichtfertig, der Spack. (Wobei ihm mutmaßlich kaum etwas ferner liegt als Leichtfertigkeit, aber für ein fundiertes Urteil kenne ich ihn viel zu wenig.)
Ebent, genau. Die genetische Prädestinierung sollte medienmäßig eigentlich langsam durch sein, als nächste Ausrede für eigenes Fehlverhalten bieten sich die Synapsen an. Damit könnten wir zwar weiterhin alle Eigenverantwortung abschieben („meine Eltern haben mir als Baby zu wenig / zu viel Buntes übers Bettchen gehängt!“), gleichzeitig die wundervollen biologisch-mechanistischen Entdeckungen der vergangenen Jahrzehnte nutzen (Neuro-Transmitter! Gedächtniseiweiße!) – und doch das ideologische Pendel zur Abwechlung mal wieder von „alles angeboren“ zu „alles sozialisiert“ schubsen.
In der Pubertät, so habe ich mal gelesen, werden die meisten Synapsen, die das Hirn bis dahin mühsam gebastelt hat, gelöscht. Das erklärt zum einen, warum Mittelstufenlehrer gerne klagen, ihre Schüler hatten in den Jahren davor scheinbar gar nichts gelernt (und heimlichen Groll auf die Vorgängerkollegen schieben). Und es macht vorstellbar, dass man diese Löschung später mit Absicht auslösen könnte, vielleicht durch einen ähnlichen Hormoncocktail, wie ihn die Pubertät bietet.
Stellen Sie sich das mal vor: Endlich würden Sie Leggings nicht mehr automatisch mit zigarettenrauchenden Jungmüttern assoziieren, die nach der Entbindung noch nicht wieder in ihre alten Jeans passen. Sie würden einen weißrussisch aussehenden James-Bond-Darsteller nicht mehr für einen Automechaniker halten. Und vor gerösteten Kakerlaken müssten Sie sich auch nicht mehr ekeln.
Dass Ihre Fremdsprachkenntnisse sich möglicherweise ebenfalls verabschieden, sollte als Preis nicht zu hoch sein.
Vielleicht wussten Sie noch nicht, dass der Autor der Dilbert-Cartoons ein Blog führt? Jetzt wissen Sie’s: Dilbertblog.
Und da finde ich doch einige wundervolle Gedanken zu meiner immer noch offenen Frage: Wohin mit unseren Deppen? Und zwar zu echten Deppen:
Most enlightened people agree that discrimination is bad. The thing they can’t agree on is who should be on the protected list. The general rule is that you shouldn’t discriminate against people for things they can’t control, such as gender, ethnicity or disability. But there are some interesting exceptions to the rule.
For example, it’s totally legal for an employer to reject a stupid person even though stupid people can’t control being stupid. (…)
You might argue that it is in society’s overwhelming best interest to discriminate against stupid people because otherwise the economy would crumble. But I would argue that if idiots couldn’t get jobs for which they are unqualified, your workplace would be empty right now. And that wouldn’t be good for the economy either. So apparently it’s good for the economy to discriminate against stupid people as long as employers are not very effective at doing it.