Die Seeräuber-TanjaAnja
Mittwoch, 21. März 2007 um 9:52Meine Herren, heute sehen Sie mich Pressemappen packen
Und ich schreibe den Text für jeden.
Und Sie geben mir einen Latte und ich bedanke mich nur
Und Sie sehen meinen Lumpen und diese lumpige Agentur
Und Sie wissen nicht, mit wem Sie reden.
Aber eines Abends wird ein Geschrei sein am Hafen
Und man fragt: Was ist das für ein Geschrei?
Und man wird mich lächeln sehn bei meinen Mappen
Und man sagt: Was lächelt die dabei?
Und ein Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird liegen am Kai.
Man sagt: Mach deinen telefonischen Nachfass, mein Kind
Und man reicht mir die Liste hin.
Und die Liste wird genommen, und der Report wird gemacht!
(Es wird keiner mehr drin lesen in dieser Nacht.)
Und sie wissen immer noch nicht, wer ich bin.
Aber eines Abends wird ein Getös sein am Hafen
Und man fragt: Was ist das für ein Getös?
Und man wird mich stehen sehen hinterm Fenster
Und man sagt: Was lächelt die so bös?
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird beschießen die Stadt.
Meine Herren, da wird ihr Lachen aufhören
Denn die Mauern werden fallen hin
Und die Stadt wird gemacht dem Erdboden gleich.
Nur eine lumpige Agentur am Rand wird verschont von dem Streich
Und man fragt: Wer wohnt Besonderer darin?
Und in dieser Nacht wird ein Geschrei um die Agentur sein
Und man fragt: Warum wird die Agentur verschont?
Und man wird mich sehen treten aus der Tür am Morgen
Und man sagt: Die hat darin gewohnt?
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird beflaggen den Mast.
Und es werden kommen hundert gen Mittag an Land
Und werden in den Schatten treten
Und fangen einen jeglichen Berater aus jeglicher Tür
Und legen ihn in Ketten und bringen vor mir
Und fragen: Welchen sollen wir töten?
Und an diesem Mittag wird es still sein am Hafen
Wenn man fragt, wer wohl sterben muss.
Und dann werden Sie mich sagen hören: Alle!
Und wenn dann der Kopf fällt, sag ich: Hoppla!
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird entschwinden mit mir.
(Holprige Silbenverteilung war schon im Original ein V-Effekt, ahäm.)
Nachtrag: In den Kommentaren finden Sie die wesentlich bessere Version von Kommentatorin Esmeralda “Die Heuschrecken-TanjaAnja”.
die Kaltmamsell10 Kommentare zu „Die Seeräuber-TanjaAnja“
Sie möchten gerne einen Kommentar hinterlassen, scheuen aber die Mühe einer Formulierung? Dann nutzen Sie doch den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein, Sternchen darüber und darunter kennzeichnen den Text als KOMMENTAROMAT-generiert. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken.
21. März 2007 um 12:13
Wow! Brecht. Und ich denke, man kann daraus schließen, dass die Arbeit irgendwie gerade nicht so viel Spaß macht. Ich hoffe, das wird wieder.
21. März 2007 um 12:55
Ja, ich muss mich der Meinung von Susanne anschließen, es klingt gelegentlich hier und dort ein berufliches Unwohlsein durch …
Aber der Brecht-Rap ist wohl gelungen! ;-)
21. März 2007 um 13:14
Huch! Neinnein, meine Damen, das war in Erinnerung an viel frühere Arbeitsverhältnisse geschrieben. Hier isses durchwegs prima. Zudem versuche ich auf Kundinnenseite alles besser zu machen als die meisten meiner Agenturkunden seinerzeit. (They call me queen of briefing.)
21. März 2007 um 13:36
Solche Tage hatte ich auch, die mit “Wen solln wir töten?” anfingen, allerdings bei meinem ehemaligen, kirchliche Arbeitgeber. Passt nicht? Passt doch, wenn man weiß, dass die Kirchen als Arbeitgeber ….aber lassen wir das.
21. März 2007 um 15:10
Ach Frau Kaltmamsell!
Manchmal isses zweifellos hart… aber ehrlich: andere haben auch solche Tage. (Ich schiebe da machmal eine CD in’s Laufwerk und “weiss, es wird einmal ein Wunderrr geschehn…”).
Aber Ihre Art sich Luft zu machen amusiert, immerhin die In-den-Blog-Spicker).
Beifall!
21. März 2007 um 17:17
Endlich spricht mir jemand aus dem Herzen! Frau Kaltmamsell, Sie haben mir diesen fiesen Tag versüßt…
22. März 2007 um 0:01
Die Heuschrecken-TanjaAnja
Meine Herren, heute sehen Sie mich Pressemappen packen
Und ich schreibe den Text für jeden.
Und Sie geben mir einen Latte und ich bedanke mich nur
Und Sie sehen meinen Lumpen und diese lumpige Agentur
Und Sie wissen nicht, mit wem Sie reden.
Aber eines Abends wird ein Geschrei sein an der Börse
Und man fragt: Was ist das für ein Geschrei?
Und man wird mich lächeln sehn bei meinen Mappen
Und man sagt: Was lächelt die dabei?
Und ein Hedge-Fonds mit acht Managern
Und mit fünfzig Milliarden
Wird handeln an der Börse.
Man sagt: Mach deinen telefonischen Nachfass, mein Kind
Und man reicht mir die Liste hin.
Und die Liste wird genommen, und der Report wird gemacht!
(Es wird keiner mehr drin lesen in dieser Nacht.)
Und sie wissen immer noch nicht, wer ich bin.
Aber eines Abends wird ein Getös sein an der Börse
Und man fragt: Was ist das für ein Getös?
Und man wird mich stehen sehen hinterm Fenster
Und man sagt: Was lächelt die so bös?
Und der Hedge-Fonds mit acht Managern
Und mit fünfzig Milliarden
Wird zerschlagen die Konzerne.
Meine Herren, da wird ihr Lachen aufhören
Denn die Firmen werden liquidiert
Und die Wertschöpfung wird ins Ausland verlagert.
Nur eine lumpige Agentur am Rand wird verschont von dem Streich
Und man fragt: Wer wohnt Besonderer darin?
Und in dieser Nacht wird ein Geschrei um die Agentur sein
Und man fragt: Warum wird die Agentur verschont?
Und man wird mich sehen treten aus der Tür am Morgen
Und man sagt: Die hat darin gewohnt?
Und der Hedge-Fonds mit acht Managern
Und mit fünfzig Milliarden
Wird den Gewinn verteilen unter die Investoren.
Und es werden kommen hundert gen Mittag an Land
Und werden in den Schatten treten
Und fangen einen jeglichen leitenden Angestellten aus jeglicher Tür
Und legen ihn in Ketten und bringen vor mir
Und fragen: Welchen sollen wir entlassen?
Und an diesem Mittag wird es still sein am Hafen
Wenn man fragt, wer wohl arbeitslos wird.
Und dann werden Sie mich sagen hören: Alle!
Und wenn sie dann Hartz IV beantragen, sag ich: Hoppla!
Und der Hedge-Fonds mit acht Managern
Und mit fünfzig Milliarden
Wird andere Märkte aufrollen mit mir.
22. März 2007 um 8:25
Wundervoll, Esmeralda, vielen Dank: Das war genau der Dreh, nachdem ich vergeblich gesucht hatte.
22. März 2007 um 10:07
Applaus! (stehend)
22. März 2007 um 10:19
Großes Kino! (Und so wahr, leider so wahr).