Backkultur
Mittwoch, 11. April 2007 um 12:20Dass unsere kulinarische Vorlieben (ist Kuhmilch Alltag oder widerlich? eine Heuschrecke Plage oder Snack?) hauptsächlich kulturell geprägt sind, wissen wir. Doch dass wir je nach kultureller Herkunft auf verschiedene Art zum selben Gericht kommen, liegt vielleicht nicht so offen auf der Hand.
Nehmen wir England und die Bäckerei. Als Prüfstein für die private Backkunst gilt die Herstellung von pastry, dem Mürbteig für die diversen süßen und salzigen Pies. Das versteht die deutsche Hobbybäckerin nur schwer, gilt doch Mürbteig als ziemlich idiotensicher. Doch das Standardkochbuch der englischen Küche, Delia Smiths Complete Cookery Course widmet der Zubereitungstechnik mehrere Seiten und listet detaillierte Tipps gegen Katastrophen auf. Das mag damit zusammenhängen, dass der Brite einen Mürbteig ganz anders macht als der Deutsche: Jede Kochanleitung beginnt mit „rub the fat into the flour“.
Was damit gemeint war, musste ich seinerzeit erst bei meinen englischen Freundinnen erfragen. Sie erklärten es mit einer Handbewegung (das Hervorrufen dieser erklärenden Geste funktioniert bei backkundigen Briten übrigens so sicher wie überall auf der Welt die Frage, was eine Wendeltreppe ist): Sie hielten beide Hände wie Hundpfötchen vor sich, also Handrücken nach oben mit sich berührenden Fingerspitzen. Dann rieben sie die Fingerspitzen aneinander während sie die Hände hoch- und runterbewegten. Das Fett (Butter, Schmalz oder Nierentalg) wird in der britischen Vorgehensweise nämlich kalt und in kleinen Stückchen aufs Mehl gegeben und dann durch diese Bewegung mit dem Mehl zu ganz winzigen Streuseln verarbeitet, die im besten Fall wieder wie Mehl aussehen. Dann erst wird Flüssigkeit zugefügt und durch Messer, Handballen oder Knethaken ein Teig erknetet. Das Ergebnis ist dasselbe wie mit der deutschen Methode des schlichten Verknetens aller Zutaten, ich hab’s ausprobiert. Allerdings bereitet es mir Freude, bei englischen Rezepten nach der englischen Methode vorzugehen, einfach weil’s exotisch ist.
Genau anders herum verhält es sich bei Rührteigen. Dass ich die ersten englischen Kuchenrezepte in einer Studentenküche mit Minimalausstattung ausprobierte, also ohne Handrührgerät, machte gar nichts: Während die deutsche Bäckerin erst mal Eier mit Zucker und Butter schaumig schlägt, verrührt die britische einfach alle Zutaten mit einem Löffel und füllt sie in die Backform. Das geht auch deshalb einfach, weil oft Öl statt Butter auf der Zutatenliste steht.
Unpraktisch fand ich immer die Anweisungen in englischen Backbüchern für gefüllte Kuchen und Torten: Wo der Deutsche einen Kuchen backt und dann auseinander schneidet, will der Brite einzelne, flache sandwich tins gefüllt haben und die Böden einzeln gebacken. Ich hab’s versucht, aber nie so hinbekommen, dass ich mir die flache und stapelbare Oberseite nicht hätte zurechtschneiden müssen.
Entsprechend habe ich im Rezept der Engländerin Helene für ihren köstlichen Passion Cake, jetzt auf meiner Rezepteseite, das beste aus beiden Kulturen verbunden: Englische Teigbereitung, deutsches Auseinanderschneiden.
Angemerktes Genöhle: Diese interkulturellen Kenntnisse verbunden mit Kochwissen setze ich übrigens eigentlich auch bei Übersetzerinnen von Kochbüchern voraus – meist zu Unrecht. Dem Tipp in einem Kochblog folgend, kaufte ich mir kürzliche Sophies Cakes von Sophie Dudemaine (ist doch in Ordnung, dass ich das „Kakes“ ausspreche, weil sonst mein Sprachzentrum, konfrontiert mit französischem Backwerk angeblich englischer Bezeichnung überfordert wäre?). Darin verlangt jedes dritte Rezept „halbgesalzene Butter (max. 3 % Salz)“, aber immer nur ein paar Gramm zum Anbraten von irgendwas. Erwartet die Übersetzerin (Claudia Steinitz) von mir, dass ich wegen 30 Gramm auf die Jagd durch Münchner Feinkostgeschäfte nach dieser seltenen Butterart gehe? Vermutlich wusste die Übersetzerin zwar, dass in Frankreich (ebenso wie in Spanien) die Standardbutter leicht gesalzen ist und deswegen beim Backen vorausgesetzt wird. Doch statt nun einfach „Butter“ zu übersetzen und in das Rezept „eine Prise Salz“ einzufügen, schien es ihr clever, ausführlich den französischen Standard einzudeutschen.
Wird etwa in Kochbüchern aus dem Englischen (von denen ich nur zwei Exemplare als Übersetzung habe) für self-raising flowuer übersetzt „Weizenmehl mit Backpulveranteil (höchstens 5 %)“?
8 Kommentare zu „Backkultur“
Sie möchten gerne einen Kommentar hinterlassen, scheuen aber die Mühe einer Formulierung? Dann nutzen Sie doch den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein, Sternchen darüber und darunter kennzeichnen den Text als KOMMENTAROMAT-generiert. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken.
11. April 2007 um 15:50
Wie bitte? Für den Mürbeteig einfach so alles zusammenmixen? Dann ist das doch kein Mübeteig mehr ;). Also würkli. Als Nicht-Engländerin, sondern in der Schweiz geboren und aufgewachsen (inkl. Besuch des Hauswirtschaftsunterricht), kenne ich keine andere Zubereitungsart als das Hineinreiben der kalten Butter. Wie sonst bekommen Sie einen mürben Wähenteig? Die Schweizer reiben allerdings nicht mit Hundpfötchen, sondern strecken die Hände senkrecht zur Horizontalen mit den Daumen nach oben, Handflächen einanderzugewandt, über die Schüssel.
Was die Übersetzung von Kochbüchern betrifft, da haben Sie recht. (oder muss jetzt hier das “recht” gross geschrieben werden? Ich weiss es nie!)Ich habe da so ein Backbuch….
11. April 2007 um 16:30
In meinem Besitz befindet sich ein Kochbuch, aus dem amerikanischen übersetzt. Die meisten Rezepte fangen so an: man zerkrümle eine Packung Kekse.
11. April 2007 um 17:39
“self-raising flower” = die Blume erhebt sich von selbst, noch dazu beim Backen. Aha.
11. April 2007 um 19:46
Vielleicht ist “self-raising flower” eine Anspielung auf Stranger Than Fiction. Wer weiss.
11. April 2007 um 20:27
Sehen Sie: Ein Autor schreibt immer mehr, als er weiß. (Danke für den Hinweis…)
14. April 2007 um 19:46
Das stimmt was Mlle Différentielle sagt.
Wer hat es erfunden? Wohl die Schweizer. ;-)
14. September 2008 um 11:34
Und wie übersetzt Ihr self-raising flower nun und wo bekomme ich das in Spanien?
14. September 2008 um 15:09
“Self-raising flour”, Noray, ist schlicht Weizenmehl, das bereits mit Backpulver vermischt ist, ca. 30 gr auf ein Kilo Mehl. Nehmen Sie in Spanien also harina de trigo plus die entsprechende Menge Backpulver. So würde ich das auch beim Übersetzen des Rezepts übertragen: die angegebene Menge “self-raising flour” mit Mehl übersetzen, aber Backpulver ergänzen.