Einkaufen im Aroma
Sonntag, 15. April 2007Genau auf Leute wie mich zielt der Gute-alte-Zeiten-Mythos, den die Firma Manufactum so erfolgreich aufgebaut hat: Vorgebliche Konsumverweigerung und Anti-Oberflächlichkeit, Gebrauchsgegenstände mit kunstvoll ausformuliertem Herkunftsnachweis statt anonymer industrieller Massenware – auch wenn Industrialisierung und Arbeitsteilung genau den Wohlstand hervorgebracht haben, auf dessen Basis wir Manufactum-Preise überhaupt erst zahlen können. Weil ich aber ein Vernunftwesen bin, gell, kann ich dem mindestens ebenso erfolgreich gegensteuern. Außer…, ja außer dieser Mythos kommt mit einem postmodernen Augenzwinkern daher. Als ich also von einem seltsamen kleinen Lebensmittelladen nicht weit von meiner Wohnung magisch angezogen wurde, in dem lauter Dinge herumstanden, wie ich sie aus Erzählungen meiner Mutter oder aus Filmen mit James Stewart kenne, war ich verratzt: Aroma heißt der Laden, und er ist in der Pestalozzistraße zu finden, kurz vor dem Obertonhaus.
Erst gab es ein winziges Café Aroma nach Vorbild der italienischen hole-in-the-wall Cafés, die neben Espresso und dessen Derivaten auch liebevoll hausgemachte Snacks anbieten. (Die Kuchen! Die Sandwichs! Jeden Tag eine andere Überraschung, bei meinem jüngsten Besuch wurde frischer Scheiterhaufen angeboten.) Seit einiger Zeit liegt daneben, durch eine Tür mit dem Café verbunden, ein Laden, der hauptsächlich Feinkost verkauft. Die Ware scheint aber nicht nur wegen ihres Wohlgeschmacks ausgesucht, sondern auch wegen ihres altmodischen Verpackungsdesigns (Freunde der Typographie dürften umgehend ins Hyperventilieren geraten). Es gibt unter anderem russische Tees, spanische Trinkschokolade, englische Kekse, französische Patés im Glas, Regensburger Konditorschokolade Pernsteiner, österreichische Obstbrände, Gewürze, ein wenig Wein, zudem selbst hergestellte Konfitüren und eingemachtes Gemüse. Dazwischen fand ich aber zu meiner Überraschung Gelatine zur Herstellung von Bratensülze, wie ich sie aus dem Supermarkt kenne – erst in dieser Umgebung fiel mir das herrliche 60er-Jahr-Produktdesign auf. Dieses Retro-Aussehen ist auch die Brücke zur nicht-essbaren Ware, die es im Aroma gibt: Neben Teppichklopfer und Staubwedel sind das Kochbücher, Schneidebrettchen mit Hawaiibedruck, aber auch schöne Küchenmesser. Eine Theke bietet einige wenige Käsesorten und Wurstwaren an, ergänzt zudem das Snack-Angebot des Cafés mit interessanten Salätchen im Weckglas (und an der Kasse gibt es selbst gemachte Karamellwürfelchen). Die Ladeneinrichtung selbst besteht fast ausschließlich aus Flohmarkt- (oder sonst woher) Fundstücken, es stehen auch Grundschulmöbel aus meiner Grundschulzeit herum, die von den Cafégästen genutzt werden. So abgenutzt es klingt: Das Aroma ist urgemütlich. Und bei schönem Wetter werden die großen Fenster zusammengeklappt, zudem Tische und Stühle nach draußen gestellt.
Die Preisstruktur des Ladens würde meine Mutter als „Apothekerpreise“ bezeichnen (ein bunter Lutscher für 2,50 Euro, die 70-Gramm-Pernsteiner-Schokolade für 4,60 Euro), aber hier zahle ich das immer noch lieber, als es der Manufactum-Industrie in den bigotten Rachen zu werfen.