Spezielles Frühlingsgezeter: Hochzeiten!
Dienstag, 3. April 2007 um 10:46Sie haben einfach das Bedürfnis, ihr Innerstes preiszugeben, was nicht leicht ist, vor allem wenn die Kirche voll ist. Dann wird es oft furchtbar peinlich. Und gleichzeitig so konventionell.
Wie meinen Sie das?
Ich habe in all den Jahren als Pfarrerin die Erfahrung gemacht, dass wir bei allem, was uns ganz persönlich betrifft – sei es heiraten oder auch sterben –, das Gefühl haben, es sei einmalig. Genau das Gegenteil ist der Fall. Ich versuche den Brautleuten zu erklären, dass sie sich mit diesem Schritt in eine Generationenreihe stellen und dass es hilfreich sein kann, eine gebundene Form zu wählen. Eine, von der man weiss, dass sie schon andere getragen hat. Aber der Individualismus unserer Gesellschaft zwingt zu Originellem. Dabei sind selbst die Kleider Uniformen.
Die Braut trägt unverdrossen jungfräuliches Weiss?
Ja. Und wie wichtig ist dieses Kleid! Vor allem legen die Bräute grossen Wert darauf, erst im Hochzeitskleid vor dem Bräutigam zu erscheinen, der vor dem Altar wartet und nicht weiss, was sie anhat. Der Vater soll sie hineinführen. Dann frage ich schon: Wollt ihr das wirklich? Aus der Herrschaft des einen in die des anderen übergeben werden? Das sind kraftvolle symbolische Handlungen. Jetzt lebt ihr schon drei Jahre zusammen. Wollen wir nicht lieber die Gemeide aufstehen lassen, und ihr zieht ein? Als ein Paar, das etwas zu feiern hat?
(…)
Aber woher, glauben Sie, rührt der ungebrochene Wille, sich ewig zu binden?
Ich glaube, es ist oft die Unfähigkeit, allein zu sein.
Für die Zweisamkeit bedarf es doch heutzutage nicht mehr der Heirat?
Doch, ich glaube schon. Es ist zum einen das Verbindlichmachen einer Beziehung. Und hinzu kommt eine noch immer weitverbreitete Grundhaltung – und zwar bei Frauen stärker ausgeprägt als bei Männern: Die Sinnstiftung im Leben soll der Partner liefern.
aus dem sehr empfehlenswerten aktuellen NZZ Folio zum Thema Hochzeit
Dass mir ausgerechnet eine alte evangelische Pfarrerin alle Resentiments gegen Hochzeiten bestätigen würde, hätte ich auch nicht gedacht. Was mich daran erinnert, dass ich bei sehr religiösen Menschen den Heiratswunsch noch am ehesten verstehe (wg. Segen Gottes). Bei den anderen diagnostiziere ich meist Brauthormone.
via Herrn a.more
(Nachtrag: Bei der Geschichte über die Rückkehr arrangierter Ehen in Indien fällt mir Salman Rushdies Argument dagegen ein – sinngemäß: „There should be one thing in your life you can’t blame your parents for.”)
die Kaltmamsell10 Kommentare zu „Spezielles Frühlingsgezeter: Hochzeiten!“
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3. April 2007 um 12:19
Habe die erste Trauzeugenschaft des Jahres bereits hinter mich gebracht. Ja, es war alles genau so. Und das bei der zweiten Ehe für beide!
Trotz Frühlingsgefühlen immer noch keine Brauthormone bei mir.
Das ist doch nicht normal! sagt meine Mutter.
3. April 2007 um 13:07
wir haben heimlich geheiratet und ich trug ein rotes kleid, das mein mann auch schon kannte. damit die familien sich wieder beruhigten haben wir die ganze sache noch mal mit ihnen gemacht. eine fake hochzeit quasi. für sie habe ich dann tatsächlich auch noch ein richtges hochzeitskleid angehabt. es ging mehr um das glücklichmachen der angehörigen, als um uns. den traum von meiner hochzeit hatte ich nie aber ich wußte als kind schon, dass ich verheiratet sein möchte. das vorgelebte beeinflußt da sehr.
3. April 2007 um 14:11
Ich würde da nicht zuviel reininterpretieren. Das ist doch nur das, was den Leuten in den Medien (besonders TV) eingeimpft wird. Hochzeit, weiss, wichtigster Tag usw. Das mit der Braut vom Brautvater ist doch eher ein US-Ritus. Wenn der jetzt gefragt ist, spricht das für die Übernahme von Medien-Vorbildern.
Was den Drang zur Hochzeit betrifft: Das ist ein Event. Ohne Folge, da man sich wieder scheiden lassen kann. Und dann kommt der nächste Event. Das Problem der Kirchen: Statt einen Bund fürs Leben zu festigen, sind Pfarrer nur noch Staffage. Beim Aussuchen der Kirche geht es darum, ein romatisches Film-Motiv zu bekommen und nicht die Frage, welchen Pfarrer man diese persönlich wichtigen Ritus in die Hände geben will. Auch hier: US-Vorbilder. In den USA kommt der “Standesbeamte” ja überall hin. In D geht das nicht, ausser wenn die Standesämter “romantische” Aussenstellen eingerichtet haben. Also muss die kirchliche Hochzeit diesen Anspruch auf Klischee-Bilder erfüllen. Schlechte Zeiten für Pfarrer in 70er Jahre Beton-Neubaukirchen.
3. April 2007 um 15:16
Mein Lieblingslehrer an der Uni meinte ja, das eigentliche Elend in Beziehungen habe mit dem Aufkommen der Liebesheirat erst begonnen. Obwohl mir auch die Rushdie-Begründung einleuchtet (und ich ja auch aus Liebe geheiratet habe), hat das was für sich. Diese Verliebtheit ist doch echt doof…..
3. April 2007 um 17:31
Tragisch, dass es so schwer für Menschen in Europa ist, sich vorbehaltslos Symbolen hinzugeben. tut doch nicht weh. Wenn ihnen dann der Sinn abhanden gekommen ist, kommen sie scharenweise in die Buchhandlung auf der Suche nach Lebenshilfe, entdecken die Reiseabteilung und lesen ein paar sinnentleerte Reise”erfahrungen” aus entfernten, asiatischen Ländern, finden das alles voll geil und regen sich nach dem obligatorischen Urlaub über die Kälte in Europa auf. Zu dumm.
3. April 2007 um 19:21
Stelle fest: Bin ganz offensichtlich der hoffnungslose Romantiker, und mit einer hoffnungsfrohen Romantikerin seit zwanzig Jahren verheiratet – nach Hochzeit mit allem und in weiss und pipapoo und so. Das einzige, was genervt hat, war die blöde Usanz, dass einem die Kollegen die Wohnung mit allerlei Karsumpel verstellen, damit die Hochzeitsnacht auch ja nicht den romantischen Schlusspunkt bildet. Die Zeitungsbündel wegzuräumen, um überhaupt zur Bettstatt zu gelangen, hat die Tapete geschwärzt, weil wir balancierend das Gleichgewicht suchten und dabei mit Druckerschwärze an den Händen uns immer wieder abstützten. Weshalb das Brautkleid dabei auch nur einigermassen weiss blieb, vermag ich nicht mehr zu sagen. Die gleichen Kollegen haben allerdings auch die Hochzeit an sich organiseirt und ausgerichtet und unvergesslich gemacht.
Daneben war ich zweimal selbst Brautführer – mit unterschiedlichem Erfolg, was die Langzeitfolgen betrifft. Aber die Ehe zu wagen und sie auch mit Sinnbildern zu bereichern (nicht zu belasten), ist wunderschön. Wichtig dabei: Es muss unser Fest sein und nicht das der Verwandten. Wir haben bei der Gästeschar rigoros selektioniert und nur eingeladen, was nicht einfach verwandt war, sondern wirklich bekannt, wenn nicht gar befreundet.
Zum Glück gibt es für alles nicht die einzig wahre Antwort.
Aber der Gruppendruck in so manchen gesellschaftlichen Gegebenheiten und allen Ritualen ist wirklich zum Abschminken!
4. April 2007 um 0:30
Es gibt gute Gründe, Brassens zu vertrauen, wenn er sagt: Ich habe die Ehre, nicht um Deine Hand anzuhalten. Lass uns einfach unsere Namen nicht unter irgendein Pergament setzen.
@ Daniela: Nur symbolisch ist das ja nicht. Hat ja schon steuerliche Vorteile, zu heiraten, und kann Nachteile haben, wenn man sich hinterher ums Sorgerecht streitet.
4. April 2007 um 1:44
Hm, also ich wollte eigentlich nie heiraten (hatte die Ehe meiner Eltern als abschreckendes Beispiel vor Augen und war sicher, mich will auf Dauer sowieso niemand). Irgendwie hat es sich dann so ergeben. Und wir haben geheiratet. Mit vielen bürokratischenStolpersteinen auf dem Weg, natürlich nicht in Weiß (steht mir nicht, und ich bin bei Symbolen empfindlich), sondern unkonventionell, aber nicht gewollt. Es ergab sich eben so.
Ich bin glücklich, daß ich meinen blöden Mädchennamen gegen einen ganz feinen getauscht habe, daß ich diesen Schritt gewagt und nie bereut habe, daß er mich noch immer nicht satt hat (dabei sind wir fast 19 Jahre zusammen! und 18 Jahre verheiratet…), und ich ihn auch nicht. Ich finde, Verheiratet-Sein ist schön. Der Ring erinnert mich täglich daran, daß wir eigentlich das Unmögliche versuchen.
Zu dem Thema war gerade in Haaretz ein Artikel, http://www.haaretz.com/hasen/spages/843398.html
There is no safe sex… weil man entweder Sicherheit oder erotische Anziehung hat. Sagt die Forscherin. Eheleute versuchen aber, beides unter einen Hut zu bringen. Ist sehr gut, wenn es klappt. Das weiß man aber meist bei der Hochzeit noch nicht, ob es klappen wird.
Die üblichen Eindruck-Schinderei-Hochzeiten, an denen die Frauen insbesondere sich inszenieren wie einen billigen Abklatsch von Stars, die ich nicht mal kenne… die finde ich aber auch zum Kotzen. Als würden nun die Gäste zueinander sagen, “boah, die Hochzeit war so toll, die ist nicht zu toppen, ab jetzt wird nciht mehr geheiratet, toller kann es einfach nicht werden”. A wedding to end all weddings!
Dabei erinnern sich die Gäste hinterher an kaum noch was, die Eindrücke der vielen Hochzeiten legen sich so übereinander, daß man nur noch dunkel erinnert, “oh ja, da hat es gezogen wie Sau, wo man die Ordövres essen mußte, huh”.
Hier in Israel wird ja in Festhallen und -gärten geheiratet, von denen die meisten unbeschreiblich schrecklich sind – so wie sich gestreßte Israelis eben eine Hollywood-Hochzeit vorstellen. Alles dreht sich nur um die Äußerlichkeiten von Blumenschmuck, Kleid und Futter – denn der Rabbi spult seine Sprüche ab, da ist nichts mit Abstimmen, Zitate aussuchen, Singen oder so. Chuppa ist Chuppa, bei den Orthodoxen gibt es keine Variationen. Nach der Chuppa gehen Lightshow, Disco und Lärm los. Mit Pausen zum Essen.
Überall Kameraleute und Beleuchter, als wollte irgendjemand den Video noch mal angucken. Einmal hat mir eine Brautmutter so ein Ding gezeigt, mir ist noch in Erinnerung, wie sie mit Gruseln sagte, “ach, und unter der Chuppa mußte ich ja SO aufs Klo, aber ich konnte natürlich nicht mittendrin weg”. Auch eine schöne Erinnerung!
Und alle machen das Trara mit, na ja, fast alle. Sie glauben, es muß so sein. Die paar Hochzeiten, die sich getraut haben, das anders zu machen, die waren toll. Aber eben weil sie gerade nicht danach strebten, Papas Kollegen zu beeindrucken.
Also, Ehe finde ich gut, Hochzeiten meist weniger.
4. April 2007 um 23:12
Schönes Interview. Sehr gelacht habe ich auch über den Preisvergleich, der mir für die Suche nach Liedern für die kirchliche Trauung versprach, die bis zu 75 Prozent günstiger zu haben. Von A bis Z.
16. Februar 2009 um 13:47
Also egal aus welchen Gründen man heiratet, ich finde es nur wichtig, dass man sich durchaus darüber bewusst ist, was man da für Traditionen und Rituale “ach so individuell” pflegt. Wenn man sich darüber bewusst ist, ist doch auch gegen so etwas völlig klischeebeladenes nichts einzuwenden. Finde es aber auch schön, dass mittlerweile sogar die Kirche anerkennt, dass es individuellere und passendere Arten gibt, diesen Tag zu zelebrieren.