Frühstück beim Maestro Churrero am Platz Jacinto Benavente. Habe bei der Auswahl des Lokals bemerkt, dass mir Resopaltische, Metallrohrstühle und Neonlicht immer noch mehr Authentizität zu versprechen scheinen als eine gemütliche und liebevoll ausgesuchte Inneneinrichtung – was sehr viel über mein inneres Spanien- und Madridbild verrät. Außerdem gibt es in dieser Churrería nur bis 11 Uhr das namengebende Fettgebäck, was auf Frische schließen lässt. Für mich bitte porras, die dicken Stangen – auch diese irgendwie authentischer als die salonfähigen Churros. Dabei bestehen sie aus demselben Teig: Wasser und Mehl, sonst nichts außer einem Hauch Salz. Aber Porras werden in einer riesigen Schnecke ins heiße Fett gespritzt, erst gar in Stücke geschnitten. Die Churros sind die anmutigen Schlaufen auf dem Bild und werden bereits in ihrer Servierform frittiert. Außerdem bitte café con leche. Der Begleiter nahm dazu die klassische heiße Schokolade – deren Verdickungsstärke mir zu sehr herausschmeckt, bei jeder spanischen chocolate en taza.
Ich weiß nicht, wann das aufhörte, dass ich spanische Spezialitäten einfach deswegen wundervoll finden konnte, weil sie spanisch waren. Dass mir aufging, wie arm und lieblos die (zentral-)spanische Küche im europäischen Vergleich ist. Ich suche noch nach einem Hinweis, dass sie sich in den vergangenen zehn, 15 Jahren spürbar weiterentwickelt hätte. Jamón, Chorizo und manch andere traditionelle Wurst, außerdem die doch eher übersichtlichen Käsesorten – gut. Aber mir fehlten bislang Sorgfalt und Liebe in der Auswahl der Grundstoffe und im Umgang damit. Selbst die beste spanische Privatköchin, die ich kannte, achtete beim Einkaufen in erster Linie auf Preis und dann auf Frische, hatte aber kein Interesse daran, die Bohnen, die Artischocken, das Lammfleisch vielleicht aus anderer Herkunft besser zu bekommen. Jedes einheimische Gericht wurde unter den Spaniern, die ich kenne, über den Schellenkönig gerühmt, vor allem wenn es vom Dorf kam – aus einer seltsamen Art blindem kulinarischen Nationalstolz. Haben Sie vielleicht den letztjährigen Almodóvar-Film Volvér gesehen? Ich kam im Kino aus dem Schmunzeln schier nicht mehr heraus, so sehr sah ich das Spanien, wie ich es kenne, potraitiert. Zum Beispiel gibt es da eine Szene, in der die Nachbarin von einem Wochenende auf dem Land zurück kommt und Roscas mitbringt. Hach, da schwärmen die anderen Frauen, wundervoll, köstlich, darf ich welche haben. Dabei sind Roscas vom Dorf ungewürzte Mürbteigkringel, die im Fett herausgebacken werden und ganz frisch noch ganz nett sein moegen, aber schon nach 12 Stunden vor lauter Trockenheit Schluckauf bereiten. Sowas findet der Spanier zum Fingerabschlecken.
Ein wenig hoffnungsbereitendes Indiz fand ich im Supermarkt des Corte Inglés, in dem wir trotz der Übersichtlichkeit des Ladens die eine oder andere Stunde verbrachten: Bezeichnenderweise nahm das Angebt an Spargelkonserven mehrere Regalmeter ein, fast so viel wie Brot: Dosenspargel ist dem Spanier ganz offensichtlich weiterhin eine sehr erstrebenswerte Köstlichkeit. Allerdings fielen mir zahlreiche asiatische Nahrungsmittel auf; die chinesischen Einwanderer scheinen sich bereits auf die Kueche auszuwirken.
Immer noch sehr angenehm empfinde ich aber weiterhin die vielen kleinen Kneipen überall (heißen zwar meist „Bar“, doch da das Wort im Deutschen eine deutlich andere Art von Lokalität bezeichnet, scheue ich es), in denen man beim Mäandern durch die Stadt eine Kleinigkeit trinken und essen kann. Ich erinnere mich, wie sehr mich in Griechenland das Fehlen einer solchen Kneipenkultur irritierte. Dort ein kleines Glas kühles Bier, hier ein Tinto de verano (Rotwein mit Limo und Eiswürfeln), ein paar Oliven dazu, und dann vielleicht doch noch ein Café.
Gegen Abend bekam der Reisebegleiter in der Taberna los 4 Robles (danke, liebe Food Vagabond, ein ausgezeichneter Tipp, allein schon wegen des schönen Lokals) auch die Mahlzeit, die ihm vom letzten Spanienaufenthalt am nachhaltigsten in Erinnerung geblieben war: Fritura variada, ein großer Teller voll in Mehl gewendetem und frittiertem Kleinzeug aus dem Meer, darunter Sardellen, Calamaresringe, Gambas, Fischstückchen – mit Ausnahme der Garnelenschalen im Ganzen zu essen. Dort erstmals gesehen: roter Wermuth vom Fass, also aus dem Zapfhahn.
Danach weiteres abendliches, schließlich nächtliches Spazieren durch Straßen und Gassen. Per Zufall stießen wir auf die Kneipe Viva Madrid, deren gekachelte Front als Foto jeden Madrid-Führer komplettiert. Sehr nett dort, da wir noch vor Mitternacht eintrafen auch ruhig.