Archiv für Mai 2007

Madrid zwischen Montag und Dienstag

Dienstag, 29. Mai 2007

Ich wache halb auf, der Reisebegleiter steht im Dunkeln vor meinem Bett und deutet auf die Funzel über der Zimmertür, die leise, aber durchdringend piept. Ein Griff zum Lichtschalter zeigt, dass der sonstige Strom ausgefallen ist. Vor der Zimmertür ist das vielfältige Raunen und Schlurfen anderer Pensionsgäste zu hören, die sich anscheinend in derselben Lage befinden wie wir. Wenige Minuten später ist alles wieder in Ordnung und ich schlafe weiter.

Erst am nächsten Morgen rekonstruiere ich, was dazwischen vorfiel. Ich war wohl im Halbschlaf aufgestanden und hatte mir etwas Kleidung übergeworfen, weil ich mich erinnerte, neben der Eingangstür der Pension den riesigen Sicherungskasten gesehen zu haben. Dann hatte ich mich wohl durch die badebemantelten Pensionsgäste auf dem Flur zu eben diesem Sicherungskasten geschoben und ohne weitere Umstände die Sicherungen zurückgeklappt. Buenas noches allerseits. Bald darauf war das Geraschel und Geraune vor unserer Zimmertür verstummt. Ich dachte nochmal genauer nach und kann stolz vermelden, dass ich ohne meine Standarderklärung „Mein Vater ist Elektriker“ ausgekommen war. Obwohl ich weiß, dass das auf Spanisch „Mí padre es electricista“ heißt.

Madrid am Montag

Dienstag, 29. Mai 2007

madrid_churreria.jpg

Frühstück beim Maestro Churrero am Platz Jacinto Benavente. Habe bei der Auswahl des Lokals bemerkt, dass mir Resopaltische, Metallrohrstühle und Neonlicht immer noch mehr Authentizität zu versprechen scheinen als eine gemütliche und liebevoll ausgesuchte Inneneinrichtung – was sehr viel über mein inneres Spanien- und Madridbild verrät. Außerdem gibt es in dieser Churrería nur bis 11 Uhr das namengebende Fettgebäck, was auf Frische schließen lässt. Für mich bitte porras, die dicken Stangen – auch diese irgendwie authentischer als die salonfähigen Churros. Dabei bestehen sie aus demselben Teig: Wasser und Mehl, sonst nichts außer einem Hauch Salz. Aber Porras werden in einer riesigen Schnecke ins heiße Fett gespritzt, erst gar in Stücke geschnitten. Die Churros sind die anmutigen Schlaufen auf dem Bild und werden bereits in ihrer Servierform frittiert. Außerdem bitte café con leche. Der Begleiter nahm dazu die klassische heiße Schokolade – deren Verdickungsstärke mir zu sehr herausschmeckt, bei jeder spanischen chocolate en taza.

Ich weiß nicht, wann das aufhörte, dass ich spanische Spezialitäten einfach deswegen wundervoll finden konnte, weil sie spanisch waren. Dass mir aufging, wie arm und lieblos die (zentral-)spanische Küche im europäischen Vergleich ist. Ich suche noch nach einem Hinweis, dass sie sich in den vergangenen zehn, 15 Jahren spürbar weiterentwickelt hätte. Jamón, Chorizo und manch andere traditionelle Wurst, außerdem die doch eher übersichtlichen Käsesorten – gut. Aber mir fehlten bislang Sorgfalt und Liebe in der Auswahl der Grundstoffe und im Umgang damit. Selbst die beste spanische Privatköchin, die ich kannte, achtete beim Einkaufen in erster Linie auf Preis und dann auf Frische, hatte aber kein Interesse daran, die Bohnen, die Artischocken, das Lammfleisch vielleicht aus anderer Herkunft besser zu bekommen. Jedes einheimische Gericht wurde unter den Spaniern, die ich kenne, über den Schellenkönig gerühmt, vor allem wenn es vom Dorf kam – aus einer seltsamen Art blindem kulinarischen Nationalstolz. Haben Sie vielleicht den letztjährigen Almodóvar-Film Volvér gesehen? Ich kam im Kino aus dem Schmunzeln schier nicht mehr heraus, so sehr sah ich das Spanien, wie ich es kenne, potraitiert. Zum Beispiel gibt es da eine Szene, in der die Nachbarin von einem Wochenende auf dem Land zurück kommt und Roscas mitbringt. Hach, da schwärmen die anderen Frauen, wundervoll, köstlich, darf ich welche haben. Dabei sind Roscas vom Dorf ungewürzte Mürbteigkringel, die im Fett herausgebacken werden und ganz frisch noch ganz nett sein moegen, aber schon nach 12 Stunden vor lauter Trockenheit Schluckauf bereiten. Sowas findet der Spanier zum Fingerabschlecken.

Ein wenig hoffnungsbereitendes Indiz fand ich im Supermarkt des Corte Inglés, in dem wir trotz der Übersichtlichkeit des Ladens die eine oder andere Stunde verbrachten: Bezeichnenderweise nahm das Angebt an Spargelkonserven mehrere Regalmeter ein, fast so viel wie Brot: Dosenspargel ist dem Spanier ganz offensichtlich weiterhin eine sehr erstrebenswerte Köstlichkeit. Allerdings fielen mir zahlreiche asiatische Nahrungsmittel auf; die chinesischen Einwanderer scheinen sich bereits auf die Kueche auszuwirken.

Immer noch sehr angenehm empfinde ich aber weiterhin die vielen kleinen Kneipen überall (heißen zwar meist „Bar“, doch da das Wort im Deutschen eine deutlich andere Art von Lokalität bezeichnet, scheue ich es), in denen man beim Mäandern durch die Stadt eine Kleinigkeit trinken und essen kann. Ich erinnere mich, wie sehr mich in Griechenland das Fehlen einer solchen Kneipenkultur irritierte. Dort ein kleines Glas kühles Bier, hier ein Tinto de verano (Rotwein mit Limo und Eiswürfeln), ein paar Oliven dazu, und dann vielleicht doch noch ein Café.

Gegen Abend bekam der Reisebegleiter in der Taberna los 4 Robles (danke, liebe Food Vagabond, ein ausgezeichneter Tipp, allein schon wegen des schönen Lokals) auch die Mahlzeit, die ihm vom letzten Spanienaufenthalt am nachhaltigsten in Erinnerung geblieben war: Fritura variada, ein großer Teller voll in Mehl gewendetem und frittiertem Kleinzeug aus dem Meer, darunter Sardellen, Calamaresringe, Gambas, Fischstückchen – mit Ausnahme der Garnelenschalen im Ganzen zu essen. Dort erstmals gesehen: roter Wermuth vom Fass, also aus dem Zapfhahn.

Danach weiteres abendliches, schließlich nächtliches Spazieren durch Straßen und Gassen. Per Zufall stießen wir auf die Kneipe Viva Madrid, deren gekachelte Front als Foto jeden Madrid-Führer komplettiert. Sehr nett dort, da wir noch vor Mitternacht eintrafen auch ruhig.

Madrid am Sonntag

Montag, 28. Mai 2007

Es hat noch gar nicht geregnet. Kuehl ist es schon, die Einheimischen tragen dicke Strumpfhosen und Anoraks (bzw. die leichten kleingesteppten Steppjacken, die ich an den Leuten hier kenne, die sich fuer fein halten), aeltere Herren auch Muetzen.
An der U-Bahn-Station Barajas (= Flughafen) wurde ich gleich mal von zwei mitteljungen gitanas mit zerfleddertem Metro-Plan in der Hand angesprochen, vorgeblich mit der Frage nach einer Metro-Linie. Ich hatte sie vorher bereits aus den Augenwinkeln bemerkt, wie sie sich in der Eingangszone herumdrueckten (mag tatsaechlich genetisch bedingt sein – in Spanien habe ich einen Sensor fuer gitanas). Ich hielt meine Habseligkeiten gut fest und gab freundlich Auskunft, als bereits vom gegenueberliegenden Bahnsteig ein wohlgekleideter Mann die beiden anbruellte, sie sollten sich fortmachen und woanders stehlen (sie reagierten mit einem laessigen “y tú quien eres…”). Auf meinen erstaunten Blick rief er mir zu, fuer mich arme Touristin unterstrichen mit aussagekraeftigen Gesten, dass die beiden mich bestehlen wollten und ich aufpassen solle. Ich weiss immer noch nicht, ob ich das nun besonders nett (mir gegenueber) oder besonders garstig (den beiden Frauen gegenueber) finden soll. Dass die beiden nicht wirklich eine Auskunft gebraucht hatten, war mir durchaus klar.

Die fruehere Taberna meines Grossonkels ist heute eine gemuetliche Kneipe voller Postkarten mit Sponti-Spruechen an den Waenden und serviert Wein sowie Speisen aus Extremadura. Gestern sahen wir uns nur um, tranken dort ein Glaeschen Bier, plauderten mit der Frau hinterm Tresen (eine Sorte Lokal also, in der nicht die sonst ueblichen Maenner mittleren Alters mit schwarzer Hose und weissem Hemd arbeiten, sondern auch Frauen, und das in bedruckten T-Shirts). Die Spezialitaeten aus Extremadura, die dort angeboten werden, wollen wir definitiv noch probieren.

Bereits gekostet haben wir chorizo a la sidra: Scheiben von Paprikawurst in Apfelwein erhitzt. Na ja. Na ja, na ja. Werden wir noch an einem anderen Ort probieren muessen, um sicherzustellen, dass sie nicht etwa schlecht zubereitet waren, sondern dass es sich generell um eine Darreichungsform von Chorizo handelt, die ich nicht begruesse. Satt wurden wir spaeter in einem Ableger der Kette “Museo del jamón” (Calle Atocha), in der wir zu unseren Bierchen sehr milden und schmackhaften spanischen Schinken bekamen, auch noch erstaunlich guenstig.

Fuer mich neu: Die vielen kleinen Lebensmittellaeden (Alimentación, drutos secos), die 24 Stunden geoeffnet zu sein scheinen und von chinesischen Einwanderern gefuehrt werden.

Womit ich hier definitiv als Touristin auffalle: Ich entschuldige mich bei jedem Rempler, egal, ob ich ihn veranlasst habe oder nicht. Sehr, sehr unspanisch, die Einheimischen reagieren auch ueberhaupt nicht.

Urlaubspacken

Sonntag, 27. Mai 2007

Nach langem Hin und Her sowie Studium der Wetterkarte seufzend beschlossen, dass es so kalt und regnerisch in Madrid wird, wie es dort halt in den vergangenen Wochen schon war. Also Hosen, fest Schuhe, lange Ärmel, Jacke. Der Mitbewohner reist sehr leicht: Er braucht seit etwa zwei Jahren dringend neue Kleidung; ich bin nämlich so dreist, ihm Zerschlissenes und Löchriges nach nur kurzer Rücksprache wegzuwerfen. In Spanien, so verspricht er, wird eingekauft.

Wenn Sie einen Tipp für Madrid, Avila und Umgebung sowie Toledo und Umgebung haben (Essen, Trinken, Gucken, Einkaufen): Bitte hier reinschreiben. Ich melde mich von unterwegs.

Wenn sich jetzt noch bitteschön die Terroristen zusammenreißen mögen. Danke.

Öffi-Moment

Freitag, 25. Mai 2007

Münchner Tram an einem schwül-heißen Nachmittag. Ganz hinten sitzt breitbeinig ein früh gealterter Mann mit feist spannendem Karohemd überm fetten Bauch und grauen Bartstoppel bis weit unters Doppelkinn, blinzelt schwitzend über seine kunstlederne Brotzeittasche hinweg, saugt Essensreste aus seinem Gebiss.

Die Tram hält, und es steigt eine Frau mit hohen Pumps und Aktentasche zu, gekleidet in ein dunkelbraunes Mann-der-Friseuse-Kleid mit tiefem, gut eingeschenkten Ausschnitt. Sie geht zu dem Sitz gegenüber dem alten Mann. Gerade als sie sich setzen will, fährt die Tram an und schubst sie mit Wucht dem Mann entgegen. Während sie erschreckt hucht, stützt er sie durch einen schnellen Griff an die Taille, kurz bevor seine Nase mit ihrem Brustbein kollidiert.

Die Frau entschuldigt sich mit rotem Kopf, dankt dem breit grinsenden Mann, nimmt Platz und versteckt sich umgehend hinter ihrer Tageszeitung.

Wenn halt bloß diese Frau nicht ausgerechnet ich gewesen wäre.

Bloggen auf Anfrage: Frau Gaga

Freitag, 25. Mai 2007

der geburtstag steht von der tür und es gibt einen gutschein für ein fotoshooting mit einem legendären fotografen nach freier wahl. tote können auferstehen. man ray steht zur verfügung. peter lindbergh hätte zeit. ellen von unwerth ist bereit. sie dürfen den ort des geschehens und das styling bestimmen. alles ist möglich.
wie sehen wir unsere kaltmamsell?

Da ist jetzt blöd, dass die Fotografen, die ich am meisten schätze, Fotojournalisten sind. Henri Cartier-Bresson, Inge Morath, Martin Parr (und fast alle anderen Magnum-Fotografen und -Fotografinnen) – aber ob ich gerne mich auf deren Fotos sähe?

Nehme ich lieber
Fotograf: Andreas Gursky
Styling: Leiche einer fetten, verwahrlosten Alten
Ort: Müllkippe von Sao Paolo

Bloggen auf Anfrage: Herr Mo

Freitag, 25. Mai 2007

das letzte illegale, was die werte frau kaltmamsell angestellt hat.
(ausgenommen verkehrsdelikte und schwarzfahren)

Das bereitet mir Kopfzerbrechen. Katholisch erzogen wie ich bin, liegt mir der Verdacht nahe, dass ich ständig, oder zumindest regelmäßig sündige, also etwas Illegales tue. Andererseits nehme ich das Prinzip des Rechtsstaats ziemlich buchstäblich: Wenn ich mich auf die Rechtsstaatlichkeit des Systems, in dem ich lebe, verlassen möchte (und das möchte ich sehr gerne), fühle ich mich im Gegenzug selbst zur Einhaltung von Recht und Gesetz verpflichtet. Verstöße anderer gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit (und es ist so beruhigend wie bezeichnend, dass sie als eben solche Verstöße wahrgenommen werden) berechtigen in keiner Weise eigene Verstöße. Weswegen ich unter anderem Schwarzfahren und Steuermogeln verurteile.
Zu den Rechtfertigungen, die immer wieder für eigene Rechtsverstöße angeführt werden, empfehle ich das Befassen mit kognitiver Dissonanz.

Meine katholische Erziehung hilft mir andererseits ganz hervorragend dabei, eigene Gesetzesverstöße schönzureden (Augustinus hat ja praktisch das Ausbügeln der kognitiven Dissonanz erfunden).

Am häufigsten gehe ich bei Rot über die Ampel – aber Verkehrsdelikte nimmt Herr Mo ja explizit aus. Dann nehmen wir Glücksspiel: Ich habe um Geld gepokert, außerhalb einer staatlich konzessionierten Einrichtung.