So gern ich sonst viel trinke – gestern unterdrückte ich den Trinkimpuls mit Macht. Ich verbrachte nämlich den Nachmittag an einer Stätte meiner Kindheit, die ich zwar seit mehr als 20 Jahren nicht mehr besucht hatte, an der mir aber ein Detail besonders lebhaft im Gedächtnis hing: das Plumpsklo. Und ich grause mich ganz furchtbar vor Plumpsklos.
Dieses Grausen gehört zu der Seite an mir, die mich eine Woche in einem angenehmen Hotel drei Wochen Rucksackurlaub vorziehen lässt, die mich zu einer gefesselten Zuhörerin macht, wenn die eine von ihrer Bootstour im Okavango-Delta erzählt, die andere von Wanderungen im Himalaya, mich selbst aber energisch jeden Ortswechsel verweigern lässt, der mehr als zwei Schritte zurück in der zivilisatorischen Entwicklung erfordert. (Letzterer Reisebericht wurde seinerzeit bezeichnenderweise eingeleitet durch die Erklärung: „Das war kurz nach meinen Diplomprüfungen, und ich hatte genug Geld gespart, um mir entweder endlich eine eigene Waschmaschine zu kaufen oder mit einer Freundin zwei Wochen durch den Himalaya zu wandern. War ja klar, wofür ich mich entschied.“ „Waschmaschine!“ rief ich begeistert. „Himalaya!“ rief gleichzeitig die Erzählerin.)
Zurück zum gestrigen Nachmittag. Ich fuhr mit meinen Eltern zum Grillen in „den Garten“. Das ist ein Baugrundstück in einem langweiligen Dorf weit vor meiner Geburtsstadt (so langweilig und weit, dass nicht mal die zugewanderten Manager des örtlichen Großunternehmens ihre Eigenheime dorthin bauen mögen), das Freunde meiner Eltern vor etwa 35 Jahren kauften, um daraus einen Schrebergarten zu machen. Mein Vater half, ein wunderhübsches altes Holzhäuschen aus einer aufgelösten Schrebergartensiedlung hierher zu versetzen, und als Gegenleistung durften wir auf einem Teil des Grundstücks Gemüse anbauen sowie Häuschen und Rasen für Aufenthalte nutzen (dieses Bild wurde übrigens in besagtem Garten aufgenommen). Meiner Erinnerung nach fand ich das alles als Kind doof. Ich war schon zu alt, um mich an der Schaukel zu freuen, es waren selten andere Kinder zum Spielen da (daheim vor dem Wohnblock gab es immer genug davon), Lesen wäre in meinem eigenen Zimmer ebenfalls bequemer gewesen.
Außerdem ließ man mich auch hier selten in Ruhe lesen, ich sollte ja bei der Gartenarbeit helfen. Pädagogisch gezielt wies man uns Kindern (die grundstücksbesitzenden Freunde hatten drei Töchter, zwei davon etwa in meinem Alter) jeweils ein kleines Beet zu, in dem wir – so die begeisterte Mitteilung – pflanzen durften, was! wir! wollten! Nun, Säen war ja noch ganz nett (ein paar Radieserln, ein paar Karotten, halt lauter so langweiliges Zeug, flächendeckend Erdbeeren ließ man mich natürlich doch nicht anbauen), Unkrautjäten fand ich dann schon ausgesprochen unangenehm (ich glaube, ich wurde sogar mir dem tückischen Argument gemaßregelt, dass ich damit die Erfüllung meines Wunsches nach einem Haustier unwahrscheinlich machte), dass ich Gießkanne um Gießkanne schleppen sollte, wenn vernünftige Menschen doch zur Bewässerung eigens Gartenschläuche erfunden hatten, verschlechterte meine Laune zusätzlich. Dann stellte sich der Boden das Gartens auch noch als problematisch heraus, meine Ernte an Radieschen und Karotten musste ich mit Würmern teilen. Ich überließ ihnen eigennützig das Feld.
Weitere Erinnerungen: Kartoffelkäfer sammeln und Kartoffelkäfereier zerdrücken (blärch!), Buschbohnen ernten (so viel Bückerei, ohne dass man gleich von der Ernte naschen könnte!), Stangenbohnen ernten (weniger Bückerei, aber mütterliche Schelte, weil ich nicht gewissenhaft genug war und viele Bohnen übersah – ich bitte Sie, grün auf grün), Johannisbeeren ernten (waren mir zu sauer, zudem mochte ich die Kerne nicht). Selbst was mir schmeckte (Erdbeeren, Stachelbeeren), durfte ich nicht einfach naschen, weil das Ganze ja nicht uns, sondern den Freunden meiner Eltern gehörte, und ich immer erst mal fragen musste. Diese Konstellation führte auch nach wenigen Jahren zur Lösung des Arrangements.
Und: das Plumpsklo. Zwar gab es einen Wasseranschluss auf dem Grundstück, wenn auch in einer weit von der Hütte entfernten Ecke, aber keinen Abwasseranschluss (noch Strom, aber das störte mich nicht). Als Abort diente also ein im Originalzustand der Hütte angeschlossenes Scheißhäusl, unter dem Donnerbalken stand ein ehemaliger Farbeimer. Ich hasste, hasste, hasste es, dieses Klo zu benutzen. Es war dunkel, eng und dumpf in diesem Scheißhäusl, die Ecken und Kanten waren mit alten und neuen Spinnweben bespannt, darinnen vermutete ich riesige und aggressive Spinnenmonster, überall schien es zu rascheln und zu rumoren, das Sitzbrett war unbequem hoch. Hätte es in der Nähe des Gartens ein Wäldchen oder Gebüsch gegeben, wäre ich lieber dorthin gegangen, doch die Umgebung bestand aus Straßen und flachen Feldern.
An all dieses erinnerte ich mich gestern auf der Fahrt hinaus zum Grillen. Und beschloss, keinen Tropfen zu trinken.
(Hier, fällt mir gerade auf, mag die Wurzel meines innigen Großstädterinnentums liegen, das mir Eigenheim oder gar Aufs-Land-ziehen noch nie verlockend erscheinen ließ.)