Lernen von den Alten
Montag, 2. Juli 2007 um 10:43Margarete Mitscherlich gehört für mich zu den größten Denkern des 20. Jahrhunderts. Ihre Bücher haben mir Zugang zu vielen schwer akzeptierbaren Aspekten der Welt verschafft. Nachdem ich das wundervolle Interview mit ihr im aktuellen Papier-Spiegel gelesen habe, fühle ich mich ihr noch ein bisschen näher.
Spiegel: Sie haben nie in einer Kirche eine Kerze angezündet?
Mitscherlich: Nie.
Spiegel: Und es gibt keinen Gegenstand, der Ihnen heilig wäre?
Mitscherlich: Nein. Vielleicht bin ich so strikt, weil mich Irrationalität ängstigt. Auf jeden Fall nervt sie mich. Gefühle werden unbeherrschbar, wenn man sich seinen Phantasien ausliefert. Als Kind habe ich mich nachts vor Geistern gefürchtet; Kinder unterscheiden ja lange nicht zwischen Phantasie und Wirklichkeit. In diesen Zustand will ich nicht zurückfallen.
Dicke Leseempfehlung, auch wegen ihrer differenzierten Aussagen zur Psychosomatik.
die Kaltmamsell8 Kommentare zu „Lernen von den Alten“
Sie möchten gerne einen Kommentar hinterlassen, scheuen aber die Mühe einer Formulierung? Dann nutzen Sie doch den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein, Sternchen darüber und darunter kennzeichnen den Text als KOMMENTAROMAT-generiert. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken.
2. Juli 2007 um 11:14
Wie kann ich 100% einverstanden mit einem Satz sein (Irrationalität nervt mich) um den folgenden Satz 100% abzulehnen? Bin ich damit auch schon irrational? Oder, wenn ich recht überlege, ich lehne den Satz (Gefühle werden…) nicht ab, wohl aber diese Tatsache als was negatives zu sehen. Liebe, oder Verliebtsein, ist doch das beste Beispiel.
2. Juli 2007 um 11:19
Hm, ich hatte hinter den “Phantasien” eher Religionen gesehen, nicht Träume von Hollywood-Schauspielern. (Denn Liebe zu realen Menschen fällt sicher nicht unter “Phantasien”, oder?)
2. Juli 2007 um 11:42
Habe nicht das ganze Interview gelesen, also kann sein, dass ich eine alleinige Bezug auf Religion nicht sehe. Ich habe auf jeden Fall ein Problem mit der Satz, falls es allgemeingültig gemeint ist. Liebe, auch ausserhalb Hollywoods, kann wohl mit Phantasien Hand in Hand gehen, und vieles anderes im Leben auch. Gerade die Phantasien (und die unbeherrschbaren Gefühle, die daraus resultierten) einiger Menschen haben doch uns einige schöne Sachen im Leben bescherrt, oder? Meist sind es doch unbeherrschbare Gefühle, die zu wunderbaren Taten führen. Kunst (besonders Literatur) und auch (manchmal) Essen fallen mir als erstes ein.
2. Juli 2007 um 12:00
Ich gebe Dir schon recht, Hande. Möglicherweise spricht Frau Mitscherlich da auch ganz für sich: Sie selbst ist froh, dass sie den kindlichen Ängsten entkommen ist.
2. Juli 2007 um 13:14
Ah! Ich hatte als Kind Angst vor den Mitscherlichs, deren Schreiben von meinen Eltern verehrt wurde, in vielem zu Recht. Lese ich nun von ihr den eigentlich neutralen Satz „Gefühle werden unbeherrschbar, wenn man sich seinen Phantasien ausliefert”, kriege ich wieder ein bisschen Angst vor dieser Beherrschtheit.
Und ich muss an den Auszug aus dem SZ-Magazin vom letzten Freitag denken, „Der letzte Tanz” von Barbara Ehrenreich (zum Aufkommen der Melancholie in Europa), in dem das zitiert wird:
Außerdem steht da noch:
Ich gehe jetzt gleich zum Kiosk.
2. Juli 2007 um 13:36
Diese Ehrenreich-Geschichte, Sebastian, ich weiß nicht: Entweder das SZ-Magazin hat sich beim Ausschnittaussuchen schwer vergriffen, oder die These der Frau ist hanebüchener, konstruierter Bockmist.
2. Juli 2007 um 15:27
Ja, Kaltmamsell, das passt – diese Freitags- und Montagsgeschichte spiegeln sich wirklich sehr faszinierend, gerade weil sie in Form und Inhalt so auseinander gehen, dass ich gerne noch ein bisschen mit dieser Spiegelung spielen würde, bevor ich schlauer draus werde.
„Es wäre angenehm vom lieben Gott, an den ich nicht glaube, wenn er mich geistig klar sterben ließe” , sagt MM. Das ist sehr weise irrational. Danke für diesen Lesetipp.
2. Juli 2007 um 21:17
Heute abend übrigens auf 3SAT im Gespräch mit Gero von Boehm.