Als ich die altmodische Glastür zum Eckladen öffne, kommt Leben in den Mann, der mit angewinkelten Knien im Fenster liegt. Er richtet sich mühsam auf: „You want a haircut?“ Ja, genau deshalb bin ich hier.
Er reibt sich die Augen, streicht sich kurz über die Bartstoppeln, zieht seine Fußballershorts hoch, während er irgendwas von wegen heftiges Wochenende murmelt. Ob ihm das wohl eine besonders ruhige Hand beim Haareschneiden verleihe oder eine eher zittrige, frage ich ihn heiter. Er lächelt höflich über meinen Witzelversuch, ich verdrehe innerlich die Augen ob meines German humour.
Von selbst hätte ich diesen schraddligen Men’s Barber jenseits der Brightoner Western Road sicher nicht gefunden. Und selbst wenn – ich wäre sicher nicht reingegangen: Durch die großen vorhanglosen Fenster unter dem abblätternden Schild Headroom hätte ich die Lücken in den Bodenfliesen gesehen und das Alter der Barbierstühle, die abgeschlagenen Waschbecken, gesprenkelt mit Haarschnipseln in allen Farben – insgesamt genau das Gegenteil eines vertrauenswürdigen Friseurs.
Doch der sicherste Weg, einen guten Haarschneider zu finden, ist, jemanden mit gutem Haarschnitt anzusprechen. Als ich also im Food for friends eine Bedienung mit auffallend akuratem, sehr kurzem Bob sah, der auch noch hervorragend zu ihrem Gesichtchen passte, sprach ich sie sofort an. Oh, meinte sie, das sei bloß ein Herrenfriseur bei ihr ums Eck gewesen – „aber Sie glauben gar nicht, wie oft ich schon auf meine Haare angesprochen worden bin“. Dann beschrieb sie mir die Lage des Ladens, und wir waren uns einig, dass sie dort eigentlich Prozente bekommen müsste, weil sie so viele Leute dort hinschickte.
Jetzt sitze ich auf einem der kunstledernen Barbierstühle bei eben diesem Friseur, habe einen fleckigen Umhang um den Oberkörper, und der Mann aus dem Fenster fragt nach meinen Wünschen. Alles kürzer bitte, außerdem schildere ich ihm den Deppenpony (ich versuche es mit „idiot’s fringe“), den ich gerne hätte. Er vergewissert sich: „You don’t want that or you want that?“ Haarewaschen ist nicht, wie eben bei Männerfriseuren üblich, die Schere schneidet ins Trockene. Hin und wieder versichert sich der Schnippler, ob’s so passt, und während die Haarschnippsel fliegen, macht er Konversation. Dass ich aus Deutschland komme, hat er gleich gehört (Mist), wie’s denn bei mir so sei. Ich wiederum weise brav auf die Kundin hin, die mich auf seinen Stuhl gebracht hat, und dass die sich doch wohl einen kostenlosen Haarschnitt verdient habe. Als es reinpasst, erzähle ich, dass ich gerne an fremden Orten zum Friseur gehe und werde darob als „adventurous“ bezeichnet. Nu, meine ich, „it’s not plastic surgery“.
Nach 15 Minuten habe ich einen mehr als anständigen Haarschnitt, wenn auch mit einem schmeichelhaften statt einem Deppenpony. Mit Ausnahme des umhangbedeckten Teils meines Oberkörpers kleben an mir überall Haarschnippsel, für deren Entfernung der Friseur sich nicht zuständig zu fühlen scheint. Ich wische mit einem Taschentuch an meinem Gesicht, Hals und in meinen Ohren herum, zahle acht Pfund, gebe ein Pfund Trinkgeld (vermutlich viel mehr als ortsüblich: Für den Dank wird der Friseur richtig wach). Draußen kippe ich mir erst mal meine Ex-Haare aus den Jeansaufschlägen.