Nahrungskilometer
Dienstag, 7. August 2007 um 9:45Je weiter der Weg eines Nahrungsmittels vom Erzeuger an die Verkaufsstelle, desto schlechter für die Umwelt – richtig? Deswegen schaun wir auch im Supermarkt auf den Herkunftsort des Joghurts und rümpfen die Nase über den Biomarkt, der im März Äpfel aus Argentinien im Sortiment hat. Deswegen gibt es Forderungen, dass alle Lebensmittel die „Food Miles“ ausweisen müssen, die sie bis zum Verkauf gereist sind.
Aber. Aber wie so oft, ist das alles dann vielleicht doch viel, viel komplizierter. Vor allem wenn man neben Kraftstoffverbrauch für den Transport einige andere Faktoren berücksichtigt, zum Beispiel Wasserverbrauch, Erntemethoden, Düngemittelverbrauch, Lagerung. Im International Herald Tribune wird das Thema heute von mehreren Seiten beleuchtet:
Incorporating these measurements into their assessments, scientists reached surprising conclusions. Most notably, they found that lamb raised on New Zealand’s clover-choked pastures and shipped 11,000 miles by boat to Britain produced 1,520 pounds of carbon dioxide emissions per ton while British lamb produced 6,280 pounds of carbon dioxide per ton, in part because poorer British pastures force farmers to use feed.
In other words, it is four times more energy-efficient for Londoners to buy lamb imported from the other side of the world than to buy it from a producer in their backyard. Similar figures were found for dairy products and fruit.
Der Autor, James E. McWiliams, schlägt eine differenziertere Lösung vor:
…wouldn’t it make more sense to stop obsessing over food miles and work to strengthen comparative geographical advantages? And what if we did this while streamlining transportation services according to fuel-efficient standards? Shouldn’t we create development incentives for regional nodes of food production that can provide sustainable produce for the less sustainable parts of the nation and the world as a whole?
Jetzt freu ich mich erst mal auf die Zwetschgen vom Baum vor Elterns Garten, die etwa nächstes Wochenende reif sein müssten. Solche Gemeinschaftsobstbäume, wie ich sie aus meiner Kindheit vor allem an Landstraßen kenne, müssten doch eigentlich zum nachhaltigsten Anbau überhaupt gehören: Keiner düngt, keiner spritzt, die Bäume spenden Schatten und werden im Grunde nur beachtet, wenn ihre Früchte erntereif sind (oder ein Diskoheimfahrer dagegenknallt). Dann radelt man hin, holt sich Kirschen, Zwetschgen, Äpfel, Birnen, so viel man will, und gut ist.
die Kaltmamsell4 Kommentare zu „Nahrungskilometer“
Sie möchten gerne einen Kommentar hinterlassen, scheuen aber die Mühe einer Formulierung? Dann nutzen Sie doch den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein, Sternchen darüber und darunter kennzeichnen den Text als KOMMENTAROMAT-generiert. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken.
7. August 2007 um 11:21
Geschätzte Kaltmamsell – hat eigentlich schon mal jemand errechnet, wieviel giftige Druckerschwärze, abgeholzte Papierwälder und Zeitungslieferantenbenzin sowie atomkraftgespeiste Serverkapazitäten für die Beschäftigung mit diesem Thema draufgehen? Mich erinnert das sehr an die Diätenrechnerei, welches Programm denn nun das beste zum Abnehmen wäre, womit schon seit den Siebzigern Bücher und Magazine Frühjahr für Frühjahr regelmäßig gefüllt werden. Werden Kilometer die neuen Kalorien?
Auch die New York times treibt das Thema um (via deliciousdays) und ich wage zu sagen, dass dies vielleicht auch US-spezifisch ist – wegen der weiten Entfernungen (auch von den vielen guten Dingen aus Europa) und wegen dem Hang, auch den einfachsten Dinge wie dem Einkaufen ein markiges Powerpointprogramm zu verpassen, das dann leicht wieder zu knacken ist – auch das inzwischen entzauberte mediterrane Paradox (nudelfressende Rotwein- und Olivenöltrinker leben länger als joggende Weight Watcher) wurde von den USA entdeckt. Und von uns begierig aufgenommen.
Da ist es doch einfacher, den Einkaufszettel aus eigener Erfahrung statt nach der Zeitung zu schreiben. Aber sich diese Erfahrung zu beschaffen – über Saison, Region, gute Händler in meiner Ecke und vor allem der eigene gute Geschmack – kann etwas dauern und einen von anderen Dingen abhalten und das Lernen hört auch nie auf. Aber es macht große Freude, wenn einem Essen wichtig ist. Wenn nicht, auch recht – so lange so jemand uns dann nicht in Debatten darüber verwickelt. Was auch für die gilt, die Essen zu wichtig nehmen wie die Kollegen von Tribune und Times – hey, it’s just food. Darauf einen Schluck Ingwerwasser – weit gereist, selbst gekocht.
7. August 2007 um 14:57
Dennoch würde ich den neuseeländischen Bio-Apfel dem gespritzten und gedüngten Bodensee-Apfel vorziehen, der monatelang in einem gigantischen Kühlschrank lagert. Unterm Strich ist das nicht umweltschädlicher. Ich kann aber auch noch warten, bis die Äpfel bei uns reif sind…
8. August 2007 um 14:33
Beifall, so sollten wir es machen, bei den Eltern die Bäume abernten. So weit wir halt Eltern mit Bäumen haben. Ein bißchen ist das eine Lösung, wenn auch keine umfassende und in der Breite praktikable.
Die Schlauberger aus dem Herald Tribune mögen ja recht haben mit der dort zum Besten gegebenen Rechnung, aber die Folgerungen und Spekulationen die sie dran knüpfen (prädestinierte Regionen zur Produktion bestimmter Güter) riechen doch nach dem sattsam bekannten Globalisierungssch…
Äpfel anbauen oder Schafe halten kann man in Großbritannien oder hierzulande mindestens so gut wie in zahlreichen anderen Regionen. Dass das nicht in gößerem Umfang geschieht bzw. an Straßenrändern und sonstwo die reifen Äpfel von den Bäumen fallen und kaum einer sich drum schert, hat fassbare Gründe: (welt-)wirtschaftliche.
Solange die derzeit etablierten Regeln für Produktion, Warenwerkehr und Gewinnmaximierung nicht gekippt werden oder kippen, geht auch der Ausstoß von Kohlendioxid und dergleichen nicht zurück und der Klimawandel wird fortschreiten.
Ich hab’s an anderer Stelle mal so formuliert:
Es müsste meines Erachtens (und da bin nicht so allein) in den Industriegesellschaften zu einem Wandel der Lebensstile auf breiter Front kommen, der damit einhergeht, dass die Menschen sich weniger Konsum, Komfort und Bequemlichkeit erlauben und, salopp gesagt, den Hintern mehr bewegen… Altes Thema von mir, sorry.
Lassen Sie sich von vernünftigen Erwägungen zum Stichwort Nahrungskilometer nur nicht abbringen. Sie retten damit sicher nicht gleich die Welt, aber es gibt eine Menge guter Ansatzpunkte, die man sich nicht gleich von jedem Schlaumeier oder Wichtigtuer zerreden lassen sollte.
Sie und andere dürfen über meine weltverbesserische Attitude gerne auch mal schmunzeln, sofern Sie dem Hang zu Weltverbesserung und Gutmenschentum selbst nicht ganz entsagen. Es ist doch so wie der Zwerg Bebra von der Zirkustruppe in der Blechtrommel zum Gnom Oskar sagte: “Mein lieber Herr Oskar, wir kleinen Leute müssen vorleben, ein Beispiel geben…”
Guten Appetit jedenfalls, beim Zwetschgen vertilgen.
8. August 2007 um 19:36
Aber die CO2-Bilanz ist ja auch nicht alles. Öko-Bilanzen lassen sich halt meist so zurecht biegen, wie man es haben möchte. Leider.
Manueller Trackback: http://gotorio.squarespace.com/start/2007/8/8/alles-bio-oder-vielleicht-nur-ein-bisschen.html