Das erste Mal Fabrik
Donnerstag, 13. September 2007 um 10:53Das erste Mal landete ich in der Fabrik, als ich 17 war. Ich war zwar noch unter dem Mindestalter von 18 Jahren, das die große, große Fabrik für Ferienjobber gesetzt hatte; doch ich kam bei der DIW unter, Deutsche Industriewartung, die als so genannte Fremdfirma mit der Reinigung der Fabrik beauftragt war (und die das Büro putzt, in dem ich heute sitze – man begegnet sich wirklich, wirklich immer zweimal).
Vier Wochen meiner Sommerferien ging ich also Putzen, ich glaube 7 bis 4 Uhr. Ich war nicht die einzige Ferienjobberin bei der DIW: Die männlichen Aushilfen meiner Altersklasse mussten mit den DIW-Männern Lackierwannen reinigen oder Dächer von Werkshallen schrubben; wir beiden Mädchen wurden der Frauenriege eingegliedert, die für Umkleiden, Sanitärräume und Büros zuständig war.
Am stärksten in Erinnerung geblieben ist mir die Warmherzigkeit, mit der die fest angestellten Frauen uns umsorgten, und ihre Freundlichkeit. Es war völlig klar, dass wir Gymnasiastinnen eine andere berufliche Zukunft anpeilten; ich hatte deshalb ein bisschen Angst, dass die Damens uns besonders triezen würden. Doch wir waren einfach ihre Küken, auf die man aufpassen musste. So schoben sie uns die allerleichtesten Aufgaben zu; weder mussten wir die Umkleideräume der Arbeiter sauber machen, schon gleich gar nicht Klos.
Jeden Morgen kam ein Kleinbus an die Sammelstelle bei den Umkleiden der Zentrale und fuhr uns auf dem sehr weitläufigen Werksgelände an das Gebäude, in dem wir putzen sollten. Die andere Schülerin hieß Linde („genau, wie der Kühlschrank“) und war eine winzige Elfe mit Porzellanhaut, kurzen schwarzen Locken, schwarzumrandeten Augen im Gesichtchen, dramatischen Gesten und einer bösen Gosche, die Bäume hätte fällen können. Ich war sofort in sie verliebt.
Die erste Woche wurden wir allmorgentlich zur „Jahresreinigung“ in ein entlegenes Verwaltungsgebäude im Stil einer 70er-Amststube geschafft. Die Männer darin waren so begeistert, dass hier endlich mal jemand gründlich putzte, dass sie uns wie Gäste behandelten, uns Kaffee kochten und Kuchen brachten. Eine weitere Woche waren wir im Ärztezentrum der Fabrik beschäftigt, auch dort mit einer über das alltägliche hinausgehende Reinigung. Hier wurde uns erheblich genauer auf die Finger geschaut: Abends fuhr eine streng dreinschauende Ärztin mit einem Taschentuch über obere Türrahmen – die wir ab dem zweiten Tag auch tatsächlich sauber machten.
In all diesen Aufträgen waren Linde und ich kolossal unterbeschäftigt und widmeten uns seligem Jungmädchengetratsche.
Danach beschränkte sich unser Austausch auf die Mittagspause: Wir waren mit der Grundreiningung eines Neubaus betraut, Linde an einem Ende, ich am anderen. Ich erinnere mich, dass ich dazu unter anderem einen mächtigen Industriestaubsauger zur Verfügung hatte, der auch kleinere Säugetiere verschluckt hätte. Und dessen Motorgeräusch im Kammerton A gestimmt war – das nutzte ich, indem ich in den einsamen Fluren und Treppenhäusern (Akkustik!) mit Staubsaugerbegleitung lauthals das ganze Repertoire meines damaligen Chores rauf und runter sang.
Zur Brotzeit wurden wir wieder abgeholt und machten mit den fest angestellten Putzfrauen zusammen Pause. Derb und einfach waren sie alle, aber mir fällt nicht eine ein, die unsympatisch gewesen wäre. Die Gesprächsthemen waren mir eher fremd, unter anderem, weil die Damen einer deutlich anderen Altersklasse angehörten. An eine Unterhaltung erinnere ich mich bis heute besonders deutlich: Das Gespräch drehte sich gerade um das Bedauern, dass nichts mehr so wie früher sei. Eine der älteren Putzkolonnendamen ließ sich darüber aus, wie viel aufgeklärter heute die jungen Frauen seien als zu ihrer Jugendzeit. Einerseits begrüßte sie das, doch äußerte sie sich bedauernd, dass es heute halt in der Sexualität gar keine Geheimnisse mehr gebe: „Wo i as erste Moi schwanger war,“ erzählte sie als Beispiel, „hab i net amal gwusst, wo des Kind nacha rauskummt.“ Der Kindsvater habe das geklärt: „‚Do wo’s neikumma is!’, hat mei Mo gsagt!” Dröhnendes Gelächter in der Frauentruppe.
Bleibende Erinnerungen hinterließ auch nicht nur der Supersauger, sondern das weitere Arbeitsmaterial, das zur Verfügung gestellt wurde. Da gab es zum Beispiel dieses sensationelle rosarote Putzmittel, das sehr sauber roch: Ein Tropfen davon auf einem Schreibtisch genügte, und ich bekam ihn mit einem weichen Tuch sauber wie neu. Dieses Zaubermittel vermisse ich bis heute, wenn ich mal wieder vergeblich an einem Flecken herumrubble. Dass mir im Lauf des Tages vom Hantieren mit dem Zeug sämliche Schleimhäute zuschwollen, wird schon nicht so schlimm gewesen sein.
die Kaltmamsell8 Kommentare zu „Das erste Mal Fabrik“
Sie möchten gerne einen Kommentar hinterlassen, scheuen aber die Mühe einer Formulierung? Dann nutzen Sie doch den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein, Sternchen darüber und darunter kennzeichnen den Text als KOMMENTAROMAT-generiert. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken.
13. September 2007 um 12:36
Mir ist genau ein einziges Mittel bekannt, auf dessen Eigenschaften Ihre Beschreibung zutrifft, wobei es mehr eine Möbelpolitur als ein Putzmittel ist, welche auch alte Möbel perfekt pflegt: Es heißt “Estalin” (in Österreich zumindest) und ist nach wie vor erhältlich, allerdings nicht in den üblichen Supermärkten und Drogerien, sondern in gut sortierten Baumärkten und vielfach auch im Farbenfachhandel.
13. September 2007 um 19:33
Das rosa Zeug kenne ich, glaube ich. Die Mama von einem Ex wollte damit meinen Küchenboden säubern, wogegen ich mich nach Lektüre des Etiketts stets kräftig wehrte (barfuss laufen, Katzen …), denn das war ein Profi-Mittel der Reinigungsfirma, für das die Dame eine Kolonne leitete – und richtig schlimm gefährlich. Li-Ex oder Litex? hieß das.
14. September 2007 um 13:30
Das ist das Sanicit von Taski. Eigentlich ein Sanitärreiniger, wird aber für alles Mögliche gebraucht. So unter Putzfrauen.
14. September 2007 um 17:36
Verzeihung, aber könnten Sie der Akustik das eine, überzählige k amputieren? Ich kann sonst nicht schlafen.
15. September 2007 um 8:14
Ich widerstehe der Versuchung, das zweite k einer Lautmalerei in die Schuhe zu schieben – danke für den Hinweis, duden.
14. Februar 2010 um 12:59
Das ist ja eine derart reizende Geschichte! Die Akkustik stört mich dabei überhaupt nicht.
9. November 2017 um 8:29
Falls es noch immer vermisst wird:
https://www.amazon.de/JA-TOP-38-Spr%C3%BChflasche-Universalreiniger-Intensivreiniger/dp/B000W4GL6G
9. November 2017 um 8:40
Vielen Dank, Sandra Wiegard! Dass es das Zeug auch in 10-Liter-Kanistern gibt, ist besonders vertrauenserweckend.