Gentechnik und Lebensmittel

Freitag, 1. Februar 2008 um 10:14

Bei manchen Themen verschätze ich mich in der Reaktion der betroffenen Bevölkerungsgruppen sehr. Zum Beispiel als es erstmals ernsthaft um die Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten ging: Oh, dachte ich mir, da werden sich die Verkäuferinnen und Verkäufer aber freuen, dass sie endlich ihre Arbeitszeiten mit andere Interessen abstimmen können. Ich war wirklich völlig verdutzt, als die Gewerkschaften lauthals protestierten.

Oder als seinerzeit die Möglichkeit der Genveränderung an Pflanzen publik wurde: Oh, dachte ich mir, da werden sich die Umweltschützer aber freuen, dass man endlich eine Möglichkeit gefunden hat, Pestizide und Herbizide zu umgehen, die sich bewiesenermaßen so nachhaltig schädlich auf Fauna und Flora auswirken. Und so bin ich bis heute ehrlich verdutzt, dass Umweltschützer die grüne Gentechnik als höchstwahrscheinliche Apokalypse bekämpfen.

Ja, einiges an den Konsequenzen der Genmanipulation ist noch nicht absehbar. Wir wissen ja auch noch nicht, welche Konsequenzen langfristig die Kreuzung von Pflaumen und Pfirsichen zur neuen Obstart Nektarine im ökologischen Gesamtsystem haben wird. Wo man früher über Jahrzehnte mit Hilfe von trial and error gezüchtet hat, um eine gewünschte Eigenschaft einer Pflanze zu etablieren, knöpft man sich jetzt ohne Umwege das verantwortliche Gen vor.

Ich sehe in dem Protest auch das diffuse Unwohlsein gegenüber allem, was aus einem Labor kommt. Dieses Unwohlsein entwickelt sich zu einer Abwehr, die sich sogar vor dem Fleisch von Tieren ängstigt, die mit genveränderten Pflanzen gefüttert wurden – nimmt also eine Übertragung von Genveränderung durch orale Infektion an?

Dazu kommt ein paradoxes Naturverständnis, das den Menschen und sein Handeln außerhalb des Systems „Natur“ sieht und flugs Gentechnik als „unnatürlich“ deklariert – was automatisch negativ besetzt ist. Aber Flugreisen, Kühlschränke, Wettersatelliten, pasteurisierte Milch oder elektronisch gesteuerte Bewässerungsanlagen sind natürlich?

Ein Einwand, der mir die Abwehr zum ersten Mal nachvollziehbar machte, war der Hinweis auf die Macht, die Saatgut-Unternehmen mit erfolgreicher Gentechnik bekommen würden: Die entsprechenden krankheitsresistenten Pflanzen gäbe es natürlich nur bei ihnen und nur gegen Geld. Schließlich haben sie große Summen in die Entwicklung gesteckt und wollen das wiederhaben. Nur: Verbreitet sich technischer Fortschritt nicht meist durch marktwirtschaftliches Gewinnstreben? Und reicht das, um jedem erfolgreich forschenden Unternehmen das Ziel Weltherrschaft, Monopolismus und Unterdrückung zu unterstellen?

Auch vor der Zulassung des Fleisches geklonter Tiere zum Verzehr habe ich keine Angst. Wie hoch ist denn noch der Anteil von Tieren, die durch zwischentierliche Begattung gezeugt wurden, an unserem derzeitigen Fleischkonsum, selbst wenn wir Supermarktfleisch meiden? Zumal es unwahrscheinlich ist, dass ausgerechnet aufwändig und teuer geklonte Tiere zum Metzger kommen sollen, wo die übliche ungeklonte In-Vitrio-Fertilisation immer preisgünstiger bleiben wird. (Hintergrund hier bei Heise.)

Vielleicht setze ich einfach andere Schwerpunkte in der Sicht auf Forschungsergebnisse. Weil mir ganz persönlich als erstes fast immer die neuen Möglichkeiten einfallen, die sich dadurch ergeben und nicht die Apokalypse. In Umberto Ecos Einteilung in Apokalyptiker und Integrierte (hier eine Anwendung des Begriffspaars in der Zeit) bin ich wohl ziemlich klar in der zweiten Gruppe.

Deshalb ist es ein exzellenter Service für beide Reaktionssorten, Genveränderungen am Produkt zu vermerken. In ein paar Jahrzehnten schaun mer mal, ob ich als Verzehrerin von genveränderten Pflanzen einen Schaden davongetragen habe – oder vielleicht sogar dadurch immun gegen Grippeviren geworden bin. (Scherz.)

die Kaltmamsell

16 Kommentare zu „Gentechnik und Lebensmittel“

  1. stephen meint:

    Alles in allem scheint mir die Entwicklung der Menschheit als Ganzes die Darwinschen Thesen zu bestätigen – der kurzfristige evolutionäre Vorteil, den der aufrechte Gang und die Ausbildung eines überdimensionierten Grosshirns brachten, wird möglicherweise langfristig nicht darüber hinweghelfen, dass “the selfish gene” sich entweder durchsetzen wird (aber das hat mit der Weiterexistenz der Menschheit nichts zu schaffen) oder das Experiment mit der DNA-Rekombination komplett scheitert. Wie im weiten Universum wohl Millionen anderer Experimente, von uns unbemerkt, ebenfalls gescheitert sind. Und in den anderen Universen oder Multiversen, von denen die Theoretiker gerade glauben eine Vorstellung zu gewinnen.

  2. Jens meint:

    Naja, warum genetisch verändertes Saatgut unbedingt impotent sein muss hab ich mir andererseits auch nicht anders erklären können, als mit der Idee, den Bauer hier abhängig zu machen weil er jedes Jahr wieder neu Samen kaufen muss. Es ist aber wohl richtig, daß ein Großteil der Gründe einer grundsätzlichen Abwehr von Gentechnik wohl eher so einer Art ökokonservativem Weltbild geschuldet ist.

  3. creezy meint:

    Nun, Fakt ist, genetische Veränderung von Lebensmitteln ist ein Thema in dem wir kleine Deppen die große anonyme Testwiese sind. Für mich ist da schon ein Unterschied, ob ich als Testperson für das Riskio, das ich eingehe, bezahlt werde oder nicht.

    Fakt 2 ist, genetische Veränderung von Lebensmitteln ist auch nur eine Lösung für einen minimalen Zeitraum. Alle kleinen Parasiten die man heute glaubt dank genetischer Veränderung ausgeschaltet zu haben, werden in spätestens 20 Jahren so weit mutiert sein, dass sie sich wieder fröhlich über genmanipulierten Mais hermachen werden.

    Das weiß jeder Genforscher. Die, die noch die Wahrheit sagen zum Thema würden im obigen Absatz die 20 Jahre dezent grinsend auf einstellig runter rechnen. Und die Stirn in Falten legen, wenn das Thema auf die mutierten Parasiten kommt, denn von diesen Mutation haben sie im Grunde keine Ahnung. Und das macht einem verantwortungsbewussten Forscher Sorge. Große Sorge.

    Genmanipulation in der freien Wildbahn heißt gegenseitiges Aufrüsten. Ich bezweifle ernsthaft, dass wir den Krieg gewinnen werden. Und ob dank neuer Gentechnologie tatsächlich weniger Afrikaner sterben werden, halte ich auch für ein Marketinggerücht. Die müssen ja erst mal an die teure Technologie kommen. Hinter Gentechnologie stecken keine guten Geister, sondern Industrien, die viel Geld machen wollen. Und werden, wenn dann erst einmal die allerletzte nicht genmanipulierte Kartoffel von dieser Erde verschwunden ist.

  4. Liisa meint:

    @ creezy: wohl Apokalyptikerin, was?! ;o))) Nee, im Ernst jetzt: gut zusammengefaßt, was ich gerade auch kommentieren wollte!

  5. KleinesF meint:

    Vor Monsanto habe ich schon ein bisschen Angst. Und vor meinem Clon auch. Der wird mir was husten.

  6. Richard meint:

    Wem nutzen Menschen mit Zukunftsangst? Leichter steuerbar? Wie ja aufgezeigt, eine an sich einmal als positiv empfundene Entwicklung, Ernteverbesserungen durch “grüne Revolution” – nun obsolet, soll ersetzt werden? Fakten? Erfahrungen?
    Als die Ersten vom Nomaden zum Seßhaften mutierten begann doch die Veränderung der “Natur” – oder?

  7. Georg meint:

    „Ein Einwand, der mir die Abwehr zum ersten Mal nachvollziehbar machte, war der Hinweis auf die Macht, die Saatgut-Unternehmen mit erfolgreicher Gentechnik bekommen würden: Die entsprechenden krankheitsresistenten Pflanzen gäbe es natürlich nur bei ihnen und nur gegen Geld.“

    Bei Mais existiert diese Situation schon seit Jahrzehnten, da dessen gezüchtetes/gekreuztes Saatgut nicht ohne erhebliche (natürliche) genetische Mängel – und daraus resultierenden Ertragseinbußen von rund 1/4 bis 1/3 – aus den Ertragspflanzen entnommen werden kann. Stattdessen wird Maissaatgut für jede Pflanzung neu aus Ursprungslinien gezogen und von einer recht überschaubaren Gruppe von Züchtern vertrieben. Gentechnik wird an dieser Situation nichts ändern.

    Ich halte den generellen Trend zur Sortenmonokultur, nicht nur bei Mais, für ein größeres Problem als speziell die genetische Veränderung im Labor. Wie „creezy“ schon angesprochen hat, ist „genetische Veränderung“ „nur eine Lösung für einen minimalen Zeitraum“, da sich auch Parasiten u.ä. anpassen. Das gilt natürlich auch bisher schon für die genetische Veränderung durch Züchtung/Kreuzung. Bei einer Verringerung der Sortenzahl (oder engere Verwandtschaft zwischen Sorten) hat dieses „gegenseitige Aufrüsten“ aber weit größere Auswirkungen. Ich befürchte, dass Gentechnik die Konzentration auf wenige Sortenlinien noch beschleunigen wird.

  8. Mittelbayer meint:

    Ich finde es interessant, wie manche Menschen ihre Wortmeldung zwar mit “Fakt ist” einleiten, aber dann statt Tatsachen nur Polemik folgen lassen.

  9. markus meint:

    Mich ängstigt an Lebensmitteln aus dem Labor die deutlich höhere Gefahr katastrophaler Interaktionen. Die Killerbiene ist ein Produkt konventioneller Züchtung und schon ziemlich übel. Auch wenn ich nicht glaube, dass die Beschränkung auf in der Natur prinzipiell mögliche genetische Kombinationen einen absoluten Schutz darstellt, scheint es selbstverständlich, dass in einem kleineren Pool von Möglichkeiten auch weniger Katastrophen zu finden sind.
    Und: http://www.cracked.com/article_15801_5-current-genetic-experiments-most-likely-destroy-humanity.html

  10. Lupus meint:

    Aber Nektarinen sind keine neue Züchtung, sondern eine Variante des Pfirsichs. Um zielgerichtet Nektarinen zu produzieren, werden sie lediglich auf andere Obstbäume (Pflaume z.B.) okuliert. Und das geschieht schon seit über tausend Jahren.

    Viele Grüße
    Lupus

  11. creezy meint:

    @Mittelbayer
    War für ein herzerfrischender smarter Kommentar! Und wenn ich nun jetzt alle Quellen, die mich in den letzten zehn Jahren zu meiner Überzeugung haben kommen lassen, Dir benannt hätte (und damit das CMS hier vermutlich gesprengt hätte), dann hättest Du hier was Konstruktiveres zu dem Thema abgesondert als Du es nun getan hast?

    Oder was ist genauer Sinn Deiner Polemik?

  12. helmut meint:

    Hallo,

    wie man zum Beispiel auf Monsanto.com sehen kann, wird genmanipuliertes Saatgut von Firmen hergestellt, die auch Pflanzenschutzmittel und Düngemittel verkaufen.
    Einsparungen beim Gifteinsatz in der Lebensmittelerzeugung wird daher kaum ein Motivation für Genmanipulations sein. Vielmehr die Zwang ein bestimmtes Mittel kaufen zu müssen, ohne Alternativen zu bekommen (z.B. “Roundup ready”). Damit wird der Biomarkt dann erst recht kaputt gemacht.

  13. Angel meint:

    Passend zur Diskussion: http://www.geo.de/GEO/technik/56099.html

  14. Mittelbayer meint:

    Creezy, in der Sache wollte ich Ihnen nicht widersprechen! Aber die Diskussion so zu führen, bringt uns nicht weiter! Wenn die Fronten sich verhärten, dann gewinnt der Stärkere, und das sind gewiss nicht Sie.

  15. arztgatten(ex)ehefrau meint:

    Mir ist erst so richtig bewusst geworden, wie gefährlich gentechnologisch veränderte Nahrungsmittel sind, als ich darüber nachdachte, dass alle mögliche Eigenschaften einfach in andere Pflanzen übertragen werden könnnen und die allegenen Eigenschaften gleich mit.
    Ich habe Zöliakie/Sprue und es wäre mir ein Graus, wenn jemand die positiven Eigenschaften der Weizenstärke irgendwelchen Erdbeeren oder Mirabellen angedeihen liesse, weil damit so wunderbar Marmelade (nein es muss Konfitüre heissen, Marmelade ist nur aus Orangen) zu kochen ist.
    Dass unsereine dann Durchfall und ein heftige Entzündung im Darm kriegt, die evtl. zu Krebs führt, ist ja nur ein kleiner Nebenaspekt im Vergleich zu all den Vorteilen für den Rest der gesunden Welt. Es lebe der Darwinismus – nur der Gesunde soll das überleben.

    Mit leichtem Bauchgrimmen grüßt

    die Ex vom Arztgatten

    die heute wieder vorzüglich ganz ohne Mehl und Getreide gekocht hat.

  16. Ullrike meint:

    Hallo,
    hoffentlich haben Sie gestern auf ARTE den Bericht über Monsanto gesehen!
    Gruß Ullrike

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