Familiensonntag
Montag, 17. März 2008 um 10:28Das Ausflugslokal am beliebtesten Schlittenberg meiner Kindheit, in dem wir den 65. Geburtstag meines Vaters feiern. Meine Mutter ist niedergeschlagen, weil die Chemo sie zu sehr schwächt, als dass sie die seit Monaten ausgetüftelten Pläne für eine große Feier umsetzen könnte. Von allen Seiten Komplimente für ihre Perücke.
Die Speisekarte, die alles versucht: Deutsches gutbürgerlich, italienische Vorspeisen, russische Spezialitäten, Vegetarisches, Pizza, Fisch von Lachs bis Karpfen („Meeresgrüße“ – ?). Unsere Bestellungen tendieren deutlich gen Russland. Die Küchencrew ist mit unserem Neunertisch komplett überfordert: Das Auftragen der durchwegs wohlschmeckenden Speisen (pro Kopf höchstens zwei Gänge) zieht sich über drei Stunden.
Mein Bruder, der von Kindheit an unter Höhenangst leidet und erzählt, wie er letzthin beim Skifahren mit seinem sechsjährigen Sohn bei Sturm in einer Vierergondel saß, die wegen des heftigen Windes immer wieder anhielt. Wie er sich panisch auf dem Boden der Gondel zusammenkauerte, seinem Sohn erklärend, dass Papa sich leider wegen der Wackelei der Gondel ganz schrecklich fürchten muss, dass das aber noch lang nicht heißt, dass Sohn sich fürchten muss. Wie sein tatsächlich gelassener Sohn die Situation erfasste und seinem Vater zur Beruhigung etwas vorsang, quer durch das Repertoire seines Kinderchores, den Vater immer wieder zum Mitsingen animierend.
Die Gruppe ehemaliger Arbeitskollegen meines Vaters (Namensvetter des Heilands) auf dem Parkplatz vor dem Lokal, die ihn sehen, sich sichtlich über dieses zufällige Treffen freuen. Einer drückt seine Freude lautstark aus mit: „Ja, da Jäsus! Der Hund, der verreckte!“ Das ist Bayern.
Die Nichte (3 Jahre alt), die sich sehr für das an meinen Beinen interessiert, was aussieht wie meine Beine, das sich aber ganz anders anfühlt (Strumpfhose), und die dann unbedingt wissen will, wie das in meinen Schuhen weitergeht. Höchste Faszination für die verstärkte Fußspitze.
Dieselbe Nichte, die ihren Vater „Paps“ nennt – ein Wort, das sie garantiert nicht im Familienkreis gehört hat. Meinen fragenden Blick beantwortet dieser Vater mit hilflosem Achselzucken.
die Kaltmamsell3 Kommentare zu „Familiensonntag“
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17. März 2008 um 21:41
Dieser Film. Unser Leben
18. März 2008 um 0:36
Und schon wieder die Strumpfhose.
18. März 2008 um 8:45
Manch einer erfährt erst in der Krise, weshalb er gut daran tat, seinem Kinde auch in digitalen Zeiten noch etwas analoge Erziehung angedeihen zu lassen: Ein Chorrepertoire ist unendlich wertvoll. Diese Kinder geraten ja wunderbar und passen gut in eine Familie, die bestimmt viele Pläne der (Gross)Mutter verwirklichen hilft, wenn sie sie nicht mehr allein umsetzen kann. So muss es sein, das Leben.