Wallfahrt zum Hl. Homöopathus
Mittwoch, 19. März 2008 um 8:21Apropos Wallfahrten / Homöopathie: Schon vor längerer Zeit hat mich Leser Stephan (danke!) auf eine schöne Geschichte im Guardian hingewiesen: „A kind of magic?“ von Ben Goldacre. Goldacre versucht sich sogar auf den typischen Homöopathie-Gläubigen einzustellen, der leicht erkennbar ist an der Aussage
“Look,” they begin, “all I know is that I feel better when I take a homeopathic pill.”
Er stellt einen Versuchsaufbau vor, der auch diesen Menschen transparent machen müsste, ob es wirklich die Pillen sind, wegen derer sie sich besser fühlen. Man nehme 200 solcher Menschen mit Beschwerden und teile sie nach Zufallsprinzip in zwei gleich große Gruppen. Alle 200 gehen zum Homöopathen ihrer Wahl, alle bekommen ein Rezept für ein homöopathisches Mittel („because homeopaths love to prescribe pills even more than doctors“) und alle gehen in ihre homöopathische Apotheke. Jeder Patient kann was auch immer verschrieben bekommen haben, ganz verschieden, ganz individuell nach den auf Individualität angelegten homöopathischen Methoden. Und jetzt kommt’s: Die eine Hälfte bekommt tatsächlich ihre homöopathischen Mittel, die andere Gruppe bekommt einfache Zuckerpillen. Ganz wichtig ist dabei, dass weder die Patienten noch die Leute, denen sie in diesem Versuch begegnen, wissen, zu welcher Gruppe sie gehören.
This trial has been done, time and time again, with homeopathy, and when you do a trial like this, you find, overall, that the people getting the placebo sugar pills do just as well as those getting the real, posh, expensive, technical, magical homeopathy pills.
Goldacre nimmt keineswegs die Versuchsanordnungen der Schulmedizin in Schutz:
Now there are bad trials in medicine, of course, but here’s the difference: in medicine there is a strong culture of critical self-appraisal. Doctors are taught to spot bad research (as I am teaching you now) and bad drugs. The British Medical Journal recently published a list of the top three most highly accessed and referenced studies from the past year, and they were on, in order: the dangers of the anti-inflammatory Vioxx; the problems with the antidepressant paroxetine; and the dangers of SSRI antidepressants in general. This is as it should be.
With alternative therapists, when you point out a problem with the evidence, people don’t engage with you about it, or read and reference your work. They get into a huff. They refuse to answer calls or email queries. They wave their hands and mutter sciencey words such as “quantum” and “nano”. They accuse you of being a paid plant from some big pharma conspiracy. They threaten to sue you. They shout, “What about thalidomide, science boy?”, they cry, they call you names, they hold lectures at their trade fairs about how you are a dangerous doctor, they contact and harass your employer, they try to dig up dirt from your personal life, or they actually threaten you with violence (this has all happened to me, and I’m compiling a great collection of stories for a nice documentary, so do keep it coming).
Wobei Goldacre durchaus von mehr als einem überaus nützlichen Einsatz der Homöpathie in der Geschichte berichten kann:
Let me tell you about a genuine medical conspiracy to suppress alternative therapies. During the 19th-century cholera epidemic, death rates at the London Homeopathic Hospital were three times lower than at the Middlesex Hospital. Homeopathic sugar pills won’t do anything against cholera, of course, but the reason for homeopathy’s success in this epidemic is even more interesting than the placebo effect: at the time, nobody could treat cholera. So, while hideous medical treatments such as blood-letting were actively harmful, the homeopaths’ treatments at least did nothing either way.
Today, similarly, there are often situations where people want treatment, but where medicine has little to offer – lots of back pain, stress at work, medically unexplained fatigue, and most common colds, to give just a few examples. Going through a theatre of medical treatment, and trying every medication in the book, will give you only side-effects. A sugar pill in these circumstances seems a very sensible option.
Ich empfehle sehr die Lektüre des gesamten Artikels. Am Ende gibt es noch eine genaue Erklärung der angeblich wissenschaftlichen Basis für die Wirkung homöopathischer Mittel, also:
Homeopathic remedies are made by taking an ingredient, such as arsenic, and diluting it down so far that there is not a single molecule left in the dose that you get. The ingredients are selected on the basis of like cures like, so that a substance that causes sweating at normal doses, for example, would be used to treat sweating.
(…)
A 30C homeopathic preparation is a dilution of 1 in 10030, or rather 1 in 1060, which means a 1 followed by 60 zeroes, or – let’s be absolutely clear – a dilution of 1 in 1,000,000,000,000,000,000, 000,000,000,000,000,000,000,000,000, 000,000,000,000,000.
(…)
How can an almost infinitely dilute solution cure anything? Most homeopaths claim that water has “a memory”. They are unclear what this would look like, and homeopaths’ experiments claiming to demonstrate it are frequently bizarre. As a brief illustration, American magician and debunker James Randi has for many years had a $1m prize on offer for anyone who can demonstrate paranormal abilities. He has made it clear that this cheque would go to someone who can reliably distinguish a homeopathic dilution from water. His money remains unclaimed.
Aber: Religionsfreiheit. Glauben Sie ruhig weiter dran.
die Kaltmamsell21 Kommentare zu „Wallfahrt zum Hl. Homöopathus“
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19. März 2008 um 9:42
Also, der beschriebene Versuchsaufbau ist ein Doppelblindtest. Ein bestandender (also mit signifikanter Verbesserung des Gesundheitszustandes bei dem echten Medikament gegenüber dem Placebo) Dopelblindtest ist Grundvoraussetzung für eine Freigabe eines Medikamentes. Und auch für eine Bezahlung durch eine Krankenkasse.
Aber ich zitier mal:
Dogbert: This’ll cure you immediately.
Dilbert: Really? What is it?
Dogbert: A placebo.
Dilbert: A placebo? Now that you’ve told me its a placebo, its not gonna work.
Dogbert: It will if you think it will,
Dilbert: But I already know it’s a placebo!
Dogbert: Maybe it isn’t.
Dilbert: You just said it was!
Dogbert: That’s precisely the power of the placebo.
Grüße
Stefan
19. März 2008 um 11:04
Hörrlisch!
19. März 2008 um 13:30
Die ganz Diskussion um Homöopathie, Placebos usw. ist doch müßig. Mit unseren beschränkten Fähigkeiten (menschliches Hirn) können wir doch kaum was erklären. Jeder doktert auf verschiedene Arten und Weisen herum (und da ist die Schulmedizin auch nur ein Krücke). Der Mensch weiß rein gar nichts! Weder warum es eine Evolution gibt, noch wann sie endet und warum. Ich rate: Warum das Ungeklärte nicht einfach genießen? Und wenn Homöopathie oder Placebo hilft …so what!?
19. März 2008 um 14:31
Was mich interessieren täte: wieviel Kalorien hat eigentlich ein Globuli?
20. März 2008 um 8:29
stefan: Homöopathische Mittel sind von diesem Wirksamkeitsnachweis für die Zulassung als Medikament befreit. Man könnte unken, dass die Behörden halt das Fehlen jeglicher medizinischen Wirksamkeit, und damit auch jeder Schädlichkeit zugrunde gelegt haben. Dass eine Kasse dennoch dafür zahlt, ist blanke freie Marktwirtschaft.
Es gibt noch sehr viel herauszufinden, Marie, da gebe ich Ihnen recht. Umso verwerflicher halte ich es, die Erkenntnisse, die es schon gibt, ungenützt zu lassen. Zudem hat Homöopathie bei seinen Anhängern durchaus auch schädliche Auswirkungen: Angefangen, dass sie sich vor echter Medizin fürchten (Nocebo-Effekt), bis hin zur Vermeidung dringend nötiger medizinischer Behandlungen bei schweren Krankheiten. Ich fühle mich manchmal an das Verbot von Bluttransfusionen bei Zeugen Jehovas erinnert.
GlobulUM, Frau Klugscheißer, wenn ich bitten darf, so viel Zeit muss sein.
20. März 2008 um 9:12
Ich glaube auch sehr stark an das Placebo-Effekt (und gestehe auch, dass ich es aus eigener Erfahrung berichten kann – manchmal ist man wirklich verzweifelt – selbst bezahlt, muss ich dazu anmerken), allerdings kann ich mir nicht erklären, dass die Globuli auch bei kleinen Kindern wirken, denen sie beim Schlafen ins Maul geschoben worden sind. Placebo-Effekt an Mutter, die durch ihr Glauben gute Schwingungen zu ihren Kindern überträgt und sie somit heilt?
20. März 2008 um 9:42
Globulus, bitte. Wenn schon klug gesch… wird…
Und in der D- oder C-Potenzierung hat ein Globulus ca. 8 mg = 0,008 g und besteht aus Zucker; das macht also 0,03 kcal/Globulus. Dick machts zumindest nicht…
20. März 2008 um 9:59
Mei, mein Bub bekommt Globuli gegen die Schmerzen beim Zahnen. Kosten 5,45 EUR. Arm machts zumindest auch nicht.
Liebe Kaltmamsell, ja das stimmt, Homöopathie wird wohl auch ohne durch Studien nachgewiesene Wirksamkeit gezahlt. Ich bin da auch zwiegespalten. Auf der einen Seite kann ich mir die Wirksamkeit mit meinem physikalischen Schulwissen nicht erklären. Andererseits scheint es zu wirken. Jedenfalls ist der Kleene immer besser drauf, wenn man ihn “globuliert”. Oder sollte es der Zucker sein :-) ?
20. März 2008 um 10:22
Natürlich geht’s dem Kind besser: es spürt die Zuwendung, die mit den Globuli verbunden ist. Beim Zahnen geht es doch nicht um das Heilen einer Krankheit, sondern um das Lindern von Beschwerden. — Man darf sicher pauschal unterstellen, dass homöopathisch orientierte Eltern zu denen gehören, die sich ganz besonders um ihre Kinder sorgen. Daraus könnten viele Wirkungen erklärt werden.
20. März 2008 um 10:55
Ich rate zu Apfelwein. Den kann man tropfen.
20. März 2008 um 11:19
Sie würden auf die Homöopathie-Gläubigen Apfelwein tropfen? Und das soll helfen? ;-)
20. März 2008 um 11:54
Liebe(r) stefanolix,
da muss ich ein wenig widersprechen. Ich glaube nicht, dass das Einflößen der Globuli irgendwie zur Verbesserung der Zuwendung führt. Also, weil ich erstens (und das gilt auch für die Mutter) es ihm niemals an Zuspruch und und Nähe mangeln lassen. Schon gar nicht bei Schmerzen, die bei den meisten Eltern sicher einen Pflege- Knuddel- und Schaukelinstinkt auslösen. Und weil auch, zweitens, das Globuli – Geben für das Kind sehr uninteressant ist. Mund auf – Löffel rein – Löffel raus – Mund zu – Ende. Dauer 3 sec.
Insofern finde ich die oft vorgebrachte Argumentation der Sysmptombesserung durch erhöhte Zuwendung während der Medikamten/globuli/Placebo – Gabe zu kurz gegriffen.
20. März 2008 um 12:03
Und das ist genau der Punkt, stefan: Die einen führen Glauben und Fallbeispiele an, die anderen nachprüfbare Versuche. Im Grunde müsste eine neutrale Stelle Ihnen mal Globuli für Ihren Sohn in die Hand drücken, mal Zuckerkügelchen. Und Sie müssten an der Reaktion Ihres Sohnes festellen können, was es war.
20. März 2008 um 12:39
Liebe Kaltmamsell, so sehe ich es auch, auch wenn meine Argumentation gelegentlich hormonell getrübt sein sollte. Gibt es eigentlich keine Doppelblindtests, die die Wirksamkeit gezeigt haben ?
Und jetzt mal so aus meinem Statistikdiplom: Ich muss nur mit signifikat höherer Quote die Reaktion unterscheiden können. Fehlerquote erlaubt. Und für Medi’s gilt , soweit ich mich erinner, dass nur die Relativequote zum Placebo signifikant höher sein muss.
Aber eigentlich ist es mir egal, jeder soll mal machen, wei er denkt. Solange er seinen Schamanen selbst bezahlt. Oder seine Versicherung.
20. März 2008 um 13:05
Alle Doppelblindtests, und es gab einige, haben nachgewiesen, dass die Wirksamkeit homöopathischer Mittel gleichauf mit Placebos liegt (siehe Blogeintrag oben und verlinkten Artikel). Auch bei Haustieren und Babys.
Zudem konnte noch niemand homöopatische Lösungen von homöopathiefreien unterscheiden, mit keiner Untersuchungsmethode. Versuchen Sie’s: James Randi hat darauf eine Million Dollar ausgesetzt.
Details auf Deutsch gibt’s hier:
http://www.gwup.org/themen/texte/homoeopathie/
und hier Reaktionen auf die gängigsten Annahmen von Homöopathie-Gläubigen:
http://www.gwup.org/themen/texte/homoeopathie/fragen.html
20. März 2008 um 13:09
@stefan: da muss ich etwas richtigstellen. Als erhöhte Zuwendung sehe ich alle Bemühungen an, die einem Kind während der Zahnbeschwerden zuteil werden. Das Globulum ist (meiner Meinung nach) nur ein Beiwerk, das man auch durch eine andere neutrale Gabe ersetzen könnte. Dem Kind dürfte es egal sein, ob in dem Löffel Wasser homöopathische Substanzen enthalten sind oder nicht — es würde aber ganz großen Kummer spüren, wenn es überhaupt nichts bekäme.
Im übrigen reden wir ja hier über relativ harmlose Dinge. Schlimm wird es, wenn Eltern ihren Kindern auch die wichtigsten Impfungen verweigern und dann z.B. mit Globuli gegen Keuchhusten vorgehen. Wer mal ein Kind mit Keuchhusten gesehen hat, der wird wissen, was ich meine …
20. März 2008 um 13:23
Im SZ-Magazin stand vor kurzem was über die Illusionen der Schulmedizin. Ich hatte fast damit gerechnet, dass Sie das thematisieren.
Für die, die die SZ nicht im Abo haben.
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/index.php?id=110&tx_ttnews%5Btt_news%5D=4611
Die Homöopathie verursacht sicher keine grossen Kosten. Die meisten Krankenkassen bezahlen in der Richtung nichts.
20. März 2008 um 13:44
Habe mir erlaubt, loreley, den Link geradezurücken (den meinten Sie doch?).
Darin werden allerdings Aussagen widerlegt, die wer nochmal getroffen hat? Zum Beispiel “Die flächendeckende Versorgung mit Hightech-Medizin – ein Segen für die Menschen” oder “Die Medizin ist für eine zunehmend alternde Gesellschaft bestens gerüstet.” Wer behauptet das?
Kosten: Mir hat ein Augenarzt mal ohne Erklärung ein Rezept für drei homöopathische Mittel gegeben, die mich damals zusammen etwa 60 Mark gekostet haben. Erst die Packungsaufschrift “rhythmisch geschüttelt” machte mich misstrauisch.
20. März 2008 um 13:54
Der Artikel durchleuchtet verschiedene Thesen. Es ist doch ohne Zweifel so, dass die Kosten im Gesundheitsbereich explodieren. Da darf man sich schon fragen, wo das ganze Geld bleibt. Zufrieden ist ja keiner. Der Patient nicht und der Arzt inzwischen auch nicht mehr, egal ob im Krankenhaus oder als Hausarzt.
Das war natürlich nicht richtig von dem Augenarzt. Geholfen hat es nicht? Euphrasia Augentropfen sind ganz gut, wenn man viel am Bildschirm lesen muss.
21. März 2008 um 0:25
@stefanolix: Apfelwein hilft eigentlich immer. Zumindest schadet er aber nicht.
23. März 2008 um 2:30
das problem ist – wie einige einträge ja zeigen – dass das prinzip der homöopathie völlig verschwunden ist. das ist nämlich: gleiches durch gleiches heilen, also im prnzip abwehrkräfte stärken im weitesten sinn. das kann ganz gut funktionieren, bei manchen dingen. bei anderen dingen dann aber bitte vielleicht doch schulmedizin, oder einen guten chirurgen. in vielen fällen hilft auch die “naturmedizin”: mit zwiebelwickel, fencheltee oder ringelblumensalbe. auch akupunktur oder -pressur hat eine daseinsberechtigung, wie die chinesische medizin überhaupt. oder hühnersuppe bei erkältungskrankheiten. bei offenen brüchen, geplatzten blinddärmen oder massiven infektionen sollte man allerdings nachdenken.
wenn jeder weiss, wo er hingehört, ist nix dagegen einzuwenden. den apotheker, der homöopthische kugerln einer mutter gab, die ihre kinder für den urlaub in einem speziellen risikogebiet nicht gegen fsme impfen lassen wollte (die impfschäden, hört man ja so viel davon, das risiko!!!), den, so gesteh’ ich, hab ich bei der apothekerkammer namhaft gemacht. weil sowas fällt ja schon unter kindeswohlgefährdung (sah die kammer auch so, übrigens).
und apfelwein – warum nicht? früher kriegten die kinder einen mohnzutzel, und die menschheit ist immer noch nicht ausgestorben. was jetzt nicht heissen soll, dass man einem kleinkind eine flasche apfelwein geben soll. vergleichen kann man sowieso nie, weil auch ein und derselbe mensch bei ein und derselben krankheit jeweils immer wieder anders reagiert. weil der körper seine eigene abwehrkraft eben anpasst, homöopathisch im wahrsten sinne des wortes.