„Du, und dann habe ich noch was Trauriges“, sagt meine Mutter in unserem jetzt regelmäßigen Telefonratsch. „Die Babsi ist gestorben, heute war die Todesanzeige in der Zeitung. ‚Nach schwerer Krankheit.’ hat’s geheißen.“
Die erste meiner Mitschülerinnen aus dem Gymnasium, von deren Tod ich erfahre. Abitur hat sie nicht mit mir gemacht, hat vorher auf die Fachoberschule (FOS) gewechselt. Ich bin nicht sehr bewegt, sie hatte mir nicht nahe gestanden. Und zuletzt waren wir uns wohl vor etwa 15 Jahren begegnet, auf einem Fest ihres älteren Bruders, der oft genug sitzengeblieben war, um mit mir Abitur gemacht zu haben.
Aber seit dieser Nachricht denke ich viel an sie. Sie war auf jeden Fall ein Original, die Babsi. Möglicherweise das am wenigsten stereotyp feminine Mädchen, das mir je begegnet ist: Klein, breitschultrig, o-beinig mit wiegendem Gang. Eine begeisterte Fußballerin (ein bisschen an Pierre Littbarski erinnernd, auch wegen ihres starken Kinns); wenn im Sommer der Lehrplan des Sportunterrichts erfüllt war und das Wetter schön, drängte sie auf dem Sportplatz immer auf eine Runde Fußball. Einmal durfte sie beim Schulfest in der Schüler-gegen-Lehrer-Mannschaft antreten.
Ich sehe sie auch auf ihrem Fahrrad vor mir, das kettenseitige Hosenbein hochgekrempelt, auf dem Weg in die Schule keine Pfütze und keinen Lehmhügel im Parkgürtel der Stadt auslassend.
Ab dem Teenageralter war sie schrecklich und erfolglos verknallt in einen – wie wir anderen Mädchen meinten – eher biederen, semmelblonden und rotwangigen Schüler aus der Jahrgangsstufe über uns. Damit rückte sie allerdings erst während eines Schullandheimaufenthalts heraus, nachts, bei ausgeschaltetem Licht im Schlafsaal, als ihr eine Mitschülerin ihre Schwärmerei direkt auf den Kopf zusagte, weil sie ihr hochgradiges Rotwerden in Gegenwart des Burschen bemerkt hatte. Reden war nicht so Babsis Ding.
So drückte sich auch ihre große Warmherzigkeit nicht in Worten aus. Doch als ich mit 13 lungenentzündungskrank im Schwabinger Kinderkrankenhaus lag (meine Ärztin hatte dem Zentralklinikum meiner Geburtststadt misstraut und mich lieber nach München schaffen lassen), überraschte sie mich mit einem Besuch und schenkte mir das Otto-Buch – für uns damals ein sehr kostbares Geschenk. Denn, das hatte sie aufmerksam bemerkt, Otto Waalkes zitierten wir beide gerne.
Ein Stichwort gibt es, das mich über all die Jahre immer wieder an Babsi erinnert hat: Jod-Tabletten. Denn – warum auch immer – sie musste regelmäßig Jod nehmen, und das nannte sie immer ihr „Trill“ – wegen der „Jod-S11-Körnchen“ aus der Werbung.