Barmaid im Duke of York

Donnerstag, 24. Juli 2008 um 17:40

Ob das nun eine Eigenheit walisischer Pubs war oder generell eine Pub-Modephase: Das Personal in den Pubs von Swansea trug Anfang der 90er Uniform. Also auch ich während des halben Jahres, das ich als Barmaid im Duke of York arbeitete. Leider gibt es kein Foto von mir in voller Glorie, deshalb muss eine Beschreibung reichen: Beinkleid hatte ein schwarzer Kellnerinnenrock oder eine schwarze Hose zu sein (selbst mitzubringen), die vom Pub gestellte Oberbekleidung bestand aus einer grau-weiß-rot gestreiften Bluse mit weißem Kragen und einer passend roten Satin-Fliege. Jausa.

Der Job im Pub gehörte zum besten, was mir während meines Auslandsjahrs einfiel. Eine meiner englischen Freundinnen und Mitbewohnerinnen, Nadine, arbeitete dort seit Anfang ihres Studiums und kam regelmäßig mit den herzigsten Geschichten heim. Zudem hatte ich im Sommer-Trimester, in dem die einheimischen Studenten ihre Abschlussprüfungen ablegten, nur wenige Veranstaltungen an der Uni und damit viel Zeit. Ein wenig vorherige Branchenerfahrung bildete ich mir durch den Kneipenjob ein, den ich mit 18 ein Jahr lang gehabt hatte.

Die erste Bestellung

Mein erster Arbeitseinsatz als Barmaid war dann auch ein Déjà-vu meines ersten Einsatzes als Bedienung in einer bayerischen Provinz-Pilsbar. Damals hatte nämlich mein erster beruflicher Gast als erste Bestellung etwas aufgegeben, das ich noch nie gehört hatte: „A Maß Goaß.“ Im Bewusstsein meiner Unerfahrenheit hatte ich diese Bestellung lächelnd und lautmalerisch notiert und war damit zur Barkeeperin gegangen. Diese hatte mir erklärt, dass es sich um die traditionelle und beliebte Mischung von Bier, Cola und Weinbrand sowie Kirschlikör handelte. (Ich hatte eine sehr behütete Kindheit.)

Nun stand ich an einem frühsommerlichen Nachmittag in besagter Kleidung hinterm Tresen des Duke of York und machte ein freundliches Gesicht. Ebenso freundlich grüßte ich die Dame, die an die Theke trat und ihre Bestellung aufgab. Ich verstand sie nicht. „Sorry?“ Die Damen wiederholte ihre Bestellung, ein zweisilbiges Wort, gefolgt von „please“. Ich verstand wieder nicht, entschuldigte mich für meine Schwierigkeit mit einem Hinweis auf meine Unerfahrenheit. Geduldig und langsam wiederholte die Dame, was sie trinken wollte: „A spritzer, please.“ Ich dankte ihr und drehte lächeln ab; jetzt wusste ich zumindest genug, um eine Kollegin um Hilfe zu bitten. Und so lernte ich das englische Wort für Weißweinschorle.

Am Bedienen war das meiste anders als daheim. Während ich mir in der oberbayerischen Pilsbar beim Bedienen schnell eine Knochenhautentzündung am Schienbein vom vielen Rumlaufen geholt hatte, verbrachte ich im Duke of York die weitaus meiste Arbeitszeit hinterm Tresen: Wie einem alle halbwegs brauchbaren Englischlehrerinnen beigebracht haben, wird in einem Pub nicht am Tisch bedient, sondern man holt sich rundenweise sein Getränk selbst. Raus musste ich nur zum Einsammeln von Gläsern. Ich lernte die Theke zu schätzen als physischen Schutz vor pöbelnden Gästen und grapschenden Händen; gleichzeitig befand ich mich hinter diesem Tresen aber auf dem Präsentierteller, ohne die Möglichkeit, mich unangenehmen Blicken durch bewegungsreiche Geschäftigkeit zu entziehen.

Englisch zapfen, englisch zählen

Das Biereinschenken musste ich von Grund auf neu lernen; dass ich vorher problemlos vier Hefeweizen gleichzeitig einschenken und ein sauberes Pils zapfen konnte, nützte mir gar nichts. Ich lernte die Techniken to pour a pint und to pull a pint*. To pour galt für Lager, Stout und Guinness: Das Glas wird unter den Zapfhahn gehalten, der kleine Hebel darüber umgelegt, und aus dem Hahn plätschert das Bier, im Fall von Stout und Guinness durch ein feines Sieb am Hahn, das den berühmten sahnigen Schaum erzeugte. Pulling war bei Bitter und Ale anzuwenden: Diese Zapfhähne hatten einen halbmeterhohen Hebel in Keulenform, mit dem die Barmaid das Bier mechanisch aus dem Keller hochpumpte. Nachdem mich eine Kollegin darauf hinwies, dass das perfekte Pint Bitter mit genau dreimal Pumpen gefüllt werde, setzte ich sofort meinen Ehrgeiz daran und war ungeheuer stolz, wie schnell ich es beherrschte. Überhaupt: Die Kollegen und Kolleginnen waren allesamt unglaublich herzlich, kameradschaftlich und hilfsbereit.

Eine weitere Regel, die sie mir beibrachten: Nie hinter der Theke rauchen oder trinken; dazu hatte ich bitte in den Gastraum zu wechseln. Als ganz traditioneller Pub hatte das Duke of York zwei solche, die Tap Bar und die Lounge. Die beiden Räume waren durch eine Buntglaswand getrennt, die eine Theke bediente alle zwei. Die Einrichtung der Tap Bar war schlicht und funktional, der PVC-Boden abwaschbar – sie war für die Arbeiter und ihr Feierabend-Pint gedacht, das sie durchaus im schmutzigen Arbeitsoverall tranken. Wenn sie später oder am Wochenende mit der Lady ausgingen, sauber und umgezogen, nutzten sie die Lounge mit ihren gepolsterten Sitzen und dem Teppichboden. Es gab auch zwei Preisstufen: In der Lounge kostete alles ein bisschen mehr.

Auch wenn das Personal jede Bestellung in die Registrierkasse eingab, zusammengerechnet wurde üblicherweise schnell und im Kopf. Nachdem ich irgendwo aufgeschnappt hatte, dass Kopfrechnen eine letzte Bastion der Muttersprache ist (mein spanischer Vater träumt zwar schon lange auf Deutsch, wenn er Zahlenreihen zusammenrechnet, sehe ich ihn aber bis heute spanisch murmeln), setzte ich einen weiteren Ehrgeiz daran, englisch zu rechnen. Trinkgeld gab es im Grunde nicht, kein Summe wurde aufgerundet. Etwas vergleichbares war es wohl, wenn ein Stammgast alle paar Wochen beim Zahlen sagte: „And have one for yourself.“ Wenn er also die Bedienung auf ein Getränk einlud. Ich lernte, dass ich dann „I’ll have it later“ zu antworten und ein Halfpint des preisgünstigsten Biers einzubuchen hatte. Ob ich das nach Feierabend tatsächlich trank oder mir den Geldbetrag dafür auszahlen ließ, war mir überlassen.

Wie das mit den spanischen Studenten war, mit den lager louts, mit dem sich verlobenden Kollegenpärchen und mit dem Gentleman-Gast, der mich schriftlich und auf Büttenpapier um eine Verabredung bat, erzähle ich bei anderer Gelegenheit. Vielleicht.

Und dann doch noch ein Foto in zumindest halber Glorie.

*alle Erklärungen laut Wirt Steve bzw. wie ich sie im Gedächtnis behalten habe, Fehler gehen allein auf meine Kappe

die Kaltmamsell

8 Kommentare zu „Barmaid im Duke of York

  1. walküre meint:

    Sorry, at least I could not resist:

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    Gerne gelesen

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  2. Sebastian meint:

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    Made my day

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  3. Lila meint:

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    Made my day, ehrlich.

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  4. Georg meint:

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    Gerne gelesen

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  5. Anke meint:

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  6. croco meint:

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  7. huetsche meint:

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  8. Gonzo der Grosse meint:

    >>Nachdem ich irgendwo aufgeschnappt hatte, dass Kopfrechnen eine letzte Bastion der >>Muttersprache ist…

    Ahaaaa, und ich dachte immer, das laege an mir, wenn ich abends beim Abrechnen im US-Buchladen nie hoeher als bis 15 auf Englisch zaehlen kann … (ich kann natuerlich schon, aber nicht, wenn ich’s eilig habe…)

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