Mañanitas
Mittwoch, 30. Juli 2008 um 17:13Weiteres Erinnerungsschnippsel aus meiner Zeit als Barmaid: die spanischen Studenten. Schon die deutschen Studenten im südwalisischen Swansea waren Anfang der 90er nicht sehr integrationsfreudig; sie trafen sich bevorzugt mit anderen deutschen Studenten, hatten eigene Sportteams, gründeten mono-nationale Wohngemeinschaften – jammerten aber bei jeder Gelegenheit, wie schwierig es sei, Einheimische kennenzulernen. Die spanischen Studenten hatten ganz offensichtlich nicht mal letzteres Bedürfnis; sie traten nur in Gruppen auf, sprachen fast nur Spanisch, versuchten es nicht mal mit dem studentischen walisischen Essen (Chips, Schokoriegel, Cheese and Onion Rolls, Southern Fried Chicken), sondern ließen sich von Zuhause mit Futterpaketen versorgen. Sie wirkten wie ein Haufen Zwangsexilanten, die sich durch heimwehkrankes Zusammenkuscheln über die Zeit retteten.*
Eines Abends war ich im function room des Duke of York im Einsatz: Im Obergeschoß des Pubs gab es einen Raum für geschlossene Veranstaltungen, mit Bühne und eigener Bar. Einmal die Woche wurde er für Konzerte genutzt, meist an die örtlichen Studenten gerichtet. Als einer davon an die Bar kam, um eine Runde zu bestellen, lernte ich ein neues englisches Wort: Mit starkem spanischem Akzent orderte er über dem Lärm der Band hinweg „six halfs of shandy“. Wieder etwas, was ich nicht kannte. Doch als ich mitbekam, dass er und seine Begleiter untereinander auf Spanisch von clara sprachen, begriff ich, dass der Engländer die Bier-Limo-Mischung „Shandy“ nennt, die ich als „Radler“ kannte.
Meine beiden jungen und zu jedem Schabernack bereiten Kolleginnen Tracy und Mandy** fanden es hochaufregend, dass ich Halbspanierin die spanischen Studenten verstand. Bevor ich sie davon abhalten konnte, näherte sich die blondierte Tracy gläsereinsammelnd den Burschen, quatschte sie an und deutete in meine Richtung. Dem riesigen Hallo der Gruppe entnahm ich, dass Tracy mich als ihre Landsmännin bezeichnete. Schon hatte ich alle sechs an der Theke kleben und Spanisch auf mich einreden. Und da gingen sie auch so schnell nicht wieder weg – sie wollten wissen, aus welchem spanischen Ort ich käme (mein deutscher Geburtsort wurde nicht akzeptiert), was ich hier machte, ob ich einen Freund hätte. Der Haken daran war mannigfaltig: Zum einen steckte ich gerade seit Monaten in der Fremdsprache Englisch – wenn ich zur Fremdsprache Spanisch ansetzte, fielen mir nur englische Wörter ein. Keine Chance also, mit den jungen Männern in flotter spanischer Rede zu plänkeln. Zum anderen hatte ich eigentlich zu arbeiten: Die Band machte eine Pause, und das Publikum wollte Gläser aufgefüllt haben. Ich nutzte die Gelegenheit, vor den leutseligen Iberern in Geschäftigkeit zu fliehen – auffallend heftige Geschäftigkeit, da meine beiden Kolleginnen statt mitzuarbeiten mit den spanischen Studenten zu Gackern und zu Tuscheln hatten.
Bald klärte sich der Grund des Gackern und Tuschelns: Tracy und Mandy packten mich von beiden Seiten und schoben / zogen mich zurück zu den Spaniern. Diese hatten sich im Halbkreis vor die Theke postiert, sorgten mit „Tsch!“ (spanisch für „Pst!“) für Ruhe – und sangen mir ein Ständchen: Mañanitas.
Das war sehr rührend, aber mir auch sehr peinlich, zumal die neben mir breit grinsenden Tracy und Mandy meine Arme weiter festhielten und damit verhinderten, dass ich mich und meinen roten Kopf wegschaffte. Auf den Mars zum Beispiel.
Zum Glück übernahmen bald die dafür eigentlich engagierten Musiker die weitere Beschallung, und ich widmete mich den restlichen Abend über tödlichen Blicken gegen die Kolleginnen. Mit den spanischen Studenten konnte ich vor lauter G’schamigkeit kein weiteres Wort wechseln.
* Nachdem Spanien seit der Franco-Ära gesellschaftliche Veränderungen im Turbotempo und mit Vorsprung (Schwulenehe!) absolviert, halte ich es für wahrscheinlich, dass spanische Studenten sich inzwischen im Ausland ganz anders benehmen.
** Nein, trotz ihrer Namen keine Essex-Girls, sondern waschechte Waliserinnen, von denen ich sehr schnell den erstaunten Ausruf „Näääääwah!“ (never gesingsangt) übernahm.
die Kaltmamsell8 Kommentare zu „Mañanitas“
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31. Juli 2008 um 9:25
Nein. Spanische Studenten im Ausland benehmen sich im Allgemeinen immer noch ganz genauso wie oben beschrieben.
31. Juli 2008 um 10:48
Nach dem Bild zu urteilen, sind Sie wenigstens in Schönheit untergegangen, was ja auch schon einen gewissen Wert hat …
off topic, aber nicht ganz: Mir fallen hier in Wien zusehends japanische Touristen auf, die alleine(!!!) reisen, bestenfalls mit Freunden oder Familie, aber nicht mehr in der traditionellen 20er-Gruppe (“MY GROUP HERE PLEASE !!!”, dazu eine Fahne oder ein Regenschirm als Standarte). Ein ungewohnter, aber für meine Empfindung erfreulicher Anblick.
31. Juli 2008 um 12:28
das stimmt, katarina. ich habe 2005/2006 in belgien studiert und die spanischen student/innen haben sich verhalten, wie oben beschrieben. aber auch am meisten party gemacht, was immer sehr lustig war.
31. Juli 2008 um 13:04
Sind Sie sicher, walküre, dass es sich nicht um Koreaner handelt?
Nachdem die Spanier sogar Umweltschutz, Wandern, Teetrinken und Auslandsreisen gelernt haben, hatte ich gehofft, katarina und mira – wohl vergeblich.
31. Juli 2008 um 14:35
Von meiner Einschätzung her gehe ich davon aus, dass es sich meist um Japaner handelt (Die ruhige, zurückhaltende, äußerst höfliche Art !) – gelegentliche Irrtümer natürlich nicht ausgeschlossen.
31. Juli 2008 um 19:27
In Vietnam hat man uns erzählt, dass die Japaner und die Koreaner in Gruppen aufträten und immer rumbrüllen würden. Man könne sie nur daran unterscheiden, dass die Koreanerinnen Dauerwellen hätten, die Japanerinnen nicht.
1. August 2008 um 10:08
@walküre: Auch ich glaube, dass es vor allem Koreaner sind. Wir hatten gerade in München die Möglichkeit, fremde Menschen an touristischen Plätzen zum Essen einzuladen und ganz oben auf der Wunschliste standen Japaner. Doch viele, die wir einzeln dafür hielten, waren Koreaner, die aber sehr offen waren. Einzelnreisende Japaner waren freundlich begeistert – Kunst und Essen! – aber trauten sich dann doch nicht. Ich empfehle trotzdem, sie kennenzulernen – sie wissen viel über unser Land und sind sehr hilfsbereit dabei, wenn wir uns zu Menschen entwickeln wollen, die sich für sie interessieren.
Von Chinesen haben wir sehr schnell Abstand genommen. Und das mit den Dauerwellen ist natürlich ein vietnamesischer Blödsinn, croco. Und die Spanier (auch sie kamen immer wieder in Gruppen, wie auch Amerikaner – oft lächerlich stillos auf Rädern hängend) ignorierten uns noch nicht mal.
1. August 2008 um 10:34
Vietnamesischer Blödsinn :-)))) (Den Ausdruck übernehme ich in meinen Wortschatz, darf ich??)
Die Touristinnen in Vietnam hatten jedenfalls Locken.
http://www.hr-online.de/website/fernsehen/sendungen/index.jsp?rubrik=3036&key=standard_document_12180064&msg=3036