Die große Grube
Dienstag, 19. August 2008 um 14:22Wie schön, dass das heutige Streiflicht der SZ die Grabungs- und Bautätigkeit der Deutschen am Urlaubsstrand untersucht. Denn erst kürzlich fielen mir die enormen Tiefbauunternehmungen meines Vaters (und gebürtigen Spaniers) während unserer Familienurlaube ein – weil ich sie in neuem Licht sah.
Erst jetzt weiß ich es zu schätzen, dass mein Vater, der eigentlich überhaupt gar nie ruhig sitzen konnte (Ausnahme: Sportübertragungen im Fernsehen) seiner Familie zuliebe Strandurlaub machte. Schließlich hat diese Urlaubsform für die erwachsenen Beteiligten in erster Linie das Ziel, nichts zu tun und einfach ruhig in der Sonne zu sitzen. Mein ruheloser Vater machte das ganz offensichtlich nur aus Liebe zu uns Kindern mit, die wir in den Sandstränden wochenlanger Spanienurlaube und im Meer unendliche Vergnügungs- und Spielmöglichkeiten sahen.
Und so flüchtete mein Vater verzweifelt in die einzige Möglichkeit handwerklicher Beschäftigung, die er an einem Sandstrand sah: Er grub. Unter dem Vorwand der Kinderbespaßung grub er in die Tiefe, grub er in die Ferne, dann wieder in die Tiefe, zwei auf drei Meter große Gruben, so tief es das von unten einsickernde Meerwasser erlaubte. Wenn er Glück hatte, konnte er viele Stunden und so tief graben, dass nur sein schwarzlockiger Haarschopf zu sehen war. In der ihm angeborenen Akkuratesse sorgte er für sauber lotrechte Wände, in die er abschließend Stufen grub, damit er überhaupt wieder hoch auf die Strandebene kam.
Wenn man (= meine Mutter) ihn gelassen hätte, hätte er eine Wasserwaage dabei gehabt, um die Wände der Grube zu perfektionieren. Zumindest besorgte er sich für diese Urlaube das bestmögliche Grabgerät, das der Markt damals als vorgebliches Sandspielzeug her gab. Ich erinnere mich an eiserne Spaten, die zwar deutlich kleiner als Gartengerät waren, die er aber vor der Urlaubsreise an seiner kleinen Werkbank im Wohnblockkeller durch Schleifen und Biegen aufrüstete.
Mein Vater unterbrach seine Grabungen durchaus für die üblichen Strandbelustigungen wie Schwimmen im Meer, Brotzeit, Trinken (selbst angerührter löslicher Zitronentee aus der Feldflasche), Eisholen, Spazierengehen, Comichefte Lesen (erster Kauf nach dem Passieren der französisch-spanischen Grenze: die neuesten Ausgaben von Mortadelo y Filemón), Schlafen. Aber da, wo der übliche Strandurlauber wohlig seufzt und sich in Beschaulichkeit versenkt, fand man ihn wieder beim Graben.
Das Schönste daran war vermutlich das Zusammenspiel mit der Natur: Die Flut sorgte dafür, dass er jeden Morgen von Neuem anfangen konnte. Man muss sich Sisyphus als glücklichen Menschen vorstellen.
die Kaltmamsell8 Kommentare zu „Die große Grube“
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19. August 2008 um 15:00
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Made my day
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19. August 2008 um 15:55
Der letzte Absatz gehört zum Schönsten, was ich jemals gelesen habe.
19. August 2008 um 15:58
Das ist schön beschrieben. Ähnliche Väter konnten wir auf unseren Spaziergängen auf der Nordsee-Insel auch beobachten (uns und den kleinen Sohn reizt nichts am Strand oder im Strandkorb). Also: »Made my day« — auch ohne KOMMENTAROMAT ;-)
19. August 2008 um 16:25
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Gerne gelesen
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19. August 2008 um 19:26
Tunnel! Tunnel sind die Königsdiziplin!
Aus eigener Erfahrung: Hoch- und Tiefbau am Strand sind schon sehr befriedigend – aber erst wenn man in drei Metern Tiefe gegraben und die Herstellung und Durchquerung der zwei Meter fast mannhoher Tunnelstrecke geschafft und überlebt hat – erst dann ist die wahre Krone des Sandbaus errungen und sitzt keck auf der stolzen Stirn.
(Disclaimer: Do not try this – never!
Sand kann einen sehr schnell ersticken; selbst wenn man alle Böschungswinkel und statisch notwendigen “Wand”- und “Decken”-Dicken korrekt einhält, ist man vor plötzlichen Einstürzen nicht gefeit, zumal Abstützungen an den meisten Stränden nicht nur schwer zu organisieren, sondern auch dem kontemplativen Charakter der ausdauernden Konstruktion einer monomateriellen Struktur sehr abträglich sind.
Nach Konstruktion und Begehung ist zur Vermeidung von Klagen und Anklagen wegen Gefährdung von anderen Strandnutzern das Bauwerk abzureißen und zu flachen Trichtern umzuformen.
Abgesehen davon: Klappspaten rulez.
Disclaimer Ende.)
19. August 2008 um 20:39
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Gerne gelesen
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20. August 2008 um 11:00
Groß-ar-tig! Werde ich gleich meiner Frau zu lesen geben. Der waren meine ausufernden Schanz- und Schachtarbeiten am Strand von Noord-Holland nämlich fast schon peinlich. Und der Verschleiß an Billig-Schippen aus dem Uferpromenadenshop war auch nicht unerheblich, so dass ich mir sagte: Sollten wir nochmal hierherkommen, dann mit richtigem Gerät. Ich kann jetzt ja belegen, dass das keine typisch deutsche Marotte ist. ;-)
21. August 2008 um 13:30
Genau ! Ritterburgen, Schlumpfburgen, Kanäle und Gräben drumherum und zusehen, wie das Meer erst die Kanäle mit Wasser füllt und anschließend die feindliche Festung zuerst zerstört ;o) Für uns Kinder war das göttlich !
Nervig und als ziemlich spießig empfand ich allerdings eine andere Art von Burgen bauen, und zwar an der Ostsee: hier schippte man einen Wall aus Sand um seinen Strandkorb und sein Hab und Gut herum – Wehe, es kam der Trutzburg einer zu nah ! Natürlich wurde der Sand mit der Gießkanne feucht gehalten und mit einer Kelle alles platt und sauber gezogen, wie Beton ! Wehe, wir Kinder traten beim Nachlaufen-Spielen gegen oder auf so einen Wall ! Das war dann fast so, als hätten wir den Maschendrahtzaun vom Nachbarn niedergerissen. An Spielen, Beachvolley, Federball etc. war nicht zu denken. Dafür war in der Burgenlandschaft kein Platz. Fehlten eigentlich nur die Geranien und die Gartenzwerge auf der Sandburg ;o)