Ausziehen
Samstag, 23. August 2008Mein Nacktmodeln hatte selbstverständlich nichts Anzügliches – man kann sich auch ganz spießig ausziehen. Ich war 20, absolvierte ein Volontariat bei der örtlichen Zeitung und erfuhr von einer ehemaligen Mitschülerin, dass sie und ein paar andere lokale Malerinnen, Bildhauer, sonstige Künstler einmal im Monat Geld zusammenlegten, um dafür ein Aktmodell zu zahlen. Ob ich den nicht auch mal Modell stehen wolle? Ich hielt mich damals für enorm dick (Konfektionsgröße 42) und scherzte, dass sie dann zumindest etwas Formatfüllendes bekämen. Und ich wertschätzte meinen Körper so wenig, dass ich mich unbefangen ausziehen konnte. Also stellte ich ihn ein paar Mal diesen Damen und Herren zur Verfügung. Da wir von der Zeitung alles auf Verwertbarkeit fürs Blatt abklopfen, kam einmal eine Lokalredakteurin mit, die eine Geschichte über diese örtliche Aktmalerei schrieb. Inklusive Fotograf, der das Bild für den Artikel schoss (hoffentlich in Ordnung, dass ich es hier einstelle, Horst, oder?).
Die Künstler trafen sich in der Werkstatt eines alten Häuschens am Stadtrand, den ein Bollerofen auf angenehme Nackt-Temperaturen brachte. Man hatte mir mehrere Decken auf dem Estrich ausgebreitet, um es mir weich zu machen. Und so bat man man mich zunächst darum, mich möglichst verdreht zu setzen oder stellen, jeweils nur für zwei, drei Minuten. Ein Favorit war die Pose „sandalenlösende Nike“ (hey, mein Griechisch-Abitur war keine zwei Jahre her). Abschließend sollte ich eine Position finden, die ich möglichst lange halten konnte.
Ich fühlte mich wohl unter diesen Blicken, die sachlich und interessiert waren, deren Feuer und Leidenschaft nichts von mir forderten, sondern eine Verarbeitung dessen waren, was sie aufnahmen.
Die Damen und Herren arbeiteten auf den verschiedensten Materialien und mit den unterschiedlichsten Werkzeugen. Im Gedächtnis geblieben ist mir der junge Mann, der einen knittrigen Stapel Paketpapier mit Buntstiften bearbeitete, und der mich in lauter Kreisen und Ringeln abbildete: „Bei dir komme ich immer ins Schwurbeln.“ Die ehemalige Mitschülerin wurde mit einem der Bilder von mir an der Münchner Kunstakademie aufgenommen.