Zum Abschluss blaue Küste

Freitag, 17. Oktober 2008 um 14:03

Vielleicht hat mir Nizza ja deshalb auf Anhieb zugesagt, weil es von Engländern erfunden wurde.

Morgendlicher Dauerlauf auf der Promenade des Anglais (!), einmal Flughafen und zurück. Dass der Flughafen von Nizza bequem zu Fuß zu erreichen ist, prägt leider auch die Geräuschkulisse.

Die Altstadt ist sehr lebendig und sehr entzückend.

Vielleicht wurde Nizza in Wirklichkeit von Juden erfunden: Auf den Grabsteinen des jüdischen Friedhofs stehen Namen aus der halben Welt und über 100 Jahren.

Der Eisdielen-Tipp von Nicky war ein Volltreffer: links Lavendeleis (mein Favorit), oben Avocado, unten Feige.

Dass Speisen und Getränke bei den Nizzanern wertgeschätzt werden, leite ich allein schon an dem Umstand ab, dass auch der kleine Eckladen frisches Bouquet garni anbietet.

Wir erjagten sogar eine Reservierung in La Merenda (beim mittäglichen Vorbeigehen für Abends), fühlten uns beim Essen allerdings ein wenig wie im Krieg. Der Raum ist so winzig, dass zwischen den Tischen nicht mal eine Hand breit Platz ist; man sitzt mit den Essern am Nachbartisch buchstäblich Ellbogen an Ellbogen. Die meisten Gäste kamen aus dem Ausland und schienen vor allem hier zu essen, um es in dieses Lokal geschafft zu haben – jede Erwähnung des Restaurants betont, dass es kein Telefon hat und dass es deshalb ganzganz schwierig ist, einen Platz zu bekommen. Alle fünf Minuten ging die Tür, weil wieder jemand nach einem Tisch für diesen Abend fragte und vom Kellner knapp und routiniert abgewiesen werden musste. Die Dame am Tisch neben uns (Rheinländerin?) war offenbar von ihrem Begleiter hierher gebracht worden, ohne dass er sie über die Art der angebotenen Speisen informiert hatte: Sie fand alles auf der handgeschriebenen Karte (eine Tafel, die von Tisch zu Tisch gereicht wird) eher eklig, nicht nur Blutwurst und Ochsenschwanz, sondern auch Coppa und Salat mit frischen Feigen, und war reichlich beleidigt. Ihr Begleiter sah sich ständig peinlich berührt um und kicherte hysterisch, flüsterte ihr eindringlich zu, dass der Wirt hier doch früher im Negresco gekocht habe, man also bei einem Fast-Sterne-Koch sitze und dass man doch eigentlich hier überhaupt nie einen Platz bekomme. Das beeindruckte die Dame nicht. Als sie ausgerechnet im Gericht mit tripes ihre Rettung sah, warf ich mich dazwischen und wies sie darauf hin, dass es sich um Kutteln handle, also Kälbermagen. Die Dame erbleichte und bestellte Nudeln mit Pesto.
Die Kutteln waren sehr gut, ebenso die Blutwurst mit Äpfeln und Stampfkartoffeln, die frittierten Zucchiniblüten, der Salat mit Feigen und der Strudel zum Nachtisch. Wir haben den Kellner sogar einmal lächeln sehen. Aber ein entspanntes Abendessen war das definitiv nicht.

Sehr gut hat mir die örtliche Spezialität Socca geschmeckt: Ein Fladen aus Kichererbsenmehl, Wasser, Salz, Olivenöl, den wir uns am Markt in Antibes holten.

Ebenfalls aus Antibes: ein Hinweis, was zur Bezeichnung „Côte d’Azur“ geführt haben mag

À bientôt, unbedingt.

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Zum Abschluss blaue Küste“

  1. walküre meint:

    Sie genießen die Qualen Ihrer Leserschaft, gell ?

    btw: Die Zicke am Nebentisch hätte mein innerer Schweinehund eiskalt auflaufen lassen. Oder vielleicht auch nicht, weil das Mitgefühl mit dem Begleiter stärker gewesen wäre. Hm.

  2. Lu meint:

    merci bien! also für all das.
    (wir machen weiter mit fernweh erschlagen.)

  3. Ulla meint:

    Wir haben es sogar 2x Mittags ins Merenda geschafft. Ja, abgesehen von der drangvollen Enge (kein Genuß) waren wir vom gebotenen Essen angetan. Der Wein hat uns extra prima gut geschmeckt, so dass wir uns das Weingut notiert haben und ein paar Tage später selbst hingefahren sind (Château des Crostes).

  4. Barbara meint:

    Danke für den schönen Reisebericht und die Erinnerung an die ehemalige Qual- und Wahlheimat Nizza. Die Promenade des Anglais auf Inlineskates am Morgen, das war gut. Fluglärm stimmt natürlich, aber die Maschinen, die in gefühlten zehn Meter Entfernung an einem vorbeifliegen, kitzeln so schön an den Nerven…
    Waren Sie in Les Arènes? Fantastische Aussicht über die Stadt, nebst römischen Ruinen, dem Matisse-Museum und einigen nahegelegenen bemerkenswerten Fin de siècle-Architekturen. Sehr, aber wirklich sehr schön.
    Wenn Sie mal mehr Zeit haben und die nicht mit dem Warten auf einen Tisch in La Merenda verbringen wollen, lohnen sich Spaziergänge in eher touristenfreie Stadtteile. Seinerzeit gab es einige Quartierrestaurants mit provenzalischer Küche, die nicht wirklich sehr viel schlechter waren.
    Hach, jetzt hab ich doch tatsächlich ein bisschen Heimweh…

  5. Sebastian meint:

    @walküre: Mitgefühl mit dem Begleiter? Wenn er bei der Wahl des Lokals nur auf Sterne und Namen achtet statt sich mal vorher selbst schlau zu machen, über das Lokal und die Dame. Männer!

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