Chronistinnenpflicht: Erster Schnee 2008
Sonntag, 23. November 2008Gestern blieb er dann schon liegen, der Schnee. Die ersten Flocken hatte ich aber aus dem Bürofenster beim Dunkelwerden am Freitag, 21.11., gesehen.
Gestern blieb er dann schon liegen, der Schnee. Die ersten Flocken hatte ich aber aus dem Bürofenster beim Dunkelwerden am Freitag, 21.11., gesehen.
Gestern bei einer Proofabnahme: mein derzeitiger Berufsalltag in a nutshell.
Ein Grund, warum ich mich auf die BoBs-Jurytage nächste Woche in Berlin freue: Ich werde wieder aus erster Hand erzählt bekommen, wie das Bloggen ganz woanders auf der Welt ist, nämlich von diesen Leuten. Vor zwei Jahren war für die Sprachkategorie Persisch der BoBs der iranische Blogger Hossein dabei: Ein sehr streitbarer Mensch, Vorreiter und Antreiber des Bloggens im Iran, der allerdings damals bereits in einige Jahre in Kanada lebte, weil seine Heimat zu gefährlich für ihn war.
Vor einigen Wochen kehrte Hossein in den Iran zurück. Doch er scheint sich in der Beurteilung der Lage verschätzt zu haben: Gestern erfuhr ich, dass er prompt verhaftet wurde. Hier die Meldung aus der Times, Jörg Lau blogt für die Zeit Hintergründe.
Da schau her: Das spanische Fernsehen, Radio Televisión Española, promotet die BoBs der Deutschen Welle sichtlich. Mag mal jemand gucken? Einfach auf die Bilder klicken. Ja, ist auf Spanisch (und die meisten Blogs in der Blogopedia der Deutschen Welle sind spanischsprachig).
(ab Minute 9.20, stellt den Wettbewerb und die Leute der Deutschen Welle dahinter vor)
(ab 8.55 – über Kategorien und einige Nominierte)
(ab 7.10 – mit dem spanischen Jurymitglied Vanina, einigen Blogvorstellungen und mit Indiana-Jones-Soundtrack!)
(Nachgetragene Disclosure für Vergessliche: Ich bin ein weiteres ehrenamtliches Jurymitglied, und ich finde die BoBs prima.)
Kurz habe ich durchgespielt, ob sich die Stichwörter der Liste einfach eindeutschen lassen, ob es also für jeden englischen Begriff einen treffenden, kurzen Ausdruck auf Deutsch gibt. Doch während ich bei „Stadt“ für city vielleicht auf den Aspekt „Großstadt“ verzichtet hätte, bei „Getränk“ für drink ignoriert hätte, dass damit („fancy a drink?“) etwas Alkoholisches gemeint ist, scheiterte ich an workout: „Sport“ wäre falsch, weil der Aspekt der Selbstbewegung fehlt, „Leibesertüchtigung“ ist die falsche Sprachebene, „sportliche Betätigung“ viel zu lang. Ich lasse die Stichwörter (von Don D.) also in Englisch.
Clothes
Oh ja, sehr. Ich genieße Kleidung, die ich schön oder originell oder elegant oder auch nur interessant finde – an anderen und an mir. Stoffe, Farben, Verarbeitungstechniken, Schnitte finde ich auch technisch fesselnd. Der Anblick eines besonders gewandeten Menschen kann mich in eine andere Welt mitnehmen, in eine andere Zeit, in einen Film. Mich rührt es, in der Münchner U-Bahn sorgfältig zurecht gemachte Menschen zu sehen, Stil egal; es zeugt von einem gewissen Respekt vor sich selbst und der Umwelt. Wenn mir morgens – manchmal auch am Abend zuvor – eine besonders schöne Zusammenstellung für den Tag einfällt, fühle ich mich beschwingt.
Furniture
Gerade im Vergleich zu Kleidung erstaunlich wenig. Ich habe den Verdacht, die Gestaltungsenergie für Inneneinrichtung hat in unserer Familie zur Gänze meine Mutter abbekommen. Ich finde fast alles irgendwie schön, bin aber gleichzeitig erstaunt, dass das sorgfältig eingerichtete Haus meiner Mutter so viel behaglicher wirkt als meine achtlos zusammengestöpselte Wohnung. Ich sehe eine Auslage voll Weihnachtsdeko und finde alles irgendwie weihnachtlich kitschig – um dann zu beobachten, wie meine Mutter das eine besondere Stück darin findet, das eben nicht kitschig und dennoch weihnachtlich ist. Ich kann beim Einrichten nicht mal einschätzen, ob ich mich im Ergebnis wohlfühlen werde. Vielleicht mag ich deshalb erstklassige, kleine Hotels so gerne.
Sweet
Ja, leider. Nachdem meine Winterkleidung nicht mehr so bequem sitzt wie noch vor einem Jahr, wollte ich für eine Zeit lang wieder so weit wie möglich auf Kohlenhydrate verzichten – doch im Gegensatz zu meinen beiden sehr erfolgreichen Low-Carb-Jahren will diesmal die Sehnsucht nach Stärke und Zucker einfach nicht verschwinden: Ich will nicht nur die köstliche 85-prozentige Schokolade von Vivani, sondern mich mit der 55-prozentigen von Hachez und mit Pralinen vollstopfen, will Fruchtgummi und Kuchen und Croissants und Marmeladebrote und Plätzchen.
City
Unbedingt. Land ist etwas, wohin ich zu einem Ausflug hinfahre, zum Laufen, Wandern, Spazierengehen. Aber es werden wohl die großen Städte bleiben, die mich inspirieren und beflügeln.
Drink
Wein, ich interessiere mich immer mehr dafür. Kürzlich habe ich beschlossen, dass es völlig in Ordnung ist, jeden Abend ein Glas Wein zu trinken, um möglichst viele kennennzulernen. Zumal ich im seltensten Fall auf mehr als ein, zwei Gläser Lust habe. Sonst trinke ich über den Tag erst Milchkaffee, dann viel Kräuter- oder Früchtetee, ab mittags viel Leitungswasser.
Music
So gut wie gar nicht. Am ehesten noch alle paar Wochen Film-Soundtracks. Ich klicke immer wieder auf Empfehlungen in Blogs oder Tweets und finde fast alles Zeitgenössische fad und verwechselbar.
TV
Abends Tagesschau, danach lasse ich gerne amerikanischen Mord und Totschlag laufen, während ich im Internet lese und schreibe. Etwa zwei Mal im Monat schaue ich mir im Fernsehen etwas wirklich an, also ohne Nebenbeschäftigung, meist Tatort.
Film
Ich suche mir in den vergangenen Monaten regelmäßig Vorführungen der Filme raus, die ich sehen möchte – und bin dann zu erschöpft hinzugehen. Hoffentlich schaffe ich zumindest Burn after Reading, auf den ich mich so gefreut hatte.
Workout
Weiterhin zweimal die Woche medizinische Muckibude – macht immer noch keinen Spaß, bewahrt mich aber vor Rückenschmerzen. Zudem dreimal die Woche Ausdauersport, der nach Sommerende und wegen meiner schmerzenden Fersen aus einmal Aerobics, einmal Schwimmen, einmal Isarlauf besteht.
Pastries
In Süß bevorzuge ich Kuchen, Torten, Pralinen, und in Herzhaft brauche ich den Teig drumrum nicht. In England esse ich Pastries sehr gerne.
Coffee
Spanischen Café con leche aus meiner Alu-Cafetera, ansonsten alle Espresso-Derivate. Nur im Notfall deutschen Filterkaffee, dann lieber noch den amerikanischen Bliemchenkaffee, decaf, literweise und mit Milch und Zucker.
Anfang des Jahres bat ich meinen Vater, doch mal zu erzählen, wie es war, als er 1960 nach Deutschland kam. Ich habe versucht, so wörtlich wie möglich mitzuschreiben. (Die Überschrift ist natürlich von mir. Déformation professionnelle. Das Unternehmen habe ich für Suchmaschinen unkenntlich gemacht.) Sie müssen sich das in Oberbayrisch mit spanischem Akzent gesprochen vorstellen, also z.B. “Daheim” ausgesprochen “Dachoam”.
Ich war der Spanier Nr. 192
Ich war 18, als ich 1960 zur Fabrik Nürnberg gekommen bin, direkt aus Spanien, aus Madrid. Jedes Land hatte eine eigene Anfangszahl der Personalnummer, die Spanier waren 80, meine Personalnummer war 80192.
Ich bin im November gekommen, und dann war es gleich so kalt. Ich hatte nichts Warmes, keine Stiefel, keinen Anorak. Bei der Fabrik in Nürnberg habe ich als Elektriker in der Instandhaltung gearbeitet, da musste ich viel raus, um Maschinen zu reparieren – ich konnte oft den Schraubenzieher nicht anfassen, weil der so kalt war.
Zwei Winter habe ich ausgehalten, dann habe ich mir woanders eine Arbeit drinnen gesucht.
Deutschland hatte in den Großstädten Büros zum Anwerben von Gastarbeitern. Auch in Madrid gab es ein Büro. Mein älterer Bruder Felix hat sich da beworben. Zwar haben die hauptsächlich Hilfsarbeiter gebraucht, und mein Bruder war gelernter Werkzeugmacher, aber den haben sie auch genommen. Er ist zu der Fabrik Nürnberg gekommen, und wir haben ausgemacht, wenn es da auch Arbeit für mich gibt, schreibt er einen Brief. „Die Fabrik braucht Elektriker“, hat er geschrieben, ich hatte ja Elektriker gelernt, so richtig mit Berufsschule. Also bin ich in einen Zug nach Deutschland gestiegen.
Sonst sind die angeworbenen Gastarbeiter in Gruppen mit Betreuer gefahren, wie Schafherden, aber ich bin allein gefahren. In Paris musste ich umsteigen. Das wäre für jemanden aus einem spanischen Dorf ein Problem gewesen, aber ich als Madrilene bin ja mit U-Bahn aufgewachsen. Ich bin also von einem Bahnhof zum anderen gefahren und habe mich in den Wartesaal gesetzt. Überall war Polizei, damals war ja gerade der Algerienkrieg. Ich habe sogar gehört, wie die auf der Straße geballert haben.
Felix hat mich in Nürnberg am Bahnhof abgeholt. Er hat mir gleich ein Bier bestellt, ein halber Liter – in Spanien kannten wir das damals nicht. Ich habe eine Gabardina dabei gehabt, also einen Trenchcoat, und einen Koffer aus Steinpappe, das war alles, was ich besaß.
Wir haben gegenüber von der Fabrik in Baracken in Sechs-Bett-Zimmern gewohnt. Die Küche war immer für zwölf Personen. Die Miete war 15 Mark im Monat, die wurde gleich vom Lohn abgezogen. Wir Spanier hatten Spaß in der Baracke, fast alle waren ja zum ersten Mal weg von Daheim. Zum Beispiel kamen ein paar Basken auf die Idee, mit dem Motorrad übers Dach zu fahren.
Ausschnitt aus Vaters Mitarbeiterausweis, den er eigentlich beim Verlassen des Unternehmens hätte abgeben müssen, aber – schlitzohrig, wie er schon immer war – behalten hat.
Es waren gute Gäste, die ich mir da geladen hatte: Nicht nur haben sie sich über Speisen und Getränke gefreut sowie alles gegessen, ihre munteren Gespräche waren das eigentliche Ereignis – zumal die Paare einander gestern zum ersten Mal begegneten; einen Gast lernte ich bei dieser Gelegenheit endlich selbst kennen.
Es gab:
– Sekt mit Mimosensirup (nach dem Riechen an der Sirupflasche hatte ich den Verdacht, der Inhalt könnte einer Badewannenfüllung besser bekommen – doch ein paar Tropfen machten den Sekt wirklich zu einem feinen, besonderen Aperitiv)
– Foie gras de canard auf Ruccola mit Passionsfruchtdressing mit Gewürzbrot Pain d‘epices
Dazu diesen Wein:
Definitiv kein Likörwein, wie ich ihn bislang zu Foie gras gekommen hatte, doch mit seiner Säure sehr passend. Die Petrol-Note, die man mir angekündigt hatte, war tatsächlich deutlich, aber nicht unangenehm.
– Kalte, gebratene Tomatensuppe mit Ziegenkäse-Basilikum-Nocken.
Dazu diesen, eigenhändig importierten Wein:
– Nun gab es Lammkarree mit Auberginen und Tomaten nach Jamie Oliver, dazu eine Auberginen-Minz-Creme (den Oregano aus diesem Rezept durch frische Minze ersetzt, die ich kurz vor dem Servieren in Streifen schnitt und unterhob).
Dazu die vorzügliche Weinempfehlung von Retters:
Wieder eine neue Rebsorte kennen gelernt: St. Laurent. Dem Beipackzettel entnahm ich, dass das Weingut Beck (beachten Sie den hübschen Korken) im österreichischen Lieblingsweinort von Hande liegt, in Gols.
– Pre-Dessert war eine Lavendel-Panna-Cotta (dieses Rezept, nur mit einem Esslöffel Lavendelblüten aufgekocht statt mit Nelken, und anschließend abgeseiht). Meine Befürchtung, der eine oder andere Gast könnte von der Mottensäckchen-Assoziation abgeschreckt werden, erfüllte sich nicht – wir waren uns einig, dass diese Aromatisierung funktioniert.
– Zum Haupt-Dessert gab es einen Orangen-Karottenkuchen (mit dem ich noch nicht ganz zufrieden bin) mit Orangensorbet. Letzteres hatte ich in Ermangelung einer eigenen Eismaschine von Sarcletti holen lassen wollen – doch der hilfreiche Mitbewohner stand vor verschlossenen Türen: Winterpause. Damit hätte ich bei jeder anderen Eisdiele gerechnet, aber doch nicht beim epochalen Sarcletti! Es wurde statt dessen das durchaus auch köstliche „Sorbetto di Arancia Siciliana“ von La Via Lattea.
Zu allem dazu gab es Adelholzener Sprudelwasser und das gute Münchner Leitungswasser. In Strömen.
Ich sollte öfter Lust auf solche Einladungen haben.