Gestern Abend Hiob in den Kammerspielen, eine weitere Romandramatisierung (Joseph Roth). Es gibt nicht nur keine Theatervorhänge mehr, Pausen wurden anscheinend gleich mit abgeschafft. Nicht dass ich je zu den Sektnippern in Foyers gehörte – als Kind und frühe jugendliche Theatergeherin war Alkohol außer Diskussion, meine Mutter reuten zudem die ihrer Meinung nach unverschämten Preise; als Studentin hatte ich selbst kein Geld für sowas. Auch meine Blase habe ich, kinogeübt, unter Kontrolle. Doch die Enge im Zuschauerraum der Kammerspiele, kombiniert mit der emotionalen Anstrengung und Konzentration, die viele Theaterstücke fordern, lassen mich ab einer Stücklänge von über 80 Minuten wehmütig die klassische Pause vermissen. (Ich habe in den 80ern mit einem kettenrauchenden Feuilletonchef zusammengearbeitet, der ohne Ausnahme jede pausenlose Inszenierung verriss. Ob die so Verrissenen überhaupt ahnten, womit sie sich das eingehandelt hatten?)
Es kostete mich ohnehin sicher eine halbe Stunde, um in diese sperrige Inszenierung einzuschwingen, vor allem in die Darstellungsweise von André Jung als Hauptfigur Mendel Singer: Doch sein Ähen, Haspeln, In-sich-hinein-Betonen des Textes erzeugten mit der Zeit einen so intensiven Zugang zu der dargestellten Person, wie man ihn sonst vielleicht zu einem eigenartigen Kollegen hat, mit dem man seit Jahren zusammenarbeitet. Und genau diesen Wahrnehmungsprozess gibt es nur im Theater: Eine Fernseh- oder Filmkamera würde zu viele lenkende Elemente hinzufügen, der Blick aus dem Zuschauerraum auf die Bühne ist einzigartig. Meinen Augen, meiner ganzen Person stehen so viele Ausweich- oder Fokussierungsmöglichkeiten zur Verfügung, die mir der Sog einer Kinoleinwand, eines Fernsehbildschirms verwehrt. Am nächsten kommt dieser Wahrnehmung vielleicht das Hörspiel.
Eine weitere Äußerlichkeit, die ich aus dem gestrigen Abend heim nahm: Es wird nicht immer mit Mikrophonen gearbeitet. In den vier Stücken, die ich davor gesehen hatte, trugen die Schauspieler hautfarbene Gesichtsmikrophone (gibt es dafür einen Fachausdruck?). Das eröffnet zwar ganz neue Möglichkeiten, mit Ton, Musik, Stimme zu arbeiten, befremdete mich aber doch.
Eine Neuerung, die ich wiederum sehr begrüße: Die Kammerspiele stellen Trailer zum Stück auf YouTube.
Wenn es eine wirklich unauffällige Möglichkeit gäbe, twitterte ich ja direkt aus dem Theater. Doch ich fand bereits meine Sitznachbarin merkwürdig, die das ganze Stück hindurch Bleistiftnotizen machte.