Auf der Bühne geht Pamuk ja doch
Mittwoch, 14. Januar 2009 um 10:15Ich kann mich nicht erinnern, einem Romanautor je so viele Chancen gegeben zu haben wie Orhan Pamuk. Vor etwa zwei Jahren ließ ich mir The White Castle empfehlen (wenn sowieso Übersetzung, warum dann nicht die hoch gerühmte englische von Victoria Holbrook?): Ich kam nicht über die ersten 40 Seiten, die sich anfühlten wie 100, hinaus, weil mich überhaupt nichts an der Geschichte interessierte. Bei jedem anderen Autor wäre es das gewesen, ich hätte den Namen auf ewig mit „mag ich nicht“ verbunden und nie wieder etwas von ihm gelesen, Nobelpreis hin oder her. Da Herr Pamuk allerdings geradezu in einer Wolke von Lobpreis veröffentlicht, erzeugt von Leuten, auf deren Leseempfehlungen ich mich sonst verlassen kann, dachte ich: Na gut, historischer Stoff, das macht er ja nicht immer. Die zweite Chance war Ende letzten Jahres Das Museum der Unschuld, dessen erstes Viertel mich zu meiner Erleichterung tatsächlich fesselte, um mich dann mit 300 Seiten ödester Detailschilderungen fast zu Tränen zu langweilen.
Dass ich mich überhaupt nochmal mit Orhan Pamuk befasste, war Zufall: Mein Theaterabo schickte mich in die Dramatisierung seines Romans Schnee. Die Inszenierung (Regie Lars-Ole Walburg, Dramaturgie Malte Jelden) gefiel mir gut; möglicherweise bedeutet eine szenische Darstellung die einzige Rettung eines Pamuk-Stoffes.
Kahle Bühne (ob ich wohl in diesem Leben noch mal einen Bühnenvorhang zu sehen bekomme?), im Hintergrund ein riesiger, unordentlicher Haufen Fernsehapparate, die im Lauf des Stücks immer wieder als Kulisse eingesetzt wurden. Den Bezug zur Buchvorlage stellte der Hauptdarsteller her (Bernd Moss), der den Anfang des Romans vorlas, dann weiter frei sprach: Schriftsteller Ka, in Frankfurt lebender Türke, auf einer Busreise in die türkische Provinzstadt Kars, in der er über die Selbstmorde junger Mädchen recherchieren will und seine Jugendliebe Ipek (Annette Paulmann) wiedersehen. Es schneit. In Kars begegnet Ka putschendem Militär, zweifelnden Islamisten, Gewalt, der Familie und der Vergangenheit seiner Jugendliebe. Die Inszenierung erzählt viel indirekt, mit Requisiten, Tonfall, Fernsehbildern Mimik – ob das die Verhörmethoden der Polizei sind, die Stimmung im Haus Ipeks, die Rolle des Glaubens. Selbst der Vortrag eines Gedichts kommt ohne Wörter aus – ein wundervoller Moment. Genau die überladene Erklärungs- und Beschreibungswut Pamuks, die mich an seinen Büchern ermüdet hatte, fiel damit weg. Fast, denn die letzten Minuten, die sich wieder wie eine Stunde anfühlten, bestanden aus einem Monolog einer neuen Figur, die sich „Orhan“ nannte und die Geschichte zu Ende erzählte – vermutlich den Pamuk-Roman wörtlich zitierend. Langatmig genug war dieser Monolog.
Ich saß in der allerersten Reihe, die in den Kammerspielen nur einen halben Meter Abstand zur Bühne lässt. So konnte ich nicht nur auf die Blätter der Souffleuse vier Sitze weiter schielen, ob der langweilige Schlussmonolog wohl bald zu Ende gehen würde, sondern auch mal vorsichtig den Hauptdarsteller anlächeln: Bei der Ankunft in Kars rutscht Ka bäuchlings mit dem Koranschüler Necip (Sebastian Weber, kennen wir aus Shoppen) über Eis und Schnee. Moss wirft sich also mehrfach mit Anlauf Richtung Bühnenrand; als sein Gesicht zum dritten Mal einen halben Meter vor meinem ankam, hätte ich fast Grüß Gott gesagt, begnügte mich aber mit einem freundlichen Blickwechsel.
die Kaltmamsell6 Kommentare zu „Auf der Bühne geht Pamuk ja doch“
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14. Januar 2009 um 10:53
Oh, danke. Mein Pamuk ist das Theater, vielfache Versuche vom Gießener Stadtheater bis Wiener Burgtheater mit immer dem gleichen Ergebnis: Einschlaf. Vielleicht mal wieder ein Versuch wert?
„Da Herr Pamuk allerdings geradezu in einer Wolke von Lobpreis veröffentlicht…” Danke auch dafür.
14. Januar 2009 um 11:09
Seit einem halben Jahr konkurrieren zwei Bücher um meine Beachtung. Sie liegen seit August auf meinem Büchertisch und wandern immer wieder nach unten. Jedes andere Buch, das darunter lag, wurde vorgezogen.
Beide sind angelesen, doch sobald ich bei einem davon zwei oder drei Seiten geschafft habe, verfalle ich in einen Dämmerzustand und gehe dann auch bald ins Bett.
Es handelt sich um Barak Obama “Hoffnung wagen: Gedanken zur Rückbesinnung auf den American dream” und um Orhan Pamuk Istanbul: “Erinnerungen an eine Stadt”.
Doch leider sind beides gebundene Bücher. Da habe ich solche Hemmungen, sie einfach weg zu räumen. Gebunden wird gelesen und dann weggeräumt, Taschenbuch wird an Interessenten verschenkt.
Ich kann Sie gut verstehen!!
14. Januar 2009 um 12:00
Dieses Rätsel werd ich wohl nie lösen. Wieso wird ein Autor gedruckt und gespielt, wenn er langweilt?
14. Januar 2009 um 14:14
Ich hatte mal “Schnee” aus der Bibliothek zu Hause und fand es sterbenslangweilig. Zum Glück war bald wieder Abgabetermin.
14. Januar 2009 um 14:18
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Gerne gelesen
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14. Januar 2009 um 20:32
Habe “Das schwarze Buch” in einer gebundenen Miniaturausgabe mit abgerundeten Ecken. Deshalb eigentlich allein schon vom Format her, nett zu lesen – ich komm aber auch nicht weiter. Dabei hatte ich gedacht, das wäre mal eine gute Vorbereitung für eine Istambulreise. Nun, da muss ich mir dann doch was wie “Flucht aus dem Serail” suchen. Tröstlich, dass es andern auch so geht. Hatte schon gedacht, es läge an meinem Hang zum Trash, dass ich nicht klar komme.
Ansonsten such ich immer noch die passende Literatur zum Platz und bin für Luxor, Kreta und Sevilla gut fündig geworden. In meiner Göthe Buchhandlung, die mit den echten Buchhändlerinnen drin.