Drama im dritten Stock
Donnerstag, 26. Februar 2009 um 9:21Theater und Bloggen haben eines gemeinsam: Es interessiert keine Sau. Sowohl das eine als auch das andere sind absolute Minderheitbeschäftigungen.
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Bei jedem Theaterbesuch in den vergangenen Monaten wurde mir erneut und mit immer stärkerer Intensität bewusst, welch ganz eigene Kunstform Theater ist. Klar gibt es Berührungspunkte mit Literatur (Belletristik wie Sachliteratur), mit Film, mit bildender Kunst – doch bei genauerer Untersuchung erstaunlich wenige. Theater ist Dar-Stellung ganz besonderer Art. Ein Faktor ist das physische Zusammentreffen von Zuschauern und Darstellern: Ich sitze als Ich im Raum und habe vor mir richtige Menschen, die mir etwas in direkter und aktueller Körperlichkeit vorführen; wenn die Schauspielerin sich am Vortag das Schienbein an der Fahrradpedale gestoßen hat, sehe ich den resultierenden blauen Flecken. Dazu kommt die bereits angesprochene Freiheit von Aufmerksamkeit und Fokus.
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Ich sollte auch in andere Theater gehen, nicht nur in die Kammerspiele. Vielleicht ist ja vieles von dem, was ich unter „ach, das ist also deutsches zeitgenössisches Theater“ einordne, in Wirklichkeit allein der aktuelle Kammerspiel-Inszenierungsstil.
Zum Beispiel die Besetzung von Männerrollen mit Frauen und die von Frauenrollen mit Männern. Als ich vor drei Jahren die Iphingenie sah, dominierte die Besetzung der Hauptrolle mit Fabian Hinrichs meine Wahrnehmung der gesamten Inszenierung. Mittlerweile habe ich mich ein wenig gewöhnt. In Hass waren es drei junge Schauspielerinnen, die als französische Burschen über die Bühne randalierten; gestern stellten drei junge Herren die Sozialpädagoginnen verschiedenen Alters dar, um die sich das Stück Kaspar Häuser Meer dreht. Hat man das heute so?
Die Wirkung ist ein weiteres Stück Distanz von der Geschichte, die erzählt wird. Theater heute sagt mit fast jedem Detail: Wir spielen hier nur, das ist keine Abbildung der Wirklichkeit, sondern künstliche, ge-künstelte Umsetzung. Auf der Bühne stehen keine Kulissen, sondern Gegenstände in Installationsformation. Gestern zum Beispiel: Selbst Schreibtische wurden nicht mit Schreibtischen dargestellt, sondern durch gepolsterte Krankenliegen auf Rollen.
Der Bruch der Fesselung durch die Geschichte (merken Sie, wie sorgsam ich Brechts V-Wort umkurve?) und die physische Einheit von Darstellung und Wahrnehmung schaffen wiederum Nähe. In den ersten zehn Minuten der gestrigen Vorführung tauschten sich auf der Bühne die Sozialpädagoginnen vom Jugendamt in einem Schwall von elliptischen Sätzen über ihre Erfahrungen im Büro und mit den beaufsichtigten Familien aus, als in der ersten Zuschauerreihe ein Handy klingelte. Steven Scharf integrierte das sofort in seinen Schwall: „Gehen Sie ruhig ran. Ist sicher wichtig. Ihre Tochter? Haben Sie die allein zu Hause gelassen? Werden wir mal nachschauen müssen.“ Lasse Myhr wandte sich bei zwei Texthängern sehr direkt und offensichtlich an den Souffleur: „Viktor?“ Als gegen Ende des Stückes zwei Zuschauerinnen etwas überstürzt den Raum verließen, unterbrach sich Sebastian Weber sofort: „Ein Unfall? Sollen wir jemand holen?“ und wartete mit dem Weiterspielen, bis alles geregelt war.
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Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass in den Besprechungen von Theateraufführungen nie erwähnt wird, wenn einer oder mehrere Darsteller nicht textsicher sind? Nicht dass das besonders wichtig wäre, zumal die Aufführungen oft Monate auseinander liegen und die Schauspieler in mehreren Stücken gleichzeitig auftreten.
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Den Werkraum der Kammerspiele, in dem Kaspar Häuser Meer aufgeführt wurde, musste ich etwas suchen. Da ich mit einer „Werkstattbühne“ sozialisiert wurde, die ebenerdig lag und einfach ein kleiner Aufführungsraum war, überraschte mich die Lage des Werkraums im dritten Stock. Ich mochte den Ort aber gleich.
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Ich glaube, ich will mal ein Theaterstück schreiben.
die Kaltmamsell5 Kommentare zu „Drama im dritten Stock“
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26. Februar 2009 um 9:39
Das würde mich wirklich sehr interessieren. Gelesen mehr, glaube ich. Und danach das, was ein Regisseur und die Schauspieler daraus machen.
26. Februar 2009 um 9:58
Themenumfeld: Bloggertreffen in verzweifelter Situation?
Es sollten sich mindestens zwei Probanten wiedererkennen, so dass der Klageweg beschritten werden kann, und das Stück so berühmt wird.
Zwei Nackte und ein bißchen Schweineblut reichen heute nicht mehr ;-)
27. Februar 2009 um 15:56
Ja, ein Theaterstück zu schreiben würde passen, denn du hast die Essentials: Du balancierst im Schreiben zwischen Komödie und Tragödie, kannst gut mit dramaturgischen Elementen jonglieren und weisst an der richtigen Stelle zu provozieren.
(Ich mag Theater, ich mag Bloggen, ich mag Bücherlesen – vielleicht steh ich einfach auf Minderheitsbeschäftigungen.)
27. Februar 2009 um 18:09
Ja, warum nicht ein Theaterstück schreiben und es dann vereint über die Webcams aufführen. Eine bisschen Innovation kann nicht schaden.
Zur Not kann es ja auch in den Werkraum der Kammerspiele übertragen werden.
28. Februar 2009 um 1:56
Ist das Zufall? Ich habe gerade, bevor ich diesen Eintrag hier gelesen habe, mich bei einer Shanghaier Theatergruppe beworben. viele Gruesse!