Archiv für März 2009

Wochenendernte, Familienedition

Montag, 23. März 2009

Auf der samstagabendlichen Bahnfahrt zu meinem Geburtsort festgestellt, dass die schöne Tradition der Männerchöre auch in Süddeutschland lebt. Sie grenzt sich zu anderen Männerchor-Traditionen, zum Beispiel der walisischen, unverwechselbar ab: Es wird ausschließlich fortissimo gesungen, die Stücke verwenden auffallend oft das Wort „Bayern“, und die Sänger unstreichen den Rhythmus der Darbietungen durch Fußstampfen und „Hoi! Hoi!“. Der Wortlaut der Lieder blieb mir leider verschlossen, da diese Sangestradition keinen Wert auf saubere Artikulation zu legen scheint.

Gutschein eingelöst, den mir Neffe Nr. 1 (7 Jahre alt) zum Geburtstag geschenkt hatte: Einmal mit ihm um den Baggersee joggen. Ein Kind, das gerne joggt: Wie soll mir der Bub nicht unheimlich sein? Mein Bruder lief mit, Neffe Nr. 2 (5 Jahre alt) radelte vorneweg – als Gruppe waren wir also genau die Sorte Hindernis, die Jogger bis ins Mark hassen. Die regelmäßige Anweisungen meines Bruders an seinen kleinen Sohn, er solle sich doch bitte ganz rechts halten und auf die Läufer Rücksicht nehmen, waren selbstverständlich fruchtlos; Schlangenlinien radeln ist einfach zu spaßig. Neffe Nr. 1 trabte die 40-minütige Runde locker neben uns her. Mir war es sehr recht, dass dadurch meine gewohnte Streckenlänge halbiert wurde, da sich gerade ein ungemütlicher Infekt in meinen Atemwegen breit macht.

Ich weigere mich, die einzigen drei verhärmten Krokusse am Rand eines 5,2 Kilometer langen Uferweges als Frühlingssymptom anzuerkennen.

Großes Frühstück anlässlich Vatergeburtstag. Meine Eltern nennen mittlerweile konsequent jedes gesellige Frühstück „Brunch“; eingeschritten bin ich erst, als sie von „Osterbrunch“ sprachen und damit das große Osterfrühstück meinten, das in unserer Familie schon immer der Standard für Ostersonntag und -montag war.

Auch am Tisch: Zwei Perlenketten bewehrte Damen Mitte 60, die mir detailliert vom jüngsten Boxkampf eines der Klitschko-Brüder erzählen und sich über der Bewertung seines Boxstils im Vergleich zu dem seines Gegners in die Haare gerieten.

Hummelgeschichte

Samstag, 21. März 2009

Frau Stattkatze bekommt ungewöhnlichen Besuch von einem kleinen Flugtier und erzählt davon in der Reihenfolge des Erlebens, mit Wörtern und Bildern. Das Ergebnis ist eine zaubervolle Frühlingsgeschichte:
Bumbles
Bumbles [2]
Bumbles [the endings]
Bumbles [Memorabilia]

Zeit nehmen und behalten. Hinschauen. Sehen. Mitleben.

Issue Management bei Medien

Freitag, 20. März 2009

Ich frage mich ja schon, ob deutsche Medien zum Thema „Krise“ nicht derzeit ihr Pulver verschießen. Jetzt macht das SZ-Magazin ein Sonderheft, in dem Menschen nach den Auswirkungen der „Krise“1 auf ihr Leben befragt werden. Ein Boutiquenbesitzer hat festgestellt, dass im Herbst die Russen nicht gekommen sind, eine alleinerziehende, arbeitlose Mutter sagt aus, dass sie eh nichts hat und sie deswegen keine Angst hat, dass ihr etwas genommen werden könnte, ein Textilreiniger mutmaßt, dass irgendwann die Leute ihre Hemden vielleicht lieber selber bügeln, eine Werberin konnte sogar Kunden gewinnen – kurz: Bislang hatte die Krise keine Auswirkungen. Kein Wunder, denn selbst die meisten Kurzarbeiter sahen erstmals finanzielle Konsequenzen, als sie ihr Februargehalt überwiesen bekamen.

Aber es gibt bereits ein SZ-Magazin dazu, in allen Zeitungen laufen Serien zu den Folgen der Krise für die Verbraucher, jeden Abend zeigt mir irgendeine Nachrichtensendung im Fernsehen Stellungnahmen von Einkäufern auf offensichtlich suggestive Fragen.

Was bleibt dann noch, sollten sich tatsächlich Schlangen vor Suppenküchen bilden? Wenn Familien auf der Straße stehen, weil sie die Raten fürs Häuschen nicht mehr zahlen können? Besteht nicht die Gefahr, dass dann die Aufmerksamkeit der Leser und Zuseher bereits abgestumpft ist, weil sie die Berichterstattung unter „tägliche Krisenmühle“ abspeichern und nicht mitbekommen, wenn es wirklich schlimm wird?

  1. Tut mir leid, das Wort ist derart zum thematischen Selbstläufer geworden, anscheinend als Synonym für alles, was wirtschafltich negativ ist, dass ich es nur als Zitat verwenden mag. []

Fetthetze

Donnerstag, 19. März 2009

Wer deutlich dicker ist als gesellschaftlich idealisiert, bewegt sich in einem dichten Netz negativer Stereotypen. Mit Dicksein wird nichts Freundliches assoziiert, Dicke rangieren in der „Selber-schuld“-Verdammung an erster Stelle. Verglichen mit einer Dicken darf sich jeder, absolut jeder, unabhängig von allen anderen Eigenschaften, wenigsten noch ein klein bisschen überlegen fühlen.

Eine neue Dimension von Fetthetze eröffnet die Kampagne einer holländischen Kette von Fitnessstudios: Sie macht die Bänke von Bushäuschen zu Waagen – mit öffentlicher Gewichtsanzeige.

bild_kopie

via feministing

Ein Hinweis, dass dick und fit durchaus kompatibel sind, wäre jetzt möglicherweise haarspalterisch? Interessant sind die Überlegungen von Womanist Musings zur Kampagne.

Amazonengefühle

Mittwoch, 18. März 2009

Stellen Sie sich vor, Sie hätten ein Körperteil von etwa drei Kilo Gesamtmasse, das Ihnen an fünf bis zehn Tagen im Monat bei jeder Bewegung Schmerzen bereitet, als seien Sie am Vortag mit voller Wucht drauf gefallen, als sei es dadurch über und über blau gefleckt.

Stellen Sie sich vor, dieses Körperteil hätte nicht mal eine Funktion und sei im Grunde nur zum Einsatz über wenige Monate für einen Ausnahmefall gedacht, der in Ihrer Gesellschaft statistisch 1,2 Mal im Leben eintritt.

Können Sie sich dann auch vorstellen, dass Sie eine gewisse feindliche Distanz zu diesem Körperteil entwickeln? Dass in Ihnen der Verdacht entsteht, die mythischen Amazonen hätten sich die rechte Hälfte davon nicht nur deshalb amputiert, um Pfeil und Bogen präziser führen zu können? Dass Sie sich sehnsüchtig ein Leben ganz ohne dieses Körperteil ausmalen? Zumal es auch noch beim Sport stört.

Halsmandeln, so denken Sie dann vielleicht, werden schließlich auch entfernt, wenn sie als Infektionsfänger zur Belastung für den Gesamtorganismus werden.

(Nein, ein Jahr lang Mönchspfeffer brachte keine Änderung, und die üblichen Schmerzmittel sind offensichtlich nicht für diese Sorte Schmerz gemacht. Bis zur erlösenden Menopause habe ich statistisch noch mindestens zehn Jahre.)

Meine Familie ist schlimmer als deine

Dienstag, 17. März 2009

Wenn Gastarbeiterkinder (jeden Alters) aufeinander treffen, spielen sie gerne das Spiel „Meine Familie ist schlimmer als deine“. Foodbloggerin Peppinella beweist, dass sie in diesem Spiel ausgezeichnete Karten hat:

Als er sich irgendwann im Heimaturlaub in Kalabrien vergnügt, schreibt Christa ihm: “Wie geht es Dir? Mir geht es gut. das Wetter ist schön. Wir bekommen ein Baby”.

Hier die ganze Geschichte: Grühnkohl – von Sizilien über NY nach Sachsen ins Rheinland

Ein Foto, das mich glücklich macht

Dienstag, 17. März 2009

Welch wundervolle Idee! Frau … äh … Mutti zeigt ein Foto, das sie glücklich macht, erzählt die Geschichte dazu und fordert Leser und Leserinnen dazu auf, dasselbe zu tun (keine Angst: unter den Antworten sind nicht ausschließlich Babys und Kinder).

Geschichten zu Fotos erzählen mache ich ja zu gerne, also griff ich umgehend zu meinen Fotoalben auf der Suche nach einem Bild, das mich glücklich macht.

Nach zehn Minuten Blättern wünschte ich mich dringend weg: Die Fotos lösten entweder gar nichts in mir aus oder waren mir peinlich oder machten mich traurig und wehmütig. Es ist sicher kein Zufall, dass ich keine Fotos mit mir herumtrage. Als ich endlich eines fand, bei dessen Anblick mir das Herz aufgeht, war es dann auch eines ohne Menschen.

eliashollplatz

Das war meine Augsburger Wohnung 1989, kurz nachdem ich sie renoviert und bezogen hatte. An die Stelle der beiden Stühle (Sitz- und Rückenteile von Mama genäht) trat erst einige Monate später mein erstes richtiges und neu gekauftes Möbelstück: ein Sofa. Es war die schönste Wohnung meines Lebens: Über 200 Jahre alt, krumm und schief, mit gesundheitsbedrohlich niedrigen Türstürzen, voller Winkel, in denen es Geheimnisse zu entdecken gab, eingerichtet auf der Basis von Provisorien. Ich habe mich nirgends so zu Hause und bei mir gefühlt wie hier.

Während meines Auslandsstudienjahres in Wales vermisste ich zwar durchaus meine Freunde, meine Familie – doch am stärksten vermisste ich diese Wohnung. Acht Jahre war sie meine, und ich erlebte darin die glücklichsten Momente meines Lebens, in jeder Hinsicht die intensivsten Momente. Nächte mit Freunden, Feste, Frühstücke, Abendessen, Besuche, Pokerrunden, angenehmstes Für-mich-Sein beim Lesen, Radiohören, Stricken, Briefeschreiben, Studieren, Übersetzen. Die große Liebe zum heutigen Mitbewohner begann hier, mit einem Jahr lang Flitterwochen.

Ich verabschiedete mich von dieser Wohnung, als ich mit meiner großen Liebe zusammenzog. Für zwei war dieses Juwel hinterm Rathaus zu klein. Manchmal nehme ich mir die Zeit, im Geist durch die Zimmer zu gehen, in alle Ecken zu schauen, Schranktüren zu öffnen, mich an den Tisch zu setzen. An dieser Erinnerung kann ich mich schlicht freuen, ganz ohne Wehmut und Trauer.