Heute ist Rosentag
Donnerstag, 21. Mai 2009Der Mitbewohner erzählt:
Wie ich Kaltmamsell kennen und lieben gelernt habe
Meine erste Erinnerung an Kaltmamsell ist im Arbeitszimmer der studentischen Hilfskräfte am Lehrstuhl für englische Literaturwissenschaft. Es muss spät im Herbst gewesen sein, da wir beide erst nach Semesteranfang am Lehrstuhl begonnen hatten. (Ich einige Tage oder Wochen vor ihr.) Aber es war noch ein sehr schöner Tag; die Sonne schien warm ins helle Zimmer. Kaltmamsell trug ein weißes Hemd und sah schön aus. Sie saß schon am Tisch und wir plauderten, ich auf der linken Seite des Zimmers, sie gegenüber.
Ich mochte sie. Sie war ein bisschen besserwisserisch und ich hatte mich, glaube ich, einige Male ein bisschen über sie geärgert. Aber sie war fröhlich, humorvoll und nahm die häufigen Diskussionen nicht zu ernst. Sie war ein gleichwertiger Diskussionspartner und das imponierte mir.
Im Laufe des Winters mochte ich sie dann immer mehr. Außerhalb der Universität hatten wir keinen Kontakt, an der Uni zeigte ich ihr meine Schätze, soweit das möglich war, zum Beispiel den David-Hockney-Band mit meinen Lieblings-Fotocollagen, auf den ich im Lauf einer Recherche für den Professor gestoßen war. (Gesucht war eine bestimmte Don-Quichote-Illustration.)
Ich weiß noch, dass über den Winter mein Interesse ein bisschen erkaltete. Warum? Ich weiß nicht mehr. Vermutlich allgemeine Winterträgheit. Bald darauf ging es aber wieder los. Ich weiß noch, dass ich im Frühling mit Freunden in Köln oder Düsseldorf war, andere Freunde besuchen. Von dort aus rief ich Kaltmamsell an – es muss einen Grund (oder Vorwand) dafür gegeben haben; ich weiß nicht mehr welchen. Dass ich in sie verliebt war, wusste ich damals schon, aber ich hatte es nicht eilig, ihr das zu sagen. Jedenfalls erfuhr ich bei dem Anruf, dass Kaltmamsell mich zum Frühstück eingeladen hatte, zusammen mit Freunden und Bekannten von ihr. Ich ging aus der Telefonzelle – Handys gab es damals noch nicht – und dachte: „Ja!“
Das Frühstück war sehr lecker, ich war sehr unauffällig. So unauffällig, wie ich war, fühlte ich mich gar nicht. Aber es stimmt, ich habe nett gelächelt und ansonsten kein Wort gesagt. Da waren aber auch lauter richtig interessante und wirklich coole Leute dort. Kreative, sprachgewandte, vielwissende. Mir geht es heute noch so: Wenn kluge Köpfe zusammensitzen, gehe ich davon aus, dass die alle viel Wichtigeres zu sagen habe als ich und dass ich nur störe. (Tatsächlich freuen die Klugen sich über Input von anderen, auch von mir. Aber verinnerlicht habe ich das noch nicht.)
Der nächste Schritt bestand darin, dass ich Kaltmamsell, U., F. und U.2 zum Pokern einlud. F. kannte ich von ein oder zwei Seminaren im Grundstudium. U. auch vom Grundstudium, aber woher genau? Ich hatte schon immer gerne Leute zu Besuch zu mir eingeladen, auch wenn ich noch bei meinen Eltern wohnte. Ich glaube, ich wäre nie auf die Idee gekommen, zu Kaltmamsell und den anderen zu sagen: kommt doch mal vorbei. Aber eigentlich wollte ich nur das. Also musste es Pokern sein. (Das war mehr als ein Jahrzehnt vor der allgemeinen Pokermanie in England und dann auch Deutschland.) U. war ein erfahrener Spieler, ich hatte wenig Erfahrung, die anderen gar keine. Ich hatte ein Einladungsheft gemacht, mit einer Kurzgeschichte von James Thurber drin, einem Cartoon, den Spielregeln, einem Überblick über die verschiedenen Blätter, einer Anfahrtsroute.
Es gab Nachos mit Guacamole, und wohl auch noch andere Sachen. Das Pokern machte viel Spaß, die Zeit verflog sehr rasch, plötzlich war es lang nach Mitternacht. U. fragte mich, ob diese Kaltmamsell – die er erst an diesem Abend richtig kennengelernt hatte, obwohl ich mich an gemeinsames Rauchen an der Uni erinnere – mit F. zusammen sei. Da dachte ich mir, dass ich rasch handeln sollte.
Am nächsten Tag nahm ich mir vor, Kaltmamsell meine Liebe zu gestehen. Am Vortag hatte ich überprüft, dass es in unserem Vorstadtviertel einen Blumenladen gab, und dass der Rosen führte. Also ging ich hin und kaufte dort die größte rote Rose, die ich jemals – auch seitdem – gesehen habe.
Warum so und nicht anders? Ich hatte die Zeit des Verliebtseins genossen, auch ohne dass Kaltmamsell davon wusste. Es war ein sehr schönes Gefühl gewesen, wie überhaupt der Frühling ein sehr schöner war. Aber das konnte ja nicht ewig so weiter gehen. Ich erwartete keine bestimmte Reaktion von Kaltmamsell. Sie konnte Ja sagen oder Nein, aber ich rechnete damit, dass unser unkompliziertes Verhältnis eben das danach nicht mehr sein würde. Also wollte ich die Sache möglichst dezent und unaufdringlich erledigen. Unaufdringlich konnte ich ja gut.
Also kaufte ich diese Rose und steckte sie in eine übergroße Plastiktüte. Ich fuhr nämlich mit der Straßenbahn durch die halbe Stadt und wollte auch nicht gleich mit der Rose ins Haus fallen. Ich trug ein grünes Hemd, ein sehr helles Olivgrün, das gut zu meinen Augen passte. Das wusste ich nicht, glaube ich, bis es mir Kaltmamsell gesagt hat. Darunter ein weißes T-Shirt, eine blaue Jeans, Turnschuhe. (Ich hatte mich kurzfristig gegen meine bunten Schuhe aus Brighton entschieden.) Eine Jacke? Keine Jacke, glaube ich. Aber eben die Plastiktüte mit der Rose.
Bei Kaltmamsell klingelte ich an der Tür, sie ließ mich etwas überrascht herein. Mittlerer Nachmittag. Was sie trug, weiß ich nicht mehr. Wir plauderten, ich weiß nicht worüber. Dann sagte ich, dass sie als Single ja sehr glücklich sei (das hatte Kaltmamsell gelegentlich betont), aber wenn sie des Single-Seins jemals überdrüssig werden sollte, stünde ich jederzeit zur Verfügung. Packte die Rose aus der Tasche, gab sie ihr. Wir müssen zwei, drei Sätze über das Thema gesprochen haben („Oh, ah, das ist aber… ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, vermutlich), danach machte ich weiter Smalltalk, vermutlich an das Gespräch zuvor anknüpfend. Darauf war ich besonders stolz, so ganz geschickt und nonchalant weiter über Pokern oder englische Literatur oder so etwas weiter zu plaudern. Dann empfahl ich mich.
Das alles dauerte etwa fünfundzwanzig Minuten. Wie gesagt, es sollte unaufdringlich sein. Danach war ich erleichtert. Die Antwort war kein deutliches Ja gewesen, also ein Nein, aber wir schieden freundlich, als wäre es nichts geschehen. Äußerlich zumindest, und das ist ja das Wichtigste. Dann kann man immer noch so tun, als wäre wirklich nichts geschehen. — So etwas habe ich übrigens nie davor oder danach gemacht. Aber ich hätte mir keinen anderen Rat gewusst. Wie sagt man vorsichtig, dass man verliebt ist?
Das muss ein Freitag gewesen sein. Am Montag kriegte ich dann einen Korb von Kaltmamsell. Den habe ich heute noch: Goldfarben, geflochten, vor allem gefüllt mit selbst gemachten Schokoladenerdbeeren. (Wie hat Kaltmamsell die nur kühl gehalten?) Zum Korb gab es, glaube ich, ein Briefchen, das ich auch noch in der Kiste mit Briefen von Kaltmamsell habe. Den Korb habe ich vorsichtig nach Hause transportiert – ich war mit Rollschuhen an der Uni gewesen.
Ja. Dann ging das so weiter. Wir waren freundlich zu einander und das Wetter war immer noch gut. Das nächste, an das ich mich erinnere, ist: Mit A. S. auf einer Bank vor seinem Haus zu sitzen und zu plaudern. Ich hatte Kaltmamsells Postkarte dabei: Kaltmamsell war nämlich in Wales und schickte mir eine sehr liebe Postkarte. Was draufstand, weiß ich nicht mehr (aber ich habe die Karte natürlich noch). Allein die Tatsache, dass es eine Postkarte war, versüßte mir das Leben schon sehr. Ich hatte keinesfalls die Hoffnung aufgegeben, dass aus Kaltmamsell und mir ein Paar werden würde, aber ich wollte ihr auf keinen Fall zu nahe rücken, sondern die von ihr gewollte Distanz wahren.
Wir gingen Cocktails trinken und pokerten. Saßen uns am Arbeitsplatz gegenüber, aber nie gemeinsam in einem Seminar. (Nur in einer Leserunde bei einem der Dozenten.)
Das ging soweit, dass sie mich dann schon sehr deutlich küssen musste, bis ich kapierte.
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Der Tag, an dem er mir die Rose brachte, war der 21. Mai 1993. Seither ist der 21. Mai Rosentag.
Nachtrag: An diesem Tag bekommt er für jedes Jahr eine Rose zurück – die größten, die ich finden kann.