Diese „Zehn Gründe, warum Blogs in Deutschland nicht funktionieren“ im heutigen SZ-Magazin haben lediglich die falsche Überschrift. Sie müsste lauten: “Zehn Gründe, warum Blogs in Deutschland nichts mit Journalismus zu tun haben”. Blogs funktionieren in Deutschland nämlich sehr gut – nur ganz anders als in Amerika. Bei dieser Gelegenheit verweise ich mal wieder auf die Gespräche, die ich mit den internationalen Jury-Mitglieder des Best-of-the-Blogs-Award der Deutschen Welle führte. Denen konnte ich sehr leicht begreiflich machen, dass Blogs in Deutschland eher in ihrer literarischen Funktion Gewicht haben und in der exponentiellen Vermehrung der öffentlichen Stimmen: All die individuellen, subjektiven Aussagen führen zu einem deutlich differenzierterem Blick. Wer von deutschen Blogs dasselbe erwartet wie von US-amerikanischen, muss zwangsläufig enttäuscht werden.
Mein Blog, finde ich, funktioniert – in der oben geschilderten Art. Und erfüllt dennoch gleichzeitig die vom Artikel des SZ-Magazins aufgestellten Kriterien:
1. Hier im Web bin ich ein Niemand: Durch mein Pseudonym habe ich keinen Status oder Platz in einer außer-weblichen Hierarchie.
2. Dadurch bin ich gleichzeitig jemand ohne zertifizierte Meinungsberechtigung – es zählen nur Stichhaltigkeit, Originalität, Klugheit.
3. Tatsächlich ist niemandem in Politik und Wirtschaft wichtig, was ich hier schreibe – noch ein Glück! Denn Irrelevanz bedeutet in Kunst und Literatur Freiheit. (Mag jemand darüber streiten? Ich stehe ganz auf der Seite von Zadie Smith.)
4. In meinem Bloggen denke ich weder an Karriere oder meinen Beruf – auch wenn ich durch meine berufliche Tätigkeit viele Einblicke und Kenntnisse erwerbe, die mein Bloggen bereichern.
5. Ein guter Blogger muss auch irren? Hossa, ich glaube, darin bin ich ziemlich gut.
Weil ich nämlich, 6., Schnellschüsse liebe. Hey, das hier ist Internet: Morgen kann ich den Schuss schon wieder revidieren.
7. Ansehen ist mir zwar so wichtig wie jedem anderen auch; doch ich habe die Begabung, mir Reaktionen so hinzudefinieren, dass sie mir zum Ansehen gereichen. Ganz einfach.
8. Tut mir leid, für die Blogferne von wissenschaftlichem Personal fühle ich mich nicht verantwortlich. Ich interessiere mich lieber für das blognahe wissenschaftliche Personal auf Scienceblogs.
9. Dass ich fürs Bloggen kein Geld bekomme, fühlt sich ebenfalls nach Freiheit an. (Dieser Punkt hat mich allerdings überrascht: Ich hatte immer gedacht, dass das Problem journalistischen Bloggens in Deutschland der schlechte Ruf von Bloggen gegen Geld ist. Nicht umgekehrt.)
10. Aber hallo kennt der deutsche Blogger Ferien: Darüber bloggt er nämlich besonders gern.
Nachtrag 18 Uhr: Stefan Niggemeier hat herausgefunden, dass die Überschrift tatsächlich falsch ist: Im Englischen Original hatte der Autor getitelt “10 reasons for the lack of German econobloggers”. Und plötzlich ergibt die Liste Sinn.