Die Semiotik von Arbeitshierarchien
Mit einem neuen, altgedienten Kollegen hatte ich einen höchst interessanten Austausch über die Zeichensysteme in Unternehmen, die die hierarchische Einordnung eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin markieren. Denn klar: Das Gehalt wächst mit dem Aufstieg, und ab einer bestimmten Chefigkeit gibt es einen Dienstwagen. Aber diese Dinge sieht ja nicht, wer zum Beispiel eine Abteilung betritt und möglichst schnell herausfinden will, wer das Sagen hat. Meiner Berufserfahrung nach gibt es in jedem Unternehmen eine ungeschriebene Hierarchiesemiotik, die bei dieser Einschätzung hilft. Hier einige Beispiele:
Quadratmeter
In konservativen Bürolandschaften lässt sich die Hierarchie allgemeinverständlich an der Architektur ablesen: Fußvolk teilt sich mit mehreren Kollegen und Kolleginnen einen Raum, eine Gruppenleiterin ist am Eckplatz mit etwas Luft darum zu erkennen, erheblich chefiger macht die Zuweisung eines Einzelbüros, Oberchefs sind die Menschen mit Vorzimmer, in der Topposition inklusive mehrköpfigem Vorzimmerpersonal. (Sonderregeln gelten für lärmreiche Branchen, in denen Führungskräfte auf erheblich niedrigeren Hierarchieebenen Schallschutz erhalten.) Verheerend für dieses Zeichensystem ist die konsequente Einführung von Großraumbüros; oft brechen heftige Kämpfe um gelernte Hierarchiemarker in Wandform aus. Ich kenne nur eine Oberchefin (Ebene direkt unter Vorstand) eines traditionellen Großunternehmens, die einen Platz mitten in ihrer Mannschaft bevorzugt und ihr standesgemäßes Einzelbüro zu einem Besprechungsraum umbauen hat lassen.
Fenster
Es gibt Unternehmen, die die Ranghöhe von Führungskräften durch die Anzahl der Fenster in deren Büro signalisieren. Damit wird das Privileg des Einzelbüros unabhängig von Vorzimmer weiter heruntergebrochen. Die popeligsten Einzelbüros haben zwei Fenster, die besseren drei; die höchste Stufe sind vier Fenster über Eck. Obwohl auch dies nirgendwo festgehalten ist, sind erboste Beschwerden von Menschen belegt, die sich durch Unterfensterung diskriminiert fühlten.
(Andererseits stelle ich mir vor, wie Papi abends heimkommt: „Inge, mach den Sekt auf: Ich habe ein drittes Fenster bekommen.“)
Teppich
Auch dieses Zeichensystem funktioniert nur mit Einzelbüros. Abstufungen sind, wie ich mir habe erzählen lassen: überhaupt Teppich, schlichte Auslegeware, weicher Teppich, farbiger Teppich. Es lohnt sich sicher zu recherchieren, ob dieser Aufstieg mit einer bestimmten Zusatzmöblierung des Büros einher geht, also in Form von Sofas, Beistelltischchen etc.
Schreibtischstuhl
Sie glauben doch nicht im Ernst, die Form und Ausstattung eines Schreibtischstuhls hingen von Ergonomie ab. In modernen Großraumbüros wird das Sitzmöbel zur komplexen Aussage. Sachbearbeiter lassen sich wieder auf dem schlichten Modell ohne alles nieder, ATler und erste Führungsebene können dann schon die Arme auf Lehnen ablegen, richtig chefig wird es, wenn die Rückenlehne bis zur Kopfmitte wächst, und Hackenschlagen ist angesagt, wenn man auf jemanden zugeht, der unter sich das Ganze in Leder und Chrom hat. Doch auch dieses schöne System ist zerschießbar: Bei attestierten Rückenbeschwerden kann der Betriebsrat schon mal dafür sorgen, dass auch ein kleiner Tabellenschubser das High-Tech-Gerät untern Hintern bekommt. Wenigstens auf keinen Fall mit Lederüberzug.
Arbeitsgerät
Hier dürfte man sogar mit Funktion argumentieren: Wer aufgestiegen ist, arbeitet natürlich nicht nur nine to five, sondern nimmt sich auch mal Arbeit mit nach Hause. Manche Unternehmen unterstützten das, indem sie diesen Mitarbeitern einen Laptop spendieren. Man hat allerdings auch von Leuten gehört, die dieses Gerät als reines Statussymbol einfordern, ohne es je aus seiner Stationärbuchse auf ihrem Schreibtisch zu entfernen.
Parkplatz
Ein Grenzfall im Zeichensystem der Arbeitsplatzhierarchie, da man ihn nicht beim Betreten eines Großraumbüros sehen kann. Oft sind die Parkplätze größerer Unternehmen so weit von den Bürogebäuden entfernt, dass der Weg von dort zum Arbeitsplatz eigentlich ein Wanderabzeichen wert ist. Doch manche Firmengelände haben zudem noch ein paar Parkplätze in Sichtweite der Chefbüros, gerne in einem Innenhof. Wer seinen Dienstwagen auf solch einem abstellen darf, ist ganz sicher wer.
Kennen Sie weitere solche Zeichen?
§
Nach ausgiebigen Aerobic-Hopsen war die Unterwäsche wie immer tropfnass. Dummerweise hatte ich heute die Wechselwäsche für nach dem Duschen vergessen. Hiermit kann ich vermelden: Going commando unterm Businesskostüm fühlt sich sehr unerotisch an.
Nahrung: Café con leche, Planetenpfirsiche (ui, die reifen ja nach!), Seelachs mit Asiengemüse, Rohkostsalat, Milchkaffee, Rinderbrühe, gekochtes Rindfleisch mit Meerrettich, Schokolade (Persteiner Salzmandeln in Trinidad Blend Kakao – gut!)
Wetter: buntwolkig mit heftigen Regenschauern, warm