Archiv für August 2009

Wochenenderkenntnisse

Sonntag, 16. August 2009

Es ist eine ganz andere Nummer, sich mit anderen Evidenzfreunden über den Blödsinn von Homöopathie und ähnlichen Märchen lustig zu machen, als einem sehr gemochten Menschen gegenüber zu sitzen, der mit Leidenschaft von persönlichen Heilungserlebnissen durch Globuli erzählt und ihm zu sagen, dass sein persönliches Erleben Blödsinn ist. Das ist nämlich ein Scheißgefühl.

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Endlich mal das Hans-Sachs-Straßenfest angeschaut, während es stattfand, und nicht erst an den Müllbergen am Sonntag drauf erkannt, dass ich es schon wieder verpasst habe. Interessanterweise erklang aus allen Lautsprechern Aerobicmusik – sind das die Klänge, die mit „Party machen“ verbunden werden?

10 Irrtümer über Feminismus – Teil 2

Freitag, 14. August 2009

Feministinnen verleugnen ihre Weiblichkeit

Richtig ist: Feministinnen lassen sich nicht vorschreiben, wie Weiblichkeit aussieht – dick / dünn, Stöckel / Turnschuhe, lange Haare / kurze Hare, lange Fingernägel / kurze Fingernägel, laut / leise, sanft / aggressiv, passiv / aktiv… Sie leben ihre ureigene, individuelle Weiblichkeit. Das hat allerdings gerne mal zur Folge, dass sie nicht dem westlichen Frauenstereotyp entsprechen.

Feminismus ist gleich Alice Schwarzer

Alice Schwarzer ist sicher bis heute die bekannteste Vertreterin des Feminismus im deutschsprachigen Raum. Dass sie das seit 30 Jahren ist, dass seit 30 Jahren keine andere Frau so eng mit Feminismus verbunden wird, dass immer noch Frau Schwarzer für alles herhalten muss, macht mich zwar traurig und müde – man kann es aber wirklich nicht Alice Schwarzer anlasten.

Frau Schwarzer wird in Medien und Gesellschaft mehr Deutungshoheit zum Feminismus zugeschrieben als dem Papst zum Katholizismus. Bloß weil Papst Woytila das gemeinsame Abendmahl von Katholiken und Protestanten verurteilt hat, geht man ja nicht davon aus, dass katholische Kirchensteuerzahler vfortan nie mehr an evangelischen Abendmahlen teilnehmen. Wie kommt die Öffentlichkeit also auf die Idee, dass alle Feministinnen Pornografie ablehnen? Oder bis heute alle Ungerechtigkeiten zwischen Geschlechtern auf „das Patriarchat“ zurückführen?

Mittlerweile bin ich überzeugt: Sollte herauskommen, dass Frau Schwarzer keine Mettwurstbrötchen mag, wäre innerhalb weniger Monate gesetzt, dass Feministinnen Mettwurstbrötchen ablehnen. Auch in diesem Fall: Das ist nicht Alice Schwarzer anzulasten.

Feminismus bedeutet Verbote

Gegen Reifenwerbung mit nackten Frauen, gegen die Benachteiligung von Arbeitnehmerinnen mit Familie, gegen häusliche Gewalt, gegen Homophobie, gegen Stereotypen – Feminismus scheint vor allem in seinen Kämpfen gegen alles mögliche wahrgenommen zu werden. Widerspruch ist halt deutlicher zu hören als Schulterklopfen oder Nicken. Dabei geht es in erster Linie darum, Frauen zu bestärken, dass sie in all ihrer Verschiedenheit so sein dürfen, wie sie sind. Dass sie sich nicht einreden lassen müssen, sie seien zu dick, zu hässlich, zu sexy, zu schlau, zu dumm, zu laut, zu leise.

Feminismus ist altmodisch

Umfragen belegen, dass die Mehrheit in unserer Gesellschaft diese Ziele begrüßt: Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, Bekämpfung häuslicher Gewalt, Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit, mehr Frauen in Führungspositionen. Das sind feministische Kernziele – und die finden Sie altmodisch?

Feministinnen halten aus weiblicher Solidarität zusammen

Das Klischee der großen Schwesternschaft steht in unlösbarem Konflikt mit dem Stereotyp, dass Frauen alle anderen Frauen als Feindinnen sehen und bekämpfen. (So, wie das Klischee der typisch männlichen Kameradschaft und Seilschaft gegen das Klischee des typisch männlichen Konkurrenzdenkens steht – man kann sich ja nicht mal mehr auf die Durchgängigkeit von Stereotypen verlassen!)

Wie jede kritische, reflektierte und skeptische Haltung ist die Feminismus-Diskussion nie abgeschlossen. Daraus folgen auch eine Reihe Kontroversen. Nachdem ich lange beheult hatte, wie bunt und vielfältig der Feminismus im englischsprachigen Raum im Vergleich zum deutschsprachigen ist, wurden vor knapp zwei Jahren endlich auch hierzulande neue Feministinnen sichtbar, jung und eigenwillig (juhu, Mädchenmannschaft!), die die Diskussion anfachten. Und prompt von länger aktiven Feministinnen attackiert wurden. Ich habe mich sehr über dieses neue Leben in der Bude gefreut.

Mein tiefer Dank an Jessica Valenti und ihr Buch Full Frontal Feminism für die Argumentationshilfe.

10 Irrtümer über Feminismus – Teil 1

Donnerstag, 13. August 2009

Feministinnen mögen keine Männer

Das hatten wir ja schon.

Feminismus schadet der Beziehung zwischen den Geschlechtern

(Ich habe Remingtons polemische Behauptung versachlicht.)

Möglicherweise handelt es sich gar nicht um einen Irrtum. Die Ruhe zwischen den Geschlechtern in früheren Jahrhunderten ist tatsächlich dahin. Vor der Frauenbewegung gab es eine klare Hierarchie: Frauen waren (gottgewollt und natürlich) weniger wert als Männer. Deswegen nahmen sie gesellschaftlich eine untergeordnete Position ein, die gesetzlich festgehalten war, durften weder über das öffentliche Leben (Wahlrecht) noch über ihr eigenes bestimmen. Es herrschten Ruhe und Ordnung zwischen den Geschlechtern, die man nach Belieben als Harmonie bezeichnen kann. Eben so, wie Ruhe in der Hierarchie zwischen Kirche und Kirchenvolk herrschte, zwischen Monarchen und Untertanen. Doch dann begannen einige Menschen, hauptsächlich Frauen, diese Hierarchie zu hinterfragen und in der Folge als ungerecht und schlecht zu bezeichnen. Seither ist Schluss mit der vorherigen Ruhe und Ordnung – und sehr wahrscheinlich ist sie nie wieder in ihrer früheren Form herzustellen. Denn seither wird die Beziehung zwischen den Geschlechtern diskutiert, hinterfragt, nicht mehr einfach hingenommen. Nur: Ich sehe darin keinen Schaden, sondern eine Bereicherung. Die vorherige Harmonie entsprach der Friedhofsruhe, die durch Diktaturen hervorgebracht wird, durch oppressive Religionen und Sklaverei.

Feministinnen sind hässlich

Matt in drei Zügen. Frauen sind seit Jahrtausenden darauf geeicht, dass ihr Wert von attraktivem Äußeren abhängt – nur deshalb ist es eine wirkungsvolle Diffamierung, ihnen dieses abzusprechen. Selbst wenn eine Frau es gerade zur Regierungschefin gebracht hat, kann man sie immer noch mit dem Verweis auf ihre angebliche Hässlichkeit klein machen.
Doch vielleicht steckt ja auch hierin ein praktischer Kern: Vielleicht verstecken sich hässliche Frauen nicht, wenn sie Feministinnen sind? Vielleicht wird es als besonders verwerfliche Unverschämtheit angesehen, wenn eine Frau sich sichtbar macht, wenn sie sich der Öffentlichkeit stellt und zu ihren Ansichten steht – und dabei nicht mal hübsch ist?

Feminismus ist überflüssig geworden

Sie sind der Meinung, dass das Geschlechterthema gelöst ist? Dass die gesellschaftlichen Bedingungen für Männer wie Frauen perfekt sind?

Schaun Sie einfach mal bei feministing vorbei. Eine zufällige Auswahl aus den Themen:
– Eine Schülerin wird für zwei Wochen vom Unterricht ausgeschlossen, weil sie in der Öffentlichkeit die Pille genommen hat.
– Putzmittelwerbung richtet sich fast ausschließlich an Frauen.
– Es gibt Babyschühchen mit High Heels.
– Im Sudan wird eine Frau mit Peitschenhieben dafür bestraft, dass sie Hosen getragen hat.

Frauen sind weiterhin wegen ihres Geschlechts Diskriminierungen unterworfen. Nein, nicht als einzige Bevölkerungsgruppe der Welt. Nein, nicht alle. Aber mehr als genug, dass sich der Kampf für ihre Rechte lohnt.

Feministinnen halten Männer und Frauen für ununterscheidbar

Das geht ein wenig ans Eingemachte, doch dieser Irrtum ist ein schöner Anlass, die verschiedenen Grundrichtungen des Feminismus zu betrachten.

Auch für den heutigen Feminismus relevant sind die Grundrichtungen
– Radikalfeminismus (Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind hauptsächlich durch gesellschaftliche Machtstrukturen und Sozialisation der Menschen begründet – im Grundsatz sind sie gleich)
– Differenzfeminismus (zwischen Männern und Frauen gibt es naturgegebene, zeitlose Unterschiede, die sie von Geburt an bestimmen und die sie unabhängig von Kultur und Geschichte gemeinsam mit allen Geschlechtsgenossen haben)

Vor allem im Differenzfeminismus gibt es zahlreiche Unterformen, die alle auf der angeborenen Besonderheit von Frauen basieren. Der gynozentrische Feminismus schreibt Frauen Intelligenz und Pazifismus zu, die für eine größere Beteiligung an der Weltpolitik sprechen. Der kulturelle Feminismus spricht von einem besonderen und zu präferierenden „weiblichen Ansatz“, militanter Feminismus will Männer vernichten, esoterischer Feminismus spricht Frauen magische Kräfte zu… und so viel weiter fort. Der Wikipedia-Artikel erweckt zwar den Eindruck, diese verschiedenen Strömungen seien unterscheidbar wie Parteiprogramme (sind sie nicht), ist aber dennoch ein guter Einblick.

Sollten Sie also jemanden treffen, der oder die sich als Feministin bezeichnet (hören Sie auf zu lachen: in einem durchschnittlich 76 Jahre währenden Leben kann das ein bis zwei Mal passieren), erkundigen Sie sich besser, was sie darunter verstehen.

Wenn Sie hier im Blog meine Kämpfe gegen Geschlechterstereotypen mitverfolgt haben, wird es Sie nicht überraschen, dass ich deutlich dem Radikalfeminismus zuneige: Die Unterschiede zwischen die Geschlechtern halte ich für erheblich geringer als die Unterschiede zwischen Individuen eines Geschlechts. Geschlechterstereotypen behindern Entscheidungsfreiheit und persönliche Entfaltung ähnlich wie Rassismus. Nach meiner Beobachtung liege ich damit in den zeitgenössischen feministischen Hauptströmungen.

Allen Feminismen (nun ja, wahrscheinlich außer der männermordenden Splitterrichtung) gemein ist, dass sie für die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Gleichstellung von Männern und Frauen eintreten, von Buben und Mädchen. Wenn Sie diese Forderung unterschreiben, sind Sie ein Feminist, eine Feministin – tja.

It’s water!

Mittwoch, 12. August 2009

Der britische Comedian Dara O’Ó Briain über Wissenschaft und warum NICHT jede Meinung ihre Berechtigung hat.

Meine Lieblingspassagen mit Übersetzung:

“And I’m sorry if you’re into homeopathy – it’s WATER! (…) You are healing yourself, so give yourself the credit.”
Wissen Sie, wenn Sie’s mit Homöopathie haben – es ist WASSER! Sie selbst sind der, der sich heilt, loben Sie sich also ruhig selbst.

“They get on my nerves with ‘Well, science doesn’t know everything.’ – Well, science knows that it doesn’t know everything; otherwise it would stop. Just because science knows it doesn’t know everything doesn’t mean you can fill in the gaps with whatever fairytale most appeals to you.”
Und dieses ständige “Nun, die Wissenschaft weiß auch nicht alles.” – Die Wissenschaft weiß, dass sie nicht alles weiß, sonst könnte sie aufhören. Doch weil die Wissenschaft weiß, dass sie nicht alles weiß, heißt das noch lange nicht, dass jeder die Lücken mit den Märchen füllen darf, die ihm am besten gefallen.

“The great thing with homeopathy is you can’t overdose on this. Well, you can fucking drown…”
Das Tolle an Homöopathie ist, dass man das Zeug nicht überdosierten kann. Nun, man könnte ertrinken…

“Herbal medicine. ‘Has been around for thousands of years.’ Yes it has. And then we tested it all, and the stuff that worked became ‘medicine’. And the rest of it is just a nice bowl of soup.”1
Pflanzenmedizin. “Gibt es schließlich seit Tausenden von Jahren.” Richtig. Und mittlerweile haben wir sie alle getestet: Die, die wirkt, wurde “Medizin”. Der Rest ist einfach eine leckere Suppe.

Außerdem dabei: Ein schwer einzudeutschender Exkurs über Nutritionist : Dietician = Dentist : Tootheologist.

über Sixtus’ Gezwitscher, natürlich

  1. Den zweiten Teil des Satzes habe ich nicht verstanden – Sie vielleicht? []

Sommerfrüchte

Dienstag, 11. August 2009

Ochsenherzen.jpg

Das sind sie: Die Ochsenherzen aus Elterns Garten. Wurden gestern Abend mit Zwiebeln, Basilikum und Olivenöl das Abendessen, als Dessert gab es große Schüsseln voll Blaubeeren.

Wochenendjournal

Montag, 10. August 2009

Geradezu stolz auf mich bin ich, weil ich den Plan, irgendwie in den Samstag eine Runde Sport zu pressen, bereits am Freitag aufgegeben habe. Der Mitbewohner und ich waren zu meinen Eltern eingeladen, der Zug ging um elf. Statt also den Wecker auf halb sieben zu stellen, um vorher noch zum Schwimmen zu kommen, schlief ich aus (heißt in meinem Fall: bis kurz nach sieben), steckte die Vorhänge meines frisch gestrichenen Schlafzimmers in die Waschmaschine, genoss zwei große Tassen Milchkaffee, bloggte über das Romans, duschte, fönte, cremte, schminkte mich, hängte die feuchten Vorhänge auf. Es blieb sogar genügend Zeit, mich an den Rock zu erinnern, den ich meiner Mutter mitbringen wollte (werde ich nie mehr tragen, weil er mich nach drei Jahren langweilt, ist aber noch pfenniggut), und zu überlegen, dass meinem Vater die Musik von Bebe gefallen könnte – ich beschloss, ihm meine CD zu schenken und mir eine neue zu kaufen. Dass er nicht verstehen würde, warum ich meine CD nicht einfach kopiert hatte, wusste ich zwar schon vorher, versuchte ihm aber dennoch zu erklären, dass auch Musiker Geld verdienen sollen.

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Ich brauche neue Laufschuhe, meine Mutter brauchte ein Geburtstagsgeschenk für mich, also ließ ich mir neue Laufschuhe kaufen. Wir fuhren zu diesem Behuf in eines der vielen Gewerbegebiete um meine Geburtsstadt – die im Grunde von einem geschlossenen Gürtel Gewerbegebiet umgeben ist, unterbrochen lediglich von der gigantischen Autofabrik. Dort gibt es ein Sportgeschäft, in dem meine Eltern nicht nur Prozente bekommen (ein früherer Arbeitskollege meines Vaters kennt die Schwägerin des Geschäftsführers – so geht das immer), sondern das zudem für kompetente Beratung bekannt ist. Was ich bestätigen kann: Ein sehr junger Bursch kümmerte sich vorsichtig und aufmerksam um mich, informierte mich verständlich über die Vor- und Nachteile verschiedener Schuhmodelle, ließ mich Alternativen auf einem Laufband mit Videokamera testen, um mir nachvollziehbar zu einem ganz bestimmten Modell zu raten. Und er brachte es fertig, zwei weitere Kunden parallel zu mir und ebenso aufmerksam zu bedienen. Ich freute mich über die neuen Schuhe, meine Mutter über die Prozente, alle verließen das Geschäft glücklich.

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Zumal anschließend im Garten der Eltern gegrillt wurde. Als Vorspeise holte ich Ochsenherztomaten direkt vom Stock, dazu eine Hand voll Basilikum, den meine Mutter darunter angepflanzt hat. Zu gefüllter Hühnerbrust und Lammkoteletts gab es Vinho Verde, als Nachtisch dunkelrote Wassermelone. Wir unterhielten uns über die verschiedenen Methoden, eine ganze Wassermelone als reif zu erkennen: Mein Vater und ich drücken die Melone mit beiden Händen neben unserem Ohr; wir erkennen am sachten Knacken, dass sie reif ist. Was man beim Klopfen auf die Schale hören soll, haben wir beide nie verstanden. Mein Vater erzählte, dass sein Onkel, zum dem er als Kind sommers aufs Land geschickt wurde (Kastilien, 50er Jahre), ihm das immer wieder beizubringen versucht habe. Er habe auf den Tisch und zum Vergleich auf andere Gegenstände geklopft – doch diesen Ton hörte mein Vater beim Klopfen auf die Wassermelone einfach nicht. Als man ihn dann aufs Feld schickte und er von dort eine reife Melone holen sollte, klopfte und klopfte er, bis er glaubte, eine richtige zu hören. Da er aber wusste, welches Donnerwetter er, das dumme Stadtkind aus Madrid, hören würde, wenn er eine weiße Melone heimbrachte, zerbrach er sie vorsichtshalber. Glücklicherweise, denn die vermeintlich reife Melone war weiß. Erst die dritte zeigte beim Zerbrechen ein rotes Inneres, die nahm er mit zurück. Die unreifen Exemplare bekam der Esel Sevillano zu fressen, auf dem mein Vater sich während seiner Landaufenthalte fortbewegte. Wie er denn seinem Onkel erklärt habe, dass die Melone zerbrochen war, fragte ich ihn. Na, er habe halt behauptet, sie sei ihm heruntergefallen.

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Jetzt fühle ich mich endgültig um meinen Sommer gebracht: Schwalben und Mauersegler haben sich bereits Ende Juli verabschiedet, und gestern beim Laufen an der Isar waren die Wege mit gelben Blättern gesprenkelt. Der wilde Wein über den Brücken des Isarkanals gönnt sich bereits die ersten Rottöne. Am 9. August!

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Gerade mal zweieinhalb Jahre nach seiner Eröffnung gleich bei uns ums Eck haben wir es ins jüdische Museum geschafft. Es ist sehr überschaubar, vermutlich allein schon, weil es noch so neu ist. Es gibt einfach schrecklich wenige historische Zeugnisse der Juden in München, aus den wenigen Exponaten haben die Kuratoren durchaus das meiste gemacht. Mir fehlten allerdings mehr Informationen über den jüdischen Jahreskreis. Gerade weil die benachbarte jüdische Gemeinde immer wieder betont, sie wolle für das heutige, das lebendige Judentum in München stehen und nicht nur über das Grauen der Shoa definiert werden, böte sich das Museum dafür an. Sehr ausführlich und fröhlich habe ich das im jüdischen Museum in Amsterdam gesehen – wenn ich mich recht entsinne, war dort sogar eine Laubhütte aufgebaut.
Reichhaltig und interessant ist auf jeden Fall die Buchhandlung im Erdgeschoss des Museums.

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Abends dann doch vor dem Pflichtdruck kapituliert und die Wäsche der Woche weggebügelt. Anschließend in den Ochsenherzen aus Elterns Garten geschwelgt.

On His Deafness

Sonntag, 9. August 2009

Deaf_sentence_1

Ich bin mir ganz sicher, dass David Lodge mit diesem Titel für seinen Roman Deaf Sentence gespielt hat – John Miltons “On His Blindness” ist für einen Literaturwissenschaftler, wie er einer ist, die unvermeidliche Assoziation.* Doch er entschied sich für das Spiel mit dem Wort deaf, das er, im Gegensatz zur Milton-Anspielung, durch den ganzen Roman ziehen kann (z.B. deaf on arrival, deaf in the afternoon, und den Lippenlesekurs nennt er deaf row). Die Übersetzerin ins Deutsche, Renate Orth-Guttmann, wird ihre Mühe gehabt haben; der deutsche Titel Wie bitte? ist ein Indiz.

Hauptfigur des Romans ist Desmond Bates, ein Linguistikprofessor jenseits der 60 im Norden Englands. Hauptthema ist seine Schwerhörigkeit, zu Herzen gehend und in vielen Details geschildert. Sie bildet den Hintergrund für die Handlung um den frühpensionierten Desmond, seine beruflich erfolgreiche Frau Winifred, Desmonds ebenfalls schwerhörigen und langsam pflegebedürftigen Vater in London, um die zwielichtige amerikanische Doktorandin Alex. Die äußere Form ist die eines Journals, das Desmond in seinen Rechner tippt, inklusive der Schreibpausen, die sich durch überstürzende Ereignisse ergeben.

Schon mit Anfang 40 wurde Desmonds Hörkraft immer schwächer und beeinflusste jeden Bereich seines Lebens. Die Ausführlichkeit, mit der die Geschichte uns in diese Details mitnimmt, hat mir zum ersten Mal eine Ahnung davon vermittelt, was das bedeutet. Aus allem aber spricht David Lodges typischer warmer Blick für die inhärente Komik: “Deafness is comic, blindness is tragic.” Die Kundigkeit der Schilderung ist nicht nur Ergebnis von Recherche; in den “Acknowledgements” schreibt Lodge: “The narrator‘s deafness and his Dad have their sources in my own experience.”

Manchmal wird die Komik zu bitterem Lachen: Es gibt einfach fast keine Interaktion, die nicht von Desmonds Schwerhörigkeit betroffen ist. Eingangs schildert er eine Unterhaltung zwischen sich und seiner Frau in der knappen Form, die wir aus Romanen gewohnt sind. Doch dann notiert er, wie dieses Gespräch tatsächlich verlaufen ist, nämlich an jeder Stelle durchsetzt von “What?”, Verhörern, Wiederholungen. Schon da wird klar, wie anstrengend jede Art mündlicher Konversation für einen Schwerhörigen ist. Oder die Frustration, am 2. Weihnachtsfeiertag festzustellen, dass die Ersatzbatterien fürs Hörgerät die falsche Größe haben und natürlich alle Kaufmöglichkeiten geschlossen sind. Interessanterweise taucht trotz einiger Sexszenen die Auswirkung von Schwerhörigkeit auf die Details im Bett nicht auf. Diese kenne ich aus Notquitelikebeethovens Beschreibung.

Deaf Sentence ist dennoch keineswegs ein Roman über Schwerhörigkeit, sie bildet lediglich einen intensiven Hintergrund. Die Geschichte erzählt Familienverwicklungen, Universitätsalltag, das Liebesleben nicht mehr junger Menschen, viel England. Und das mit David Lodges sprachlicher Leichtigkeit, die ich schon immer sehr schätzte. Ich werde seine Romane noch ausführlicher empfehlen. Fangen Sie vielleicht schon mal mit Changing Places an.

*Nachtrag: Ich hätte vielleicht erst mal “On his Deafness” gogglen sollen. Das gibt es natürlich schon, und zwar seit 1734, nämlich als Gedicht von Jonathan Swift.