So banal es klingt: Die meisten Dinge sind ganz schön komplex, wenn nicht sogar kompliziert.
Da wird in einem „Wellness-Hotel“ ein schlaganfallgeschädigter Urlauber gebeten, die Sauna nicht mehr zu nutzen: Andere Hotelgäste hätten sich beschwert.
Ein schwer erträgliches Argument des Hotelchefs ist laut Zeitungsbericht: „Ich an seiner Stelle würde anderen den Anblick dieses schlimmen Schicksals nicht zumuten wollen.“
Auch mein Puls steigt als Reaktion sprunghaft, und mein böses Hirn bietet mir den unsachlichen Vergleich an, dass die Mitgliedschaft in einem rheinischen Kegelklub ein erheblich schlimmeres Schicksal ist, dessen Anblick eine Hotelleitung aber sicher nicht als Zumutung bezeichnen würde. Für mich ist diese Haltung eine Fortsetzung des Eigen- und Fremdanspruchs an körperliche Perfektion – siehe die neue Scham im Fitnessstudio.
Doch dann fällt mir das jüngste Blogposting von Allrighttit Lisa ein. Darin beschreibt sie ihre Gefühle in der Umkleide ihres Fitnessstudios – die genau das Gegenteil von meinen sind:
Apologies if this applies to you, but what is it with those women who parade around naked, admiring themselves in the mirror? The other day I threw my head back after drying the underneath of my hair, and discovered that the woman combing her locks beside me was starkers; flaunting her perfect tits in my face like a supermodel at fat camp. ‘Oh ferchrissake, I could do without having to look at that,’ I muttered quietly under my breath, wiping unwanted hair mousse down the front of my leggings as I walked away. ‘Some of us haven’t got tits worthy of public attention. It shouldn’t be allowed.’
(…)
Looking back across the changing room, I realised it was the same woman who’d frowned in my direction as I put my covert-changing plan into effect: pull knickers on underneath the towel, fasten bra over the towel, pull my top over it, then lose the towel in exchange for my leggings. Done. It’s a routine I perfected as a kid, way before I had a fake boob, tattooed nipple and visible surgery scars to worry about.
(…)
Since then, I’ve been similarly subtle in changing rooms. And not always out of coyness – more out of respect for my fellow changees. Because really, even if I did have a stomach like Scarlett, pins like Paltrow and a booty like Beyonce, who, exactly, would be interested?
Lisa sieht es als Zeichen von Respektlosigkeit gegenüber Mitmenschen, sich überhaupt in einer Gemeinschaftsumkleide nackt zu zeigen. Nacktheit in Gegenwart anderer ist in ihren Augen eine Aufforderung zum Hinsehen. Das will ich natürlich nicht. Vielleicht sollte auch ich mich künftig nach dem Turnen für den Weg zur Dusche einwickeln? Selbst wenn mir schon mal widerstrebt, dabei ein frisches Handtuch mit dem Schweiß meines klatschnassen Körpers zu versauen?
Und dann wieder registriere ich auch selbst, dass mich so mancher Anblick unangenehm berührt, wenn er mir einen Einblick in eine Intimität aufzwingt, die ich nicht wissen will. Regelmäßig geht es mir beim Jahresausbruch schönen Wetters ja schon mit all den nackten Füßen so, die ich schlagartig sehen muss: Diese Schwielen, Nagelruinen, Hammerzehen, abgeblätterten Lackschichten und Besenreiser will ich eigentlich nicht kennenlernen. Über den Sommer hin stumpfe ich glücklicherweise ab. Ich empfinde es auch als ungehörig, wenn mir auf der Münchner Sonnenstraße eine Touristin im Bikinioberteil entgegenkommt – noch dazu zugegebenermaßen mehr so, wenn es sich um eine dicke Touristin handelt.
Wo sind also die Grenzen des Respekts für andere? Ist eine Dicke im selben Grad der Nacktheit ungehöriger als eine Dünne? Welche Abscheu hat Berechtigung? An welcher Stelle ist Rücksicht geboten?