everything about our physical being is the outcome not of nature (although undoubtedly we feel natural and highly individual), but of the ways in which nature’s body is treated by those who raise us
Dass sich unser Verhältnis zur Körperlichkeit in den vergangenen Jahrzehnten rapide geändert hat, belegt Susie Orbach in Bodies, nachvollziehbar und gut lesbar. Zwar haben Menschen den Körper schon immer der Kultur angepasst, in der sie lebten. Unsere Handbewegungen, wie wir gehen, unsere Tischmanieren, ob wir hellere oder dunklere Haut höher einstufen: All das war immer von der Kultur und der Zeit geprägt, in der wir lebten. Und entsprechend sortieren wir unsere Wahrnehmung der Umgebung.
Mir fiel hierbei der neue Gesundheitsminister Phillip Rössler ein: Sein etwas undeutsches Aussehen bemerkte ich erst mal gar nicht, weil Herrn Rösslers Habitus deutsch ist, seine Mimik und Gestik, also seine gesamte Körperlichkeit. Wäre er kulturell Vietnamese, nicht nur genetisch, sähe er bedeutend fremder aus.
Aber, und das ist der zweite Teil von Orbachs These: Unsere Körperlichkeit hat sich in jüngster Zeit grundlegend verändert. Das Aussehen wird mittlerweile als völlig eigenverantwortlich und beliebig anpassbar gesehen. Zumindest die wohlhabende westliche Welt bietet fast unendliche Möglichkeiten, alles an sich zu verändern und der Norm anzugleichen. Ein Körper, so belegt Orbach, wird nicht mehr geboren: Er wird gemacht.
Bis vor Kurzem galt das Aussehen eines Menschen als Glückssache, ein Geschenk. Man hoffte auf einen gesunden, gut funktionierenden Körper, vor allem Frauen zusätzlich auf einen attraktiven. Eine Frau ohne Pockennarben galt noch im 19. Jahrhundert bereits als schön, hatte sie noch mit Mitte 20 alle ihre Zähne, wurde sie darum beneidet.
Heute hat sich die Beweislast umgekehrt: Jede Abweichung von der Norm gilt als körperlicher Makel. Und dieser Makel wird umgehend zum Vorwurf: Man könnte ja etwas gegen den Makel tun; tut man es nicht, ist man schlampig, nachlässig, ungepflegt, undiszipliniert, wenn nicht gar rücksichtslos. Jede Abweichung von der Norm ist eine persönliche Verfehlung. Ein gesunder und fitter Körper ist Pflicht geworden. Wie hoch die Ansprüche an attraktives Aussehen sind, belegen immer wieder die scharfen Beobachtungen der Fugly-Damen: Selbst die wunderschöne (mit welchen Mitteln auch immer) Demi Moore ist nicht schön genug, dass der Magazingrafiker nicht noch fürs Cover der W ordentlich Hand anlegen würde.
Christiane Link berichtet ja regelmäßig auf Behindertenparkplatz von der Unterstellung, sie müsse sich eine Beseitigung des Makels Rollstuhlleben wünschen. Es gebe doch sicher eine Operation / Behandlung gegen die Ursache ihres Nichtlaufenkönnens. Dass sie sich dies nicht wünscht, werde als Affront und Provokation gesehen.
Nach Susie Orbachs Beobachtung resultiert diese Entwicklung in einem immer häufiger problematischen und unguten Verhältnis zum eigenen Körper, führt immer häufiger zu Selbsthass.
Orbach warnt:
body anxiety is as fundamental as emotional anxiety
Meine persönliche Verstärkung: Ich wurde von einer Mutter erzogen, die das Aussehen einer Frau schon immer als Selbstverantwortung und Verpflichtung sah. Ich bin aufgewachsen mit ihren schneidenden Seitenbemerkungen über Frauen: Ihre Freundin 1 mit schmalem Oberkörper und ausladenden Oberschenkeln könne doch bitte „gezielte Gymnastik“ treiben, damit sie nicht ganz so schrecklich daher komme. Die rundliche und sinnenfrohe Freundin 2 müsse sich nur „ein wenig beherrschen“, um schlanker zu sein. Und die hochgewachsene Freundin 3, hager und grobknochig, könne sich doch zumindest aufrechter halten und ein wenig vorteilhafter kleiden. Nie schwärmte sie von den tiefgründig schwarzen Augen der Freundin 1, deren Blitzen beim Erzählen den halben Orient beschworen; vom mitreißenden Lachen und der Fröhlichkeit der wirren Locken von Freundin 2, von den eleganten und sprechenden Damenhänden der Freundin 3. Wie schade, dass ich nicht schon als Kind darauf kam, wie bezaubernd gerade die extreme Verschiedenheit dieser vier Frauen (inklusive meiner Mutter) war.