Jedem Jahrzehnt sein Holmes
Montag, 1. Februar 2010 um 15:36Der Film begann mich zu interessieren, als ich erfuhr, dass Jude Law nicht etwa Holmes spielt, sondern Watson; das überraschte mich.
Und dann begann er schon mal mit schönen titles (in nassem nächtlichen Pflaster und Gusseisen) – außer bei Bond-Verfilmung mag sich ja sonst niemand mehr die Mühe machen. Er endete mit schönen end titles (aus Stills werden Tuschezeichnungen).
Dazwischen fühlte ich mich ausgezeichnet unterhalten. Diese Sherlock-Holmes-Verfilmung baut auf einer gründlichen Kenntnis des Holmes-Kanons auf, doch auch jemand, der keine einzige der Geschichten je gelesen hat, kann sich amüsieren. Sie beginnt mit dem Show-down des letzten Falls, den Holmes und Watson gemeinsam lösen: Watson wird aus den gemeinsamen Räumen in Baker Street ausziehen und heiraten. Am Ende des Filmes sieht es endlich so aus, als könne er all dieses auch tatsächlich tun – ein schöner Kunstgriff des Drehbuchs, der einen zweiten Spannungsbogen neben den eigentlichen Abenteuern aufbaut.
London ist zwar spätviktorianisch düster, aber nicht so morbide, dass ich das Einsetzen von Danny-Elfman-Musik erwartet hätte. Es kracht und wummst, es wird in hohem Tempo verfolgt, kaputtgemacht und geprügelt. Die Wahrnehmungs- und Analysefähigkeiten von Sherlock Holmes, für die die Bezeichnung „messerscharf“ eigens erfunden wurde, zeigen die Dialoge meist explizit: Robert Downing Jr. (der seinen Job sehr gut macht) beschreibt, was er sieht und welche Schlüsse er daraus zieht. Einen schönen erzähltechnischen Kniff fand ich die Szene, die wir erst als Kurzfassung aus der Perspektive von Irene Adler sehen, die Holmes besucht – und dann auf Nachfrage von Watson nochmal aus der Perspektive von Holmes, die alles ändert.
Der tatsächliche Show-down ist allerdings nur beeindruckend, wenn man noch nie in London war. Auch nur die geringste Ortskenntnis erfordert eine schier übermenschliche suspension of disbelief.
Sehr gut gefallen hat mir Kelly Reilly als Mary Morstan: Sie lässt durchscheinen, dass sie in den Abenteuern durchaus brauchbar eingesetzt werden könnte. Zu meiner großen Erleichterung gefiel mir auch die Musik: Hans Zimmer bringt mich eigentlich zum Weglaufen (hätte er doch einfach nach Driving Miss Daisy und Green Card aufgehört, dieser Mann, der es fertigbringt, ein ganzes Orchester wie einen mittelmäßig programmierten Synthesizer klingen zu lassen). Doch diesmal findet sich nicht mal eine Spur von pseudo-afrikanischen Trommeln im Soundtrack, statt dessen mischt er Hackbrett und Banjo.
die Kaltmamsell9 Kommentare zu „Jedem Jahrzehnt sein Holmes“
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1. Februar 2010 um 16:14
Oh, wie schön. Bin schon länger gespannt und so ein Urteil von Ihrer Seite bestärkt die Vorfreude!
1. Februar 2010 um 16:48
Hm, hm. Ich habe den Film noch nicht gesehen, werde dies aber auf jeden Fall tun. Dennoch gibt es bereits im Vorfeld etwas, das mich skeptisch sein läßt: Ich las ein Interview mit Robert Downey Jr., in dem er andeutete, daß zugunsten des familienfreundlichen Ratings der Drogenkonsum des Sherlock Holmes unter den Tisch fallen gelassen wurde. Nun erwarte ich nicht, daß man aus Holmes einen Bukowski mache, aber Opium gehört für mich in das Sittengemälde des damaligen Londons wie Herrenclubs und Korsetts. Im übrigen hätte ich gedacht, daß gerade RDJr hier als Darsteller aus seiner Vita hätte schöpfen können. Mich würde Ihre Meinung hierzu interessieren.
1. Februar 2010 um 17:01
In mindestens einer Szene, Elbnymphe, wirkt Holmes durchaus bedröhnt. Und Watson missbilligt eindeutig, was Holmes alles so einwirft. Doch explizit um Opium geht es tatsächlich nicht – hat mir auch nicht gefehlt.
Gegen Ende des Abspanns (genau deshalb bleiben wir Abspannsitzenbleiber so lange sitzen) tauchte ein Passus auf der Leinwand auf, der betonte, dass niemand, der für den Tabakkonsum im Film verantwortlich war (Holmes, Pfeife, eh klar), in Kontakt mit einer Tabak-Interessenvertretung gestanden habe.
1. Februar 2010 um 18:45
Genau genommen war es Morphium und Kokain, und auch nur vor den Reichenbach-Fällen. Danach merkwürdigerweise nur noch Tabak. Es gibt deshalb auch eine Schule, laut der Holmes tatsächlich mit Moriarty ums Leben gekommen ist, und alle danach spielenden Abenteuer – reine Erfindung von Watson sind! (Andere Schulen behaupten wiederum anderes; ich will das mal bei Gelegenheit in einem Blogeintrag zusammenfassen.)
Im Film: nein, war schon okay so. Holmes ist so heruntergekommen, dass ich mir die Drogen automatisch ergänzt habe.
1. Februar 2010 um 21:45
Ich war noch am Überlegen, geh ja nicht so oft ins Kino. Nun werde ich es tun, danke!
1. Februar 2010 um 22:24
dem herrn downey jr steh ich ja eher skeptisch gegenüber…
und doch möchte ich den film gern sehen,
interessanter post!
1. Februar 2010 um 23:38
Grade wegen RDjr will ich da rein. Und Zimmer, bei dem kommts eigentlich immer nur drauf an, wer grade bei ihm Praktikant ist.
2. Februar 2010 um 11:36
Aha ja, Ihre Eindrücke bestärken mich in meiner Meinung. Diese Version des Sherlock Holmes ist zwar actionlastiger als wahrscheinlich alle ihre Vorgänger, aber warum auch nicht ? Ich lasse mich überraschen, und im schlimmsten Fall tröste ich mich sehr klassisch mit Basil Rathbone.
9. Februar 2010 um 17:36
@ Jens: Woher weiß man denn, wer bei Zimmer Kaffee kocht? Steht sowas im Hollywood Reporter?
@ Kaltmamsell und Mitbewohner: Inzwischen habe ich den Film auch gesehen und bin in meiner Rezension noch ein paar anderen Aspekten nachgegangen. (Ich wittere bei Ihnen beiden immer verwandte, anglophile Seelen, daher erlaube ich mir das Setzen eines Verweises.) :-)
@ Mitbewohner: Wo ist denn dieses Blog zu lesen?