Archiv für Februar 2010

17-jährig

Donnerstag, 11. Februar 2010

Seit Samstag und diesem Tweet von Herrn Deef1 versuche ich mich zu erinnern, wie es sich anfühlte, ein 17-jähriges Mädchen zu sein. Es will mir nicht gelingen; ich weiß lediglich, dass ich es nicht nochmal brauche.

Geld habe ich damals in der Fabrik verdient, hier beschrieben.

  1. Ja, ich bin das: die Frühaufsteherin, die am Morgen die Timeline der Vornacht und ihrer interessanten Gestalten nachliest. []

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Dienstag, 9. Februar 2010

Erst dachte ich: Wie gut, dass ich derzeit nicht tagebuchblogge. Denn die letzten Wochen sind so randvoll Arbeit, dass praktisch kein Platz für sonst was bleibt. Wenn schon Frau Modeste glaubt belegen zu können, dass ihr Leben aus lähmender Langeweile besteht – was soll ich dann bitte schreiben, die nicht mal ausgeht?

Doch beim Lesen von Ankes Tagbuchblogeinträgen fiel mir wieder ein, dass es ausgerechnet die scheinbar öden Berichte über meine Tage sind, die mir Jahre später beste Dienste als Erinnerungsstützen erweisen. Ich werde mich also in nächster Zeit wieder dranmachen – sobald die Arbeitslast wenigstens leicht genug wird, dass ich überhaupt Energie erübrige.

Meine Erkältung (Twitterleser wissen Bescheid) hat sich unter die Sporttauglichkeitsschwelle zurückgezogen. Weswegen es mich ganz besonders erbost, dass ich auch heute erst kurz vor acht mit Arbeiten fertig war – zu spät für den ersten Ausdauersport seit über einer Woche. (Sie wollen mir doch wohl nicht ernsthaft ein halbes Stündchen auf dem Laufband antragen?)

Und jetzt zurück zum Cannonau di Sardegna und der Schokoladenmousse.

Religiöse Askese heute

Montag, 8. Februar 2010

An einer Prämisse von Up in the Air denkle ich dann doch noch herum (dass der Film mich bis heute beschäftigt, spricht eigentlich für ihn): Ryan soll ja Unrecht haben in seiner Haltung, enge Bindungen an Dinge und Menschen seien besser zu meiden. Doch ist das nicht eine Einstellung, die eigentlich alle großen Religionen zum Ziel haben? Unter anderem ist die Basis des katholischen klösterlichen Lebens das Aufgeben irdischer Bindungen. Im Fall von Religionen soll alle Energie, die der Mensch für die Beschäftigung mit Dingen und Menschen aufwendet, auf ein höheres Wesen, meist Gott genannt, kanalisiert werden. Ryans quasi-religiöses Ziel, sein Nirvana, sind die 10 Millionen Flugmeilen. Dieses Zeil ist rein und immateriell, das Erreichen hat weder öffentlichen Ruhm noch Reichtum zur Folge. Ryan verzichtet dafür auf manche Annehmlichkeit, die ihm seine berufliche Stellung bieten könnte. Sein Zuhause ist das Flugzeug, er besitzt weder Wohnung noch Möbel oder mehr als die nötigste Kleidung.

Ähnlich ist Ryans Verhältnis zu zwischenmenschlichen Beziehungen: Ryan bekennt, dass er nie eine innige Verbindung mit einem anderen Menschen gespürt hat, er sieht enge Beziehungen als reinen Ballast. Er vermisst sie auch nicht, fühlt sich in seinem Leben an belebten Orten nicht einsam.

An der Stelle, an die Religionen ein göttliches Wesen setzen (oder mehrere), stehen für Ryan Marken und Firmen. Dass der Mythos Marke nach denselben Mechanismen funktioniert wie religiöse Bindungen und Emotionen, wissen nicht nur Marketingfachleute. „Loyalität“ ist der eine übergeordnete Wert, den Ryan hochhält. Wenn er davon spricht, wird er so ernst wie sonst nie.

Doch wenn es diese Haltung ist, von der Ryan im Film geläutert werden soll – übt der Film damit Religionskritik? Oder plädiert er für die Genügsamkeit, sich nur mit den Dingen zu beschäftigten, die man direkt um sich hat? Was ist wohl die Botschaft, die so sehr den Zeitgeist (welches Detail davon?) trifft, dass die Academy mit Oscar-Nominierungen darauf hinweist?

Up in the Air

Sonntag, 7. Februar 2010

praktisch spoilerfrei1

Kaum behaupte ich, schöne titles seien eine Seltenheit geworden, bekomme ich gleich wieder welche: Up in the Air beginnt mit einer wunderschönen Zusammenstellung von Luftaufnahmen, überlegt von einer 50er-/60er-Jahr-Schrift und unterlegt mit einem supergroovigen „This Land is Your Land“ von Sharon Jones & the Dap Kings.

Die Handlung startet als leichte Kommödie, Herr Clooney spielt seinen Ryan Bingham als ganz normalen Erfolgspragmatiker ohne allzu große Ziele. Er verdient sein Geld damit, für Unternehmen die Entlassungsgespräche zu führen – doch um das Geld geht es ihm dabei nicht: Es geht ihm um die Flugmeilen, die er beim kontinuierlichen Herumreisen dafür bekommt. (Aha, denkt sich die Businesskasperin: In Deutschland könnte der Film also schon mal nicht spielen, weil hier die Flugmeilen dem Arbeitsgeber gehören – außer der Arbeitnehmer ist bereit, Steuern für diesen „geldwerten Vorteil“ zu bezahlen. ´tschuldigung.) Ryan ist keineswegs ein kalter Unmensch, ihm gehen die Schicksale der Menschen auf der anderen Seite des Schreibtisches durchaus nahe – aber lediglich so nahe, wie ihm der Rest seiner Umwelt geht: Ryan Bingham ist davon überzeugt, dass der Mensch ohne zu tiefe materielle oder menschliche Bindungen besser lebt.

Vorangetrieben wird die Handlung durch zwei Frauen. Die putzige Anna Kendrick spielt eine neue Kollegin, die den Job von Ryan und seinen Kollegen gründlich umkrempeln soll: Wozu groß Herumreisen, wenn diese Entlassungsgespräche auch über Videokonferenzen geführt werden können? Und meiner Meinung nach spielt Frau Kendrick George Clooney damit völlig an die Wand: Ihre jung-naive Mischung aus scheinbar logischer Betriebswirtschaft und romantischen Beziehungsidealen ist mir im Berufsleben schon mehrfach begegnet. (Ich finde immer spannend, wie sich der Berufsalltag auf diese Menschen auswirkt: Die wenigsten werden kalte Zyniker mit Senkrechtkarriere, die meisten bekommen schnell einen Blick für Grautöne und werden sowohl im Beruf als auch privat pragmatisch menschlich.)

Die andere Frau ist Alex Goran, das weibliche Pendant zu Ryans Lebensstil; die Kennenlernszene ist ein Highlight des Filmes. Vera Farmiga hat mir ausgezeichnet in dieser Rolle gefallen. Klar weiß die Zuschauerin von Anfang an, dass Ryan einen Läuterungsprozess durchlaufen muss, wir sitzen schließlich in einem Hollywood-Film. Die Spannung liegt dann eher im Wie. Und dieses Wie schien mir nicht besonders gelungen: Das letzte Drittel des Filmes holperte auf ein halbschariges Ende zu, das schlimmer hätte kommen können, mir aber doch zu offen war: Wenigstens über Alex hätte ich gerne etwas mehr erfahren.

Neben den beiden Schauspielerinnen an seiner Seite verblasste Herrn Clooneys Schauspielkunst; selbst Kläglich hat er schon überzeugender gebracht. Dass die Academy ihn ausgerechnet dafür für einen Oscar nominiert, wundert mich schon arg.

  1. Weil es dazu immer wieder Fragen gibt: Als „Spoiler“ werden in Besprechungen von Filmen und Romanen Enthüllungen bezeichnet, die das Erstrezipieren verderben können (engl. to spoil). Ich ärgere mich über solches Verderben immer, deshalb versuche ich es so weit als möglich zu vermeiden. Kleinigkeiten verrät allerdings jede Besprechung, um überhaupt ein sinnvoller Text zu sein, deshalb „praktisch“ – wie in „praktisch grätenfrei“. []

Die Lieblingsliste der BBC-Zuschauer

Freitag, 5. Februar 2010

Vielen Dank an Sebastian für den Hinweis auf das Vorbild der ZDF-Bücherliste: BBC The Big Read – Die 100 Lieblingsbücher. Da fette ich doch gleich mal weiter, was ich gelesen habe.

1. The Lord of the Rings, JRR Tolkien

2. Pride and Prejudice, Jane Austen

4. The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy, Douglas Adams

5. Harry Potter and the Goblet of Fire, JK Rowling

6. To Kill a Mockingbird, Harper Lee

7. Winnie the Pooh, AA Milne

8. Nineteen Eighty-Four, George Orwell

9. The Lion, the Witch and the Wardrobe, CS Lewis

10. Jane Eyre, Charlotte Brontë

11. Catch-22, Joseph Heller

12. Wuthering Heights, Emily Brontë

13. Birdsong, Sebastian Faulks

14. Rebecca, Daphne du Maurier

15. The Catcher in the Rye, JD Salinger

16. The Wind in the Willows, Kenneth Grahame

17. Great Expectations, Charles Dickens

18. Little Women, Louisa May Alcott

19. Captain Corelli’s Mandolin, Louis de Bernieres

20. War and Peace, Leo Tolstoy

21. Gone with the Wind, Margaret Mitchell

22. Harry Potter And The Philosopher’s Stone, JK Rowling

23. Harry Potter And The Chamber Of Secrets, JK Rowling

24. Harry Potter And The Prisoner Of Azkaban, JK Rowling

25. The Hobbit, JRR Tolkien

26. Tess Of The D’Urbervilles, Thomas Hardy

27. Middlemarch, George Eliot

28. A Prayer For Owen Meany, John Irving

29. The Grapes Of Wrath, John Steinbeck (aber auf Deutsch)

30. Alice’s Adventures In Wonderland, Lewis Carroll

31. The Story Of Tracy Beaker, Jacqueline Wilson

32. One Hundred Years Of Solitude, Gabriel García Márquez (nur auf Deutsch)

33. The Pillars Of The Earth, Ken Follett (aber auf Deutsch)

34. David Copperfield, Charles Dickens

35. Charlie And The Chocolate Factory, Roald Dahl

36. Treasure Island, Robert Louis Stevenson

37. A Town Like Alice, Nevil Shute

38. Persuasion, Jane Austen

39. Dune, Frank Herbert

40. Emma, Jane Austen

41. Anne Of Green Gables, Lucy Maude Montgomery

42. Watership Down, Richard Adams

43. The Great Gatsby, F Scott Fitzgerald

44. The Count Of Monte Cristo, Alexandre Dumas (aber auf Deutsch)

45. Brideshead Revisited, Evelyn Waugh

46. Animal Farm, George Orwell (Jetzt erinnere ich mich: Das haben wir in der Schule gelesen, 1984 habe ich mir dann selbst besorgt.)

47. A Christmas Carol, Charles Dickens

48. Far From The Madding Crowd, Thomas Hardy

49. Goodnight Mister Tom, Michelle Magorian

50. The Shell Seekers, Rosamunde Pilcher

51. The Secret Garden, Frances Hodgson Burnett

52. Of Mice And Men, John Steinbeck (Auf Deutsch – ich war 15 und mein erster Freund fand sich darin wieder)

53. The Stand, Stephen King

54. Anna Karenina, Leo Tolstoy

55. A Suitable Boy, Vikram Seth

56. The BFG, Roald Dahl

57. Swallows And Amazons, Arthur Ransome

58. Black Beauty, Anna Sewell

59. Artemis Fowl, Eoin Colfer

60. Crime And Punishment, Fyodor Dostoyevsky

61. Noughts And Crosses, Malorie Blackman

62. Memoirs Of A Geisha, Arthur Golden

63. A Tale Of Two Cities, Charles Dickens

64. The Thorn Birds, Colleen McCollough (aber in deutscher Übersetzung)

65. Mort, Terry Pratchett

66. The Magic Faraway Tree, Enid Blyton

67. The Magus, John Fowles

68. Good Omens, Terry Pratchett and Neil Gaiman

69. Guards! Guards!, Terry Pratchett

70. Lord Of The Flies, William Golding

71. Das Parfum, Patrick Süskind

72. The Ragged Trousered Philanthropists, Robert Tressell

73. Night Watch, Terry Pratchett

74. Matilda, Roald Dahl

75. Bridget Jones’s Diary, Helen Fielding

76. The Secret History, Donna Tartt

77. The Woman In White, Wilkie Collins

78. Ulysses, James Joyce

79. Bleak House, Charles Dickens

80. Double Act, Jacqueline Wilson

81. The Twits, Roald Dahl

82. I Capture The Castle, Dodie Smith

83. Holes, Louis Sachar

84. Gormenghast, Mervyn Peake

85. The God Of Small Things, Arundhati Roy

86. Vicky Angel, Jacqueline Wilson

87. Brave New World, Aldous Huxley

88. Cold Comfort Farm, Stella Gibbons

89. Magician, Raymond E Feist

90. On The Road, Jack Kerouac

91. The Godfather, Mario Puzo

92. The Clan Of The Cave Bear, Jean M Auel

93. The Colour Of Magic, Terry Pratchett

94. The Alchemist, Paulo Coelho

95. Katherine, Anya Seton

96. Kane And Abel, Jeffrey Archer

97. Love In The Time Of Cholera, Gabriel García Márquez (aber auf Deutsch)

98. Girls In Love, Jacqueline Wilson

99. The Princess Diaries, Meg Cabot

100. Midnight’s Children, Salman Rushdie

Antonio Muñoz Molina, Der polnische Reiter

Donnerstag, 4. Februar 2010

So lange habe ich schon lange an keinem Buch mehr gelesen. Doch von Anke Gröner habe ich gelernt, dass man über ein Buch auch schon mittendrin bloggen kann (ich bin auf Seite 544).

Der polnische Reiter wurde als El jinete polaco von Antonio Muñoz Molina geschrieben und von Willi Zurbrüggen ins Deutsche übersetzt. Von Muñoz Molina hatte ich fürs Studium Beatus Ille gelesen (bei einem Professor für spanische Literatur, der letztes Jahr mit 59 Jahren überraschend starb, im selben Alter übrigens, in dem bereits elf Jahre zuvor mein Professor für englische Literaturwissenschaft ebenso überraschend gestorben war. Vielleicht liegt ja ein Fluch darauf, mich in Literaturwissenschaft zu unterrichten.). Der Herr, Jahrgang 1956, gilt als einer der wenigen literarischen Vergangenheitsverarbeiter Spaniens, einer Nation, die erst jetzt, in der Enkelgeneration, anfängt, sich mit Bürgerkrieg und Franco-Diktatur so richtig auseinander zu setzen. Ich habe mir das immer mit der Natur von Bürgerkriegen erklärt: Die Gräben verliefen 1936 bis 1939 buchstäblich durch die Familien – und das nicht unbedingt aus ideologischen Gründen: Sowohl die eine also auch die andere kriegsführende Partei zog rekrutierend übers Land. Die einen nahmen den einen Bruder mit und ließen ihn für sich schießen, die anderen den anderen. In meiner ohnehin Geschichten-armen spanischen Familie wird sowas angedeutet; geredet wurde über den Bürgerkrieg nie. Die Wunden, die der spanische Bürgerkrieg innerhalb der Gesellschaft geschlagen hatte, waren vielleicht so tief, dass die Leute nach Ende der Franco-Diktatur (die, wohlgemerkt, durch den Tod des Diktators beendet wurde, nicht etwa durch ein politisches Aufbegehren) alle Chancen im Blick nach Vorne sahen und die Vergangenheitsverdrängung der Franco-Jahre begeistert weiterführten. Denn anders als erwartet, sprangen in der neuen Demokratie Spaniens aus den Schubladen von Schriftstellern nicht etwa massenhaft geheim gehaltene, regimekritische Manuskripte – da war nichts. Es dauerte eine ganze Reihe von Jahren, bis die Kunst soweit war, sich des Themas anzunehmen.

Am polnischen Reiter (erschienen 1991) lese ich zum einen deshalb so lange, weil es ein sehr dickes Buch ist: 700 Seiten, kleine Schrift, lange Kapitel. Zum anderen aber, weil die Geschichte sehr dicht ist: Sie enthält praktisch keine weitschweifigen Beschreibungen, kein Vor-sich-hin-Gebrabbel, das ich absatzweise überflöge. Der rote Faden des Romans wird geknüpft aus einem Ort und einer Person: Dem fiktiven südspanischen Mágina und Manuel, der nach dem Krieg als Sohn von Feldarbeitern in Mágina aufwächst. Der Roman beginnt mit Liebesszenen zwischen dem erwachsenen Mann Manuel und der etwa gleichaltrigen Nadia; und immer wieder ziehen sie aus einem Koffer in der Wohnung, dem Koffer des örtlichen Fotografen Ramiro Retratista, alte Fotos. In Rückblicken wird die Geschichte einiger der Personen auf diesen Fotos erzählt, doch nie linear, oft personal, oft aus der Perspektive Manuels, manchmal aus auktorialer Perspektive, oft sehr impressionistisch anhand intensiver Sinneseindrücke. Die Sätze scheinen endlos – und bewirken einen tranceartigen Zustand, der dem Versinken in Erinnerungen gleicht, inklusive Assoziationen und Gefühlen. Den Hintergrund dieses Gewebes bildet Spanien zwischen etwa 1930 und der Gegenwart des Buches.

Jede Seite des Romans fesselt mich, wahrscheinlich aus sehr persönlichen Gründen. Das beginnt mit der Sprache. Mein Spanisch ist leider bei Weitem nicht gut genug, dass ich den Roman im Original lesen könnte. Doch habe ich genug Spanien- und Spanischkenntnisse, dass das Original ständig durch die Übersetzung hindurchscheint, vor allem bei eigentlich unübersetzbaren Details. Wenn es von einem sehr alten Mann heißt, er kleckere beim Trinken nie, nicht einmal wenn er „direkt aus dem Krug“ trinke – dann weiß ich eben, dass mit „Krug“ ein porrón gemeint ist, aus dem man das Getränk ohne Berührung direkt in den Mund schüttet (aus dem ich nie anständig trinken konnte, so oft ich als Kind in den Sommerferien auch heimlich hinterm Haus meiner spanischen Yaya übte). Oder das Kohlenbecken unter dem Tisch, von dem ständig die Rede ist: Es handelt sich um einen brasero. Selbst habe ich nie einen im Einsatz erlebt – das mag daran liegen, dass ich bis vor wenigen Jahren nur im Sommer in Spanien war. Aber ich erinnere mich, dass alte Esstische etwa 20 cm über dem Boden ein Brett hatten, deutlich kleiner als die Tischoberfläche, mit einer großen runden Aussparung. Dort hinein, so erzählte man mir, kam im Winter ein metallenes Becken voll glühender Kohle. Über den Tisch wurde eine Decke gelegt, die bis zum Boden reichte; wer es warm haben wollte, setzte sich an den Tisch mit den Beinen unter der Decke. Soweit zur Ingenieurskunst in einem Land, das durchaus bitterkalte Winter kennt.

Lange Passagen des Romans spielen in einer geradezu archaischen Welt. Die schiere Last der Existenz, die die Menschen durch ein Netz gesellschaftlicher Fesseln erklärbar machen: Armut, aus der man sich nicht zu befreien hat, entsetzlich schwere körperliche Arbeit, die Kinderknochen verbiegt und Männer noch am Abendbrottisch vor Erschöpfung einschlafen lässt. Das ermüdende Ritual des Werbens zwischen den Geschlechtern, in dem jedes Detail so strikt vorgegeben ist wie in der Liturgie einer katholischen Messe. Alle leiden darunter, doch zumindest können sie jederzeit erklären, woraus die Last des Lebens besteht. Von der Mutter Manuels heißt es:

Die Vermutung einer unwillentlich auf sich geladenen Schuld und die Furcht, ohne Erklärung bestraft zu werden, wirkten wie eine unaufhörliche Erpressung auf ihre Seele.

Das komplizierte Verhältnis der Generationen mit seiner Zerrissenheit zwischen Verpflichtung und Freiheitsdrang, Erwachsenwerden im Andalusien der 70er, Freundschaften, die lange Pausen überdauern, Abtrünnigkeit, die sich unter perfekter Stromlinienform verbirgt – ich bilde mir ein, das vergangene Spanien durch diesen Roman besser zu verstehen. Meine Distanz zum heutigen Spanien aber bleibt.

Die 100 liebsten Bücher deutscher ZDF-Zuschauer

Mittwoch, 3. Februar 2010

Nachdem diese Liste „Die Top 100 der Lieblingsbücher der Deutschen“ seit einiger Zeit durch Blogistan geistert (zum Beispiel hier), wollte ich nun doch mal wissen, woher sie eigentlich stammt. Ergebnis: aus dem Fernsehen. 250.000 ZDF-Zuschauer waren dieser Quelle zufolge 2004 einem Aufruf nachgekommen, ihre liebsten Bücher zu benennen.

Auch ich schaue fast jeden Tag fern, manchmal auch ZDF – dann klicke ich mich doch mal durch die Liste. Gefettet sind die Bücher, die ich gelesen habe.

Nachtrag am Abend: Während ich im Büro auf Textlieferung warte, kann ich ja ein bisschen die Bücher kommentieren

1. Der Herr der Ringe, JRR Tolkien (Ich war 16 und wusste nicht, dass man Bücher nicht zu Ende lesen muss.)

2. Die Bibel (Sollte man schon mal quergelesen haben.)

3. Die Säulen der Erde, Ken Follett (Buchstabenfastfood: Vor ca. 20 Jahren völlig abgetaucht in das Buch, gut genug geschrieben / übersetzt, dass mich nichts am Lesenfluss gehindert hat. Aber es ist praktisch nichts hängengeblieben.)

4. Das Parfum, Patrick Süskind (Sogar sofort, nachdem es herauskam – ich verdiente mein erstes Geld und konnte mir Hardback-Ausgaben leisten. Davon ist mir sogar sehr viel hängen geblieben, könnte ich mal wieder lesen.)

5. Der kleine Prinz, Antoine de Saint-Exupéry (Ich war zwölf und schrieb mit Duftkulis.)

6. Buddenbrooks, Thomas Mann (Eines meiner ewigen Lieblinge, sicher schon drei Mal gelesen. Voller zitierfähiger Passagen.)

7. Der Medicus, Noah Gordon (Ebenfalls Fastfood, doch daraus ist mir ein bisschen mehr hängen geblieben. Wurde in diesem Roman nicht ein Schwan verspeist?)

8. Der Alchimist, Paulo Coelho

9. Harry Potter und der Stein der Weisen, JK Rowling (Auf Englisch wohl.)

10. Die Päpstin, Donna W. Cross

11. Tintenherz, Cornelia Funke

12. Feuer und Stein, Diana Gabaldon

13. Das Geisterhaus, Isabel Allende (Damals, als es auf den Bestsellerlisten war. Habe es als ausgesprochen üppig in Erinnerung. Würde ich nochmal lesen.)

14. Der Vorleser, Bernhard Schlink (Einer der wenigen zeitgenössischen deutschsprachigen Romane, den ich richtig gut fand.)

15. Faust. Der Tragödie erster Teil, Johann Wolfgang von Goethe (War Schullektüre, und ich fand es klasse. Ich weiß bis heute nicht, was an meinem Deutschunterricht schief gelaufen sein mag, dass er mich nicht für die Klassiker verdorben hat – was doch seine allgemein akzeptierte Aufgabe ist. Die Vorstellung des Mephisto kann ich bis heute auswendig. Neben den ersten Zeilen der Odysse möglicherweise das einzige Stück Literatur, das ich auswendig kann.)

16. Der Schatten des Windes, Carlos Ruiz Zafón (Zwar bis zu Ende gelesen, doch die Ansammlung an Stereotypen und Klischees – Personen und Sprache – stieß mich ab.)

17. Stolz und Vorurteil, Jane Austen (nur englisch)

18. Der Name der Rose, Umberto Eco (Eines der Highlights meiner Lesegeschichte und Anlass für das Erwachen meines Interesses an Rezeptionsgeschichte: Warum wurde dieser Roman ein Bestseller?)

19. Illuminati, Dan Brown

20. Effi Briest, Theodor Fontane (Seither vergleiche ich einen bestimmten Typus Frau, der mich innerhalb von Sekunden auf die Palme bringt, immer mit der Hauptperson dieses Romans.)

21. Harry Potter und der Orden des Phönix, JK Rowling (nur englisch)

22. Der Zauberberg, Thomas Mann (Ich war 14 und viel zu jung dafür. Nach vier Fünfteln war mir durchaus klar, dass jetzt wohl auch nichts mehr passieren würde – und dass das der Punkt an dem ganzen Buch war. Habe es aber bis heute nicht zu einem neuen Anlauf geschafft.)

23. Vom Winde verweht, Margaret Mitchell (Auch Unterhaltungsliteratur muss man können. Margaret Mitchell kann.)

24. Siddharta, Hermann Hesse

25. Die Entdeckung des Himmels, Harry Mulisch

26. Die unendliche Geschichte, Michael Ende (Damit hatte Ende bei mir den Shark gejumpt – und mich auf die Beliebigkeit von schlechtem magic realism vorbereitet.)

27. Das verborgene Wort, Ulla Hahn

28. Die Asche meiner Mutter, Frank McCourt (auf Englisch)

29. Narziss und Goldmund, Hermann Hesse

30. Die Nebel von Avalon, Marion Zimmer Bradley (auf Englisch)

31. Deutschstunde, Siegfried Lenz (Ich kann mich an nichts mehr erinnern. Aber die schöne antiquarische Ausgabe schmückt mein Bücherregal.)

32. Die Glut, Sándor Márai

33. Homo faber, Max Frisch (Wieder eine Schullektüre, die mich fesselte und begeisterte.)

34. Die Entdeckung der Langsamkeit, Sten Nadolny (Ich kann mich nur erinnern, dass es mir gut gefiel. Sollte ich nochmal lesen.)

35. Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, Milan Kundera (Es war halt diese Zeit, Mitte / Ende der 80er. Ich bin mir nicht sicher, ob es mir heute noch gefallen würde.)

36. Hundert Jahre Einsamkeit, Gabriel Garcia Márquez (Barock. Wiederlesen hebe ich mir, glaube ich, für die Rente auf.)

37. Owen Meany, John Irving (auf Englisch)

38. Sofies Welt, Jostein Gaarder (Fand ich damals großartig – lese ich nicht nochmal, weil ich befürchte, dass es mein Altern nicht gut überstanden hat.)

39. Per Anhalter durch die Galaxis, Douglas Adams (Ich war so jung, dass mein Englisch noch nicht gut genug für die englische Ausgabe war. Deshalb die übersetzte Viererausgabe von Zweitausendeins. Prägend.)

40. Die Wand, Marlen Haushofer (Eine Empfehlung meiner Lieblingskollegin bei der Zeitung. Fand ich sehr gut, fürchte mich aber vor einem Wiederlesen: Die Stimmung mag ich nicht nochmal erleben.)

41. Gottes Werk und Teufels Beitrag, John Irving (auf Englisch)

42. Die Liebe in den Zeiten der Cholera, Gabriel Garcia Márquez (Opulent. Ebenfalls auf Wiedervorlage für die Rente.)

43. Der Stechlin, Theodor Fontane

44. Der Steppenwolf, Hermann Hesse

45. Wer die Nachtigall stört, Harper Lee (auf Englisch)

46. Joseph und seine Brüder, Thomas Mann

47. Der Laden, Erwin Strittmatter

48. Die Blechtrommel, Günter Grass (Während eines Spanienurlaubs mit großem Genuss gelesen, wenige Monate später zum ersten Mal in Danzig gewesen – gute Kombination.)

49. Im Westen nichts Neues, Erich Maria Remarque

50. Der Schwarm, Frank Schätzing

51. Wie ein einziger Tag, Nicholas Sparks

52. Harry Potter und der Gefangene von Askaban, JK Rowling (auf Englisch)

53. Momo, Michael Ende (Sehr schönes Buch, und ich war noch jung genug beim Lesen. Wäre mir heute zu platt. Aber mir hat ja auch Avatar nicht gefallen.)

54. Jahrestage, Uwe Johnson

55. Traumfänger, Marlo Morgan

56. Der Fänger im Roggen, Jerome David Salinger (auf Englisch)

57. Sakrileg, Dan Brown

58. Krabat, Otfried Preußler (Ebenfalls einer meiner ewigen Favoriten. Die Düsternis des ersten Leseerlebnisses als Kind kann ich noch heute wachrufen.)

59. Pippi Langstrumpf, Astrid Lindgren (Das erste Buch, das ich selbst gelesen habe. Die Hauptfigur ist bis heute mein Idol.)

60. Wüstenblume, Waris Dirie

61. Geh, wohin dein Herz dich trägt, Susanna Tamaro

62. Hannas Töchter, Marianne Fredriksson

63. Mittsommermord, Henning Mankell

64. Die Rückkehr des Tanzlehrers, Henning Mankell

65. Das Hotel New Hampshire, John Irving (auf Englisch)

66. Krieg und Frieden, Leo N. Tolstoi

67. Das Glasperlenspiel, Hermann Hesse (Ich war 15 bis 17 und trank zur Lektüre von Hesses Gesamtwerk aromatisierte Schwarztees.)

68. Die Muschelsucher, Rosamunde Pilcher

69. Harry Potter und der Feuerkelch, JK Rowling (auf Englisch)

70. Tagebuch, Anne Frank (Ich war nur wenig älter als die Autorin, als ich es las. Mit derselben Anteilnahme lese ich heute manche Blogs.)

71. Salz auf unserer Haut, Benoite Groult

72. Jauche und Levkojen , Christine Brückner

73. Die Korrekturen, Jonathan Franzen (auf Englisch)

74. Die weiße Massai, Corinne Hofmann

75. Was ich liebte, Siri Hustvedt (auf Englisch)

76. Die dreizehn Leben des Käpt’n Blaubär, Walter Moers

77. Das Lächeln der Fortuna, Rebecca Gablé

78. Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran, Eric-Emmanuel Schmitt

79. Winnetou, Karl May

80. Désirée, Annemarie Selinko (Ich war 13 und hoffte, dass meine Mutter nicht entdecken würde, was ich mir da aus der Pfarrbücherei geholt hatte.)

81. Nirgendwo in Afrika, Stefanie Zweig

82. Garp und wie er die Welt sah, John Irving (Sein literaturwissenschaftlich ergiebigstes.)

83. Die Sturmhöhe, Emily Brontë (auf Englisch)

84. P.S. Ich liebe Dich, Cecilia Ahern

85. 1984, George Orwell (Möglicherweise sogar in diesem Jahr gelesen. Es gefiel mir sehr, sollte ich ebenfalls nochmal lesen.)

86. Mondscheintarif, Ildiko von Kürthy

87. Paula, Isabel Allende

88. Solange du da bist, Marc Levy

89. Es muss nicht immer Kaviar sein, Johanns Mario Simmel (Als Backfisch aus der Pfarrbücherei geholt. Simmel möchte ich eigentlich mehr lesen.)

90. Veronika beschließt zu sterben, Paulo Coelho

91. Der Chronist der Winde, Henning Mankell

92. Der Meister und Margarita, Michail Bulgakow

93. Schachnovelle, Stefan Zweig (Wieder eine Schullektüre. Es gefiel mir so gut, dass ich im Anschluss einen Stapel Zweig-Bücher aus der Pfarrbibliothek weglas.)

94. Tadellöser & Wolff, Walter Kempowski (Ebenfalls Schullektüre – die uns in der Klasse wochenlang in Zitaten miteinander reden ließ. Immerhinque!)

95. Anna Karenina, Leo N. Tolstoi

96. Schuld und Sühne, Fjodor Dostojewski (Ein Totschläger in Dünndruck, durch den ich mich während eines Ferienjobs im brutal heißen Zentralspanien las. Und mich abschließend fragte, warum Dostojewksi nicht zwei Bücher geschrieben hatte: Eines mit seinen philosophischen Überlegungen, und eines mit der Action.)

97. Der Graf von Monte Christo, Alexandre Dumas (Der beste Schundroman überhaupt.)

98. Der Puppenspieler, Tanja Kinkel

99. Jane Eyre, Charlotte Brontë (Einer der ersten englischen Romane, durch die ich mich im Studium kämpfte. Ich sah es als Vorteil an, dass englischsprachige Bücher länger hielten, weil ich viel langsamer las.)

100. Rote Sonne, schwarzes Land, Barbara Wood

Weitere 15 der Bücher habe ich nicht markiert, weil ich sie nicht in der aufgeführten deutschen Übersetzung, sondern auf Englisch gelesen habe.