Religiöse Askese heute

Montag, 8. Februar 2010 um 10:12

An einer Prämisse von Up in the Air denkle ich dann doch noch herum (dass der Film mich bis heute beschäftigt, spricht eigentlich für ihn): Ryan soll ja Unrecht haben in seiner Haltung, enge Bindungen an Dinge und Menschen seien besser zu meiden. Doch ist das nicht eine Einstellung, die eigentlich alle großen Religionen zum Ziel haben? Unter anderem ist die Basis des katholischen klösterlichen Lebens das Aufgeben irdischer Bindungen. Im Fall von Religionen soll alle Energie, die der Mensch für die Beschäftigung mit Dingen und Menschen aufwendet, auf ein höheres Wesen, meist Gott genannt, kanalisiert werden. Ryans quasi-religiöses Ziel, sein Nirvana, sind die 10 Millionen Flugmeilen. Dieses Zeil ist rein und immateriell, das Erreichen hat weder öffentlichen Ruhm noch Reichtum zur Folge. Ryan verzichtet dafür auf manche Annehmlichkeit, die ihm seine berufliche Stellung bieten könnte. Sein Zuhause ist das Flugzeug, er besitzt weder Wohnung noch Möbel oder mehr als die nötigste Kleidung.

Ähnlich ist Ryans Verhältnis zu zwischenmenschlichen Beziehungen: Ryan bekennt, dass er nie eine innige Verbindung mit einem anderen Menschen gespürt hat, er sieht enge Beziehungen als reinen Ballast. Er vermisst sie auch nicht, fühlt sich in seinem Leben an belebten Orten nicht einsam.

An der Stelle, an die Religionen ein göttliches Wesen setzen (oder mehrere), stehen für Ryan Marken und Firmen. Dass der Mythos Marke nach denselben Mechanismen funktioniert wie religiöse Bindungen und Emotionen, wissen nicht nur Marketingfachleute. „Loyalität“ ist der eine übergeordnete Wert, den Ryan hochhält. Wenn er davon spricht, wird er so ernst wie sonst nie.

Doch wenn es diese Haltung ist, von der Ryan im Film geläutert werden soll – übt der Film damit Religionskritik? Oder plädiert er für die Genügsamkeit, sich nur mit den Dingen zu beschäftigten, die man direkt um sich hat? Was ist wohl die Botschaft, die so sehr den Zeitgeist (welches Detail davon?) trifft, dass die Academy mit Oscar-Nominierungen darauf hinweist?

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Religiöse Askese heute“

  1. Sebastian Dickhaut meint:

    Vielleicht hilft wie oft bei Religionen der Blick ins Buch dazu – die Vorlage für diesen Film soll nicht schlecht sein:

    http://www.amazon.de/Up-Air-Walter-Kirn/dp/3462042106

  2. Véronique meint:

    Ich weiss auch nicht recht, was die Botschaft ist, und auch wenn ich den Vergleich mit Religion sehr interessant finde, der Zeitgeist wird vermutlich mehr in dem Thema Entlassungen legen: Passenderweise sind die Interviews am Anfang und Ende des Films bis auf ein paar Ausnahmen nicht von Schauspielern gespielt, sondern von Betroffenen der amerikanischen Entlassungswelle. (Ein Besuch auf http://www.slate.com/id/2237382/ lohnt sich, inklusiv Podcast.)

  3. Musiker meint:

    Wenn jemand so unwissend und verallgemeinernd ueber das Internet schriebe wie Sie ueber Religion, hei, da wuerd’s aber Schlaege hageln ;-)

  4. ivar meint:

    Zur Basis des klösterlichen Lebens gehört aber nicht selten auch die stabilitas loci (soweit ich weiß zumindest bei den Benediktinern), die dann doch mit ganz rigiden Regeln und Bindungen einher geht.

  5. fressack meint:

    Dass Ryan enge Beziehungen eben doch vermisst, sieht man an seinem Gesichtsausdruck nachdem er Alex’ Familienidylle entdeckt.
    Da bleibt nur die Wiederaufnahme des vorherigen Lebens.

    Was meint denn eigentlich der “musiker”?

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