Archiv für April 2010

Fahrradsaison eröffnet

Dienstag, 20. April 2010

Als bekennende Schönwetterradlerin (was ich mit meinem Businesskasperinnenoutfit rechtfertige) eröffnete ich die Fahrradsaison erst heute – anscheinend immer noch vor vielen anderen Münchner Radfahrern, denn die Straßen und Wege waren noch erfreulich wenig belegt von dieser Seuche.
Und so erschrak ich nur ein einziges Mal auf dem 25 Minuten dauernden Weg zu Tode, als nämlich ein Radler von rechts und gegen die Fahrtrichtung aus einer Einbahnstraße schoss.

Was hat sich oberirdisch getan in den vergangenen sieben Monaten, in denen ich ausschließlich unterirdisch zur Arbeit kam? Es gibt zum Beispiel erheblich weniger Baustellen:
– Das Nadelöhr hinter dem Rathaus zwischen Franziskaner und Spatenhaus ist erheblich breiter und ermöglicht ein Nebeneinander von beliefernden Brauereiwagen, Fußgängern und Radlern.
– Die Münchner Freiheit ist fertig, inklusive einem eigenen und besonders hübschen Radweg um den neuen Raumschiffhafen.
Dafür haben sie die Residenzstraße aufgerissen. Und es ist ja noch früh im Jahr, die Aufreißsaison hat gerade erst begonnen.

In Nordschwabing stellte sich mir ein Stockerpel in den Weg. Obwohl ich heftig bremste und ihm auswich, quakte er mich böse an. Vermutlich hatte auch er wegen der Vulkanaschewolke außerplanmäßig landen müssen – das nächste Gewässer liegt gut zwei Kilometer entfernt.

A Single Man

Sonntag, 18. April 2010

Endlich ist er auch in Deutschland angelaufen, endlich erwischte ich gestern eine unsynchronisierte Vorstellung: A Single Man. Ich war völlig gefesselt: Dass es sich um einen besonders schön aufgenommenen Film handeln würde, hatten alle Kanäle bereits angekündigt, aber diese Neo-60er-Ästhetik bildete nur die Bühne (Vieles erinnerte mich an eine Theaterinszenierung).

In erster Linie besteht der gesamte Film aus Colin Firth und seiner unglaublichen schauspielerischen Leistung – die zu mindestens 50 Prozent im Einsatz seiner Stimme bestand. Ich kann nur hoffen, dass er für die deutsche Fassung einen ausgezeichneten Synchronsprecher bekommen hat, denn im Original macht erst Firths Stimme seine Vorstellung genial: Immer wieder sprach er völlig gegen die Erwartung, die die Szene hervorgerufen hatte – und machte die Figur des George besonders. Das Drehbuch legte Vieles genau darauf an: In der Szene seiner größten Verzweiflung zum Beispiel hört man George gar nicht, denn es regnet ohrenbetäubende Sturzbäche.

Ganz am Anfang und ganz am Ende spricht George auf dem Off als voice over – eine logische Klammer für die Handlung. Er ist ein Literaturdozent, der über den Unfalltod seines Lebenspartners Jim nicht hinweg kommt. Der Film erzählt nur einen Tag, vom Aufstehen bis zum nächtlichen Schlaf. Sowohl durch die Geschehnisse des Tages als auch durch Rückblenden wird die Tiefe seines Schmerzes klar – verstärkt durch den Umstand, dass eine Beziehung zwischen zwei Männern in den 60ern ein Tabu war. So hat George nur vom Tod seines Mannes erfahren, weil sich dessen Cousin erbarmte und ihn anrief; die Familie verleugnete ihn und schloss ihn auch von der Trauerfeier aus. Ein harmloses Nacktfoto von seinem Geliebten muss er im Bankschließfach verstecken. Selbst Georges beste und langjährige Freundin unterstellt ihm, dass seine 16-jährige Partnerschaft mit einem Mann nur ein substitute gewesen sei.

Mir gefiel der Erzählrhythmus, ich mochte die Musik (hauptsächlich orchestral, komponiert von Abel Korzeniowski), auch die anderen Schauspieler waren ausgezeichnet. Vielleicht lese ich doch mal die Romanvorlage von Christopher Isherwood.

Theresienwiesenflohmarkt 2010

Samstag, 17. April 2010

Nach zwei Jahren Pause hatte ich heute wieder Zeit, auf den Flohmarkt zu gehen, der alljährlich anlässlich des Frühlingsfestes auf der Theresienwiese veranstaltet wird. Wie immer war das Wetter herrlich. Dabei erinnere ich mich zu gut an meinen allerersten Versuch, diesen Flohmarkt zu besuchen: Ich war in der 12. oder 13. Klasse, wir schrieben also das Jahr 1985 oder 1986. Die Flohmarktveteranin unter meinen Freundinnen hatte uns so lange bequatscht, dass man diesen Flohmarkt auf der Theresienwiese unbedingt mal gesehen haben musste, dass ein bereits mit Führerschein ausgestatteter Freund das Auto der Eltern auslieh und wir so vielköpfig, wie das Auto fasste, in der berühmten Herrgottsfrüh auf der A9 nach München waren. Schon dort und erst recht am Zielort regnete es Schusterbuben. Wir näherten uns der Theresienwiese, sahen, dass wenig überraschend fast nichts los war, und bogen ab zum Frühstücken. So lernte ich die Schmalznudel am Viktualienmarkt kennen.

Meine Flohmarktbeschreibung von 2004 güldet immer noch. Dieses Jahr gab es weniger Hunde, dafür umso mehr Menschen, die versuchten, voluminöse Kinderwagen mit dem Konzept Flohmarkt zu verbinden. (Grrr.) Aussehen tat es so:

Nein, gekauft habe ich nichts. Zum einen bin ich gerade eher in einer Rauswerfphase meines Lebens, zum anderen suchte ich nichts. Aber ich genoss wieder das Eintauchen in die Flohmarktatmosphäre, wie ich sie aus meiner Jugend kenne.

Nachtrag 18.4.: Auf der Website des BR gibt es schöne Fotogalerien – ich habe den Verdacht, die Fotografin hat dieses Jahr nach Stühlen gesucht.

Asche

Samstag, 17. April 2010

Jetzt erzählen Sie mir nicht, dass nicht auch Sie völlig perplex vor den Auswirkungen eines Vulkanausbruchs ein paar tausend Kilometer von Daheim stehen. (Falls Sie nicht ausgerechnet zu denen gehören, die selbst betroffen sind und daher eher mit Verzweiflung reagieren.)

Perplexität und eher Sachlichkeit sind ja auch deshalb die Reaktionen, weil keine Katastrophe die Sperrung praktisch aller Flughäfen Zentraleuropas verursacht, sondern ein eigentlich mittelspektakulärer, wenn auch unaussprechlicher isländischer Vulkan. Allerdings mussten sich gestern ein paar Dutzend meiner Arbeitskollegen nach einer unternehmensinternen Konferenz per Zug auf den Weg zurück von München nach Kopenhagen machen.

In meiner Twitter-Timeline schwärmt es aus London und Berlin Charlottenburg über himmlische Ruhe. Budi, der indonesische Blogger, den ich in der Jury der Best-of-the-Blogs bei der Deutschen Welle kennengelernt hatte, hängt gerade in Frankfurt fest und kann nicht heim (und lobt – ! – die unproblematische Verlängerung seines Visums). Ich rotze lediglich ein bisschen Dunkelgrau, wie ich es aus Madridaufenthalten in den 70ern kenne.

Sind irgendwelche Leser in München gestrandet und brauchen Beistand? Gerne melden!

Internationale Küche

Donnerstag, 15. April 2010

Zum gestrigen Abendbrot gab es die Würscht von Frau kelef, Direktimport aus dem Ort Rohr im Gebirge, Wiege ihrer Ahnen. Gemäß Spielanleitung haben wir sie 15 Minuten im heißen Wasser ziehen lassen, dann mit Kren (also Meerrettich), Senf (eingedenk Frau kelefs ostdeutscher Berufsvergangenheit ein Bautz’ner), dunklem Brot und Bier serviert. Die Würste schmeckten großartig rauchig-würzig und erinnerten mich darin an die Bauernwürscht meiner Geburtsstadt, über die noch eigens zu schreiben sein wird.

Bier ist ja im Hause Kaltmamsell ein seltenes Getränk, und zum Abendessen wäre mir eine Halbe auch zu viel gewesen. Als ich den Mitbewohner also fragte, ob wir uns die Flasche Augustiner Helles teilen könnten, wies er darauf hin, dass er mich als seine Ehefrau dann aber den Abend über mit „Mutti“ ansprechen müsse. Sie sehen, wir bereiten uns sorgfältig aufs gemeinsame Rentnerdasein vor.

Mit viel gutem Willen passt dazu ein Artikel aus der Times:
How the English breakfast has changed with Britain
Dass der Teller Gebratenes zum Frühstück für den Durchschnittsbriten die große Ausnahme ist, weiß zwar jeder, der schon mal ein paar Tage im Vereinten Königreich war. Doch Times informiert rundum und detailliert, wie es derzeit um die Legende full English breakfast bestellt ist. (Unbedingt die Fotogallerie durchklicken.)

“That’s the way the English are now, isn’t it? We’re all from everywhere.”

via karrierebibel auf Twitter

Weiter kulinarisch

Mittwoch, 14. April 2010

Und dann war er zum Glück doch noch in München und hat vorgelesen, der Große Paulsen (norddeutsche Ausgabe des Großen Pauly, kennen Sie eh).1

Es war mir ein Fest, Stevan wiederzusehen, dazu noch seine Liebste. Die Räume der Buchhandlung Moths waren voll, die einführenden Wort der Dame in einem Kleid ganz aus silbergrauen Fischschuppen gingen auf den exotischen Umstand ein, dass hier ein Blogger las und zahlreiche Blogger im Publikum saßen.

Herr Paul las, wie es nur Herr Paul kann: He do the police in different voices.
Meine Lieblingsgeschichte „Sommersprossen“ war auch dabei. Da ich das Buch Monsieur, der Hummer und ich schon gelesen hatte und sehr gemocht, fühlte ich mich ein bisschen wie Co-Gastgeberin und sah mich immer wieder prüfend um, ob die Geschichten auch ankamen. Taten sie, deutlich.

Beim Eintrittspreis von 12 Euro hatte ich durchaus geschluckt – entweder, so dachte ich, ist das Buch inbegriffen oder der Autor zieht sich zumindest aus. Wie hätte ich auch wissen sollen, dass es für das Geld den ganzen Abend über Wein und Wasser gab sowie Kleinigkeiten zu essen herumstehen würden? Aus dieser Unkenntnis hatte ich auch zwischen Arbeit und Lesung schnell zwei Wurstbrote verschlungen, deshalb keinen Hunger oder auch nur Appetit.

Vor der Lesung sprach mich eine schöne Frau an: „Sind Sie die Kaltmamsell?“ Sie sei seit Langem Leserin der Vorspeisenplatte – nein, sie kommentiere nicht (ich hatte wissen wollen, ob ich sie vielleicht umgekehrt aus Kommentaren kennen könnte). In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich sehr einfach als die Frau hinter diesem Blog erkennbar war: Sowohl das Kleid, das ich trug, als auch die Brille waren hier schon als Fotos zu sehen.

Noch ein wenig Blogger-Namedropping:
Ich traf (unverabredet) und unterhielt mich mit
Ilse (eine erste Begegnung in Person)
Helga Birnstiel
Frau Klugscheisser
Frau Cucina Casalinga
Frau Einfachguad
Frau Schnuppensuppe

Am nächsten Morgen, also heute, schrieb die FAZ die ersten drei Feuilletonseiten über Blogger. Dass das deutsche Bloggertum deckungsgleich sei mit der „digitalen Boheme“, die (wohl von der FAZ) dareingesteckten Erwartungen nicht erfüllt habe, sich vor allem mit sich selbst beschäftige (siehe Namedropping im obigen Absatz), man davon nun doch nicht leben könne und es zu einem Stillstand gekommen sei. Hoffen wir, dass sich die FAZ weiterhin auf die Blogs konzentriert, die diese Schlüsse ermöglichen und uns weites Feld vergnügter Weiterblogger in Ruhe lässt. Ok.?2

(Drei Seiten im FAZ-Feuilleton! Damit sind zum Beispiel meine Erwartungen in die Auswirkungen des deutschen Bloggens meilenweit übertroffen. Ich fühle mich gerade ungeheuer überschätzt.)

  1. Der, wie ich eben erst beim Verlinken lernte, 1996 vom Neuen Pauly abgelöst wurde. Bloggen bildet. []
  2. “‘Bloggen ist ein Lebensentwurf’, sagt Jörg Wittkewitz.” – Echt? []

Die zweite Runde Wien

Dienstag, 13. April 2010

Neben der Restaurantempfehlung von gestern habe ich eine Hotelempfehlung: Altstadt Vienna. Ein renovierter Altbau mit Flügeltüren am Spittelberg, wunderschöne Räume, entspannt herzliche Umsorgung, ein Frühstück, das selbst Morgenessensverweigerern wie mir Appetit macht, großartige Aussicht. Wir bekamen statt der gebuchten Junior-Suite die Suite Privée: Das war dann wohl das erste Mal, dass ich in einem Hotel auf mehr Quadratmetern untergebracht war, als meine eigene Wohnung hat. Und welche Quadratmeter!

Mit einem Ankleidezimmer, glaube ich, könnte ich mich auch auf Dauer anfreunden. Ebenso mit dem Umstand, dass es von meinem Bett zum Schlafzimmerfenster zehn Schritte sind.

Wir sahen uns im Museum für moderne Kunst um, zudem in der Albertina; Letzteres ist ganz besonders zu empfehlen.

Hauptsächlich aber saßen wir in vielen Cafés, nämlich im
Café Drechsler (Würstl und besonders guter Kaffee)
Café Sperl (besonders guter Topfenstrudel)
Café Bräunerhof (aus irgendwelchen Gründen fühle ich mich hier besonders wohl – nein, am Poster mit Thomas Bernhard drauf im Fenster liegt das nicht ; außerdem habe ich hier meine Vorliebe für Soda Holler entdeckt)
Café Prückel (das lebendigste Kaffeehaus der diesjährigen Reihe – allerdings auch das verrauchteste)
Café Ritter (der Reisbegleiter testete „Augsburger“: eine halbierte, gebratene Knackwurst)

Das Besondere an dem letzten Kaffeehaus war aber, dass darin eine Hunt auf dem Boden lag, an der Leine ihre kelef. Beide schenkten dem Reisebegleiter und mir einige Stunden (und Hirschschinken und Würste und Kräutersalz – aber darüber sprechen wir nicht, um niemanden in Verlegenheit zu bringen); ich freue mich ungemein, wieder ein Gesicht, eine Stimme und ein Lachen zu einem seit vielen Jahren gelesenen Blog zu haben.