Bachmannpreislesen, was man nicht im Fernsehen sieht
Sonntag, 27. Juni 2010 um 16:49Das Sonnenlicht auf das Strandbad Maria Loretto wird abendlich golden und bescheint eine Gruppe von etwa 15 Menschen jüngeren bis mittleren Alters, die plaudernd auf dem Rasen am Wörthersee sitzen oder liegen. Manche haben Weingläser in der Hand, zwei Klapprechner sind angeschaltet, einige lesen in getackerten A4-Heftchen mit blauem Deckblatt. Eine Lesende lacht schallend auf; auf fragende Blicke hin erklärt sie: „Also, dass ein junges Mädchen nach der dritten Vergewaltigung ‚missmutig dreinschauen‘ soll, ist schon…“ Sie lacht noch einige Male bei der Lektüre dieses Josef-Kleindienst-Textes.1 Am Rand der Gruppe bereden drei Sonnenbebrillte die ihrer Ansicht nach fragwürdigen Jury-Reaktionen auf Daniel Mezgers Monolog und ob wohl seine Vortragsweise dazu geführt hat. Eine Nebensitzende unterbricht sie: „Pst, der steht da hinten.“ Richtig, am anderen Rand der Gruppe spricht er gerade mit einer der Laptoptipperinnen. Wie sich später herausstellt, hat der Bachmannpreiskandidat dem Aggregat hinter der Automatischen Literaturkritik, Kathrin Passig, dargelegt, an welchen Stellen sein Text Pluspunkte für die von ihr bediente automatische Bachmannpreismaschine hat, die noch nicht eingerechnet sind.
Wie könnte ich diesen Literaturwettbewerb bitteschön nicht großartig finden? Andere nehmen sich für Open-Air-Musikfestivals Urlaub, wieder andere fliegen für ein Auswärtsspiel ihrer liebsten Fußballmannschaft nach Madrid – es wurde wirklich Zeit, dass ich Leserin ein paar meiner Urlaubstage dafür verwendete, das wichtigste Live-Vorlesen und darüber Reden im deutschen Sprachraum vor Ort zu erleben.
Zelt im Garten vor dem ORF-Theater. Der Bildschirm, auf dem die Lesungen übertragen werden, hängt links in der Ecke.
Hier zur Sicherheit nochmal die Antwort auf die Frage „ Wie kommt man da rein?“, die ich letztes Jahr vorsichtig der Frau sopran stellte: Hinfahren, reingehen. Der Wettbewerb ist öffentlich, so richtig und völlig unkompliziert. Die Eröffnungsveranstaltung im ORF-Theater am Abend vor dem ersten Lesetag? Einfach hingehen, zuhören, mit den anderen essen und trinken. Die Lese- und Diskussionsrunden? Einfach ins Studio, das ORF-Theater, gehen. Wer von Anfang an auf einem richtigen Stuhl sitzen will, muss früh dran sein, doch zwischen den Kandidaten gehen immer ein paar Stuhlsitzer raus, deren Plätze man einnehmen kann. Manche schauen lieber vom Garten aus zu, um das Geschehen live diskutieren zu können, andere bevorzugen das Pressecafé, zumal dort Rechner und Internetanschluss zur Verfügung stehen.
Auch wenn nicht tausende, wie ich erwartet hatte, sondern nur wenige hundert Leute zum Bachmannpreis nach Klagenfurt kommen, sind sie im Stadtbild sichtbar – vor allem wegen der Leihräder, auf denen sich die Literaturtouristen durch den Ort bewegen. Auch ich sicherte mir als erstes ein Rad, praktischerweise stellte das sehr angehme City Hotel am Domplatz, in dem ich untergekommen war, selbst eines. Wirklich gebraucht habe ich es aber im Grunde nur für die Fahrten den Lendkanal entlang raus zum oben erwähnten Strandbad: Die Stadt selbst ist so überschaubar, dass alle interessanten Lokale und Cafés sowie der Veranstaltungsort ORF-Theater per Spaziergang erreichbar sind.
Besucherparkplatz vor ORF-Theater. Rechts der Pavillon, in dem die Interviews vor nach und zwischen den Lesungen geführt wurden.
Weitere Beobachtungen: Das Studiopublikum ist eher älter und verfolgt die Show in legerer Kleidung. Einige Damen trugen sichtbar Bikini unter ihrem Sommertopp, um möglichst wenig Zeit zwischen Lesungen und dem Sprung in den Wörthersee zu vergeuden. Die Bachmannpreisfamilie enthält viel Verlags- und Medienvolk (neben uns wenigen Vertretern der Leser). Als ich mich auf der Eröffnungsveranstaltung umsah unter den Buffetanstehern und Bierglashaltern, fragte ich mich, welche Veranstaltung das wohl alternativ sein könnte. Meine Banknachbarin schlug vor: Eine Sommerparty von Kreativvolk aus Werbung und PR. Ja, das konnte hinkommen: Viel Schwarz, einige betont nachlässig gekleidet, zahlreiche schwarzrandige Brillen, Eleganz unter den älteren Offiziellen, überdurchschnittlich viele Raucher.
Es soll Parallelen zwischen European Song Contest und dem Bachmannpreis geben; mir gefiele ein Vergleich mit den Filmfestspielen in Cannes besser. Mal sehen:
– Die erwartbare Häme der Medienberichterstattung.
– Jeder Anwesende diskutiert praktisch immer über das Thema der Veranstaltung, also Literatur.
– Jeder Beobachter hat eine Meinung zu den Kandidaten, den Texten, der Vortragsweise und den Juroren.
– Es sind Berühmtheiten da, die alle kennen.
– Es sind Berühmtheiten da, die vielleicht nur für wenige berühmt sind.
– Wasser und Schwimmen spielen eine Rolle.
– Es geht um Verkaufen, und man hört viel Branchengerede.
– Es gibt neben dem Wettbewerbslesen viele Lesungen außer Konkurrenz.
Ach Schmarrn, in Wirklichkeit könnte das Ganze nicht weiter vom Weltrummel um Cannes entfernt sein (wo ich zudem sicher nicht die persönliche Bekanntschaft mit den ganz außerordentlich kennenlernenswerten Leuten gemacht hätte, auf die ich in Klagenfurt traf). Es gibt keine Barrieren, alle Beteiligten begegnen einander ständig. Ich saß bei einer Abendlesung Schulter an Schulter mit der Klagenfurt-Veranstalterin, im Ort begegnete ich ständig Kandidaten oder Jurymitgliedern (radelnd, ratschend, mit Eis in der Hand flanierend), wenn ich nicht gleich mit ihnen an den Essenstisch im Biergarten geriet. Nach Abschluss der ersten Leserunde stand ich vom Zigarettenrauch und Hintergrundgeplauder dreier Juroren eingehüllt vor dem ORF-Theater, während ich auf meinem umständlichen Arbeits-Blackberry minutenlang eine Anfrage meines Chefs in zwei Zeilen beantwortete, im Strandbad begegneten einander Juroren, Kandidaten, Bachmannpreisträger früherer Jahre knapp bekleidet.
Und es dreht sich alles um Literatur, ums Schreiben, und natürlich um dessen Bewertung. Nirgendwo wird Literatur so ernst genommen. Kommen Sie doch nächsten Jahr mit und sehen Sie nach.
Wawerzinek hat also den Bachmannpreis bekommen. Nu, er war nicht der schlechteste, ebenso wenig die zweitplatzierte junge Elmiger. Dass allerdings Zander bepreist wurde, wundert mich sehr. Ihren Text habe ich nur selbst gelesen, nicht gehört, fand ihn aber sprachlich sehr unbeholfen, bei aller guten Grundidee. Für Aleks Scholz freue ich mich. Auch seinen Text las ich selbst, fand ihn sauber und originell.
Nachtrag: Noch ein paar gesammelte Bachmannechos von Klagenfurtbesuchern
– Martin Fritz für fm4 (ich werde mich nächstes Jahr eingehender mit ihm über die Kleidung der Kandidaten austauschen wollen)
– C. Schmidt für die Süddeutsche (Wer ist C. Schmidt? Sind wir am Ende aneinander vorbeigeschwommen?)
– Richard Kämmerling für die FAZ
– Sopranisse, die ja wegen ihres Buches Wie man den Bachmannpreis gewinnt eine Sonderrolle hatte
– Judith von Sternburg für die Stuttgarter Zeitung
– Elmar Krekeler für die Welt
– Tex Rubinowitz in der Standard
- Es kursiert der Scherz, Jurorin Fleischanderl habe Kleindienst ins Rennen geschickt, da sie ihm noch 20 Euro schuldete. [↩]
14 Kommentare zu „Bachmannpreislesen, was man nicht im Fernsehen sieht“
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27. Juni 2010 um 17:11
Jetzt haben Sie mir aber den letzten Tritt gegeben, um mir Klagenfurt fest einzuplanen. DANKE!
27. Juni 2010 um 17:36
Au ja, Nathalie!
27. Juni 2010 um 18:30
Der Kleindienst-Text ist ja so was von unterirdisch schlecht. Und mit so was wird man nominiert? Erschreckend.
27. Juni 2010 um 19:56
Ich würde das Lesen des Kleindienst-Textes gerne wieder rückgängig machen. *schaut mißmutig*
27. Juni 2010 um 20:15
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Gerne gelesen
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27. Juni 2010 um 22:47
Vielen Dank für diese erhellende und erheiternde Berichterstattung.
27. Juni 2010 um 23:08
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Gerne gelesen
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27. Juni 2010 um 23:46
oja, ich will auch mit. darf ich?
28. Juni 2010 um 6:24
Aber sischerlisch, engl!
28. Juni 2010 um 10:54
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Gerne gelesen
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28. Juni 2010 um 13:27
Genau so war es, werte Frau Kaltmamsell, und es hat mich sehr gefreut, dass Sie da waren! Ein Klagenfurter mit guten Kontakten zur Organisation sagte: Seit Ihr Internetleute da seid, hat die Sache wieder Schwung bekommen;später beim Wettschwimmen dachte ich auf einmal: Womöglich hat er Recht. Zwei Kandidaten, drei Literaturagenten, ein österreichischer Philosoph, Verlagsleute und irgendwelche Menschen mit ordentlichen Berufen pflügen gemeinsam durchs Wasser bzw. sehen anderen beim Pflügen zu. Anschließend das von Dir beschriebene gemeinsame Lagern, Trinken, Lesen, Reden… So muss Klagenfurt sein.
28. Juni 2010 um 14:38
Bei Kleindienst habe ich irgendwann umgeschaltet. Er wollte “Grenzen sprengen”. Ach ja. Die Zander wiederum fand ich gar nicht so schlecht, ich mochte das Monotone darin. Allerdings konnte ich ihrem Vortrag nur in Auszügen folgen, weil ich ja keinen Urlaub habe. Die Kritikerrunde im Anschluß schien mir jedenfalls nicht angemessen. Interessanterweise bekam sie ja noch den 3-Sat-Preis. Alles in allem, kein besonders dolles Jahr.
28. Juni 2010 um 15:56
Danke für die reizenden Details vom Ort des Geschehens. Beruhigend, dass ich mit meiner Meinung zu Elmiger und Janesch nicht allein stehe. Bei Zander hat mich etwas verstört, wie wenig Bedeutung die Jury der Vergewaltung beigemessen hat, ich hatte das irgendwie anders verstanden.
28. Juni 2010 um 17:57
Danke für den Einblick in die Atmosphäre. Irgendwann in meinem Leben werde ich auch mal dabei sein in Klagenfurt.