Journal Brighton, Dienstag, 17. August 2010
Mittwoch, 18. August 2010 um 10:24Bilder wieder am Ende des Textes.
Beruhigend: Brighton hat nicht vergessen, wie man regnet.
Am Morgen war der Himmel bedeckt, der Boden nass, die Luft kühl. Meine Laufrunde hinaus auf den Undercliff Walk überstand ich allerdings trocken.
Ich denke immer noch über Ankes wiederholte Fatshionista-Postings nach. Denn es stimmt ja: Sackartige Kleidung in Tarnfarben lässt keine Dicke dünner erscheinen. Möglicherweise erwartet die Gesellschaft von Dicken inklusive ihnen selbst eine Art Büßergewand: Wenn Dicke schon durch ihr reines Dasein eine Beleidigung darstellen, haben Sie sich zumindest dessen bewusst zu sein und bitteschön bis ins Mark dafür zu schämen. Was sie ja tatsächlich eh fast immer tun. Enge Kleidung, bunte und laute Kleidung, tiefe Ausschnitte, nackte Arme, und das auch noch mit fröhlicher Ausstrahlung – das bedeutet ja wohl, dass die Dicke sich nicht nur weigert, sich zu schämen, sondern sich am End keineswegs nichts sehnlicher wünscht, als dünn zu werden. Das rüttelt an einer der Grundfesten der Gesellschaft. (Sie sollten mein inneres boshaftes Grinsen sehen, wenn die dicke und schon immer sehr sportliche Kollegin von ihren Radtouren, früheren Reitausflügen und fast täglichen Joggingrunden am Morgen erzählt – und dem Gegenüber das Gesicht herunterfällt.)
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Wir beschlossen, dass ein grauer Tag genau das richtige Wanderwetter bietet. Morgencappuccino im Costa’s am Churchill Square, Sandwichs von Marks & Spencer’s zum Frühstück im Zug nach Glynde.
Der kleine Ort Glynde sieht urenglisch aus, verfügt über eine ungewöhnliche Kirche, das adlige Anwesen Glynde Place und zauberhafte Häuser. Nach einer ausführlichen Besichtigung machten wir uns auf eine kleine Wandertour über Hügel und durch Täler, vorbei an Kühen und Schafen, durch turnstiles und zwei Wäldchen. An einem sahen wir Fasane, erst ein paar Damen, dann einen unkoordiniert herumrennenden Herrn. Ob er wohl vergessen hatte, dass er fliegen kann? Nach etwa 30 Metern im Schweinsgalopp hielt er verdutzt an einem Weidezaun, um dann beizudrehen und daran entlang weiterzurennen.
Dann überlegte sich das Wetter doch, dass es bisschen regnen könnte. Es stieg ein mit dem, was der Begleiter und ich bei unserem durchregneten Brightonaufenthalt vor drei Jahren „Gischt“ nannten, einem ganz feinen Sprühregen mit ordentlich Wind. Macht eigentlich nichts, nur dass Brillenträger wie der Begleiter und ich schnell nichts mehr sehen.
Der Weg, den wir einem zehn Jahre alten Wanderbuch entnahmen, führte uns auch ausgeschildert quer über den Golfplatz von Lewes. Ich hatte Angst, dass mich jeden Moment ein Golfball treffen könnte, doch bei diesem Wetter begegneten wir nur einem einzigen aktiven Grüppchen, und dieses winkte uns freundlich vorbei. Am Rand des Golfplatzes legte ich eine Brombeerbrotzeit ein: Ich hatte im Vorbeigehen einige Brombeergestrüppe auf die Qualität ihrer Früchte getestet, und diese waren mit Abstand die besten – das nutzte ich aus.
Dafür, dass die South Downs immer mit sanft rollenden Hügeln gleichgesetzt werden, ging es ganz schön steil aufwärts und abwärts. Gegen Ende unserer Vier-Stunden-Wanderung (ich scheue mich eigentlich, so kurze Runden, die man auch noch problemlos mit festen Straßenschuhen gehen kann, Wanderung zu nennen) musste die Gischt allerdings echtem Regen weichen. Die Gischt hatte meine Jacke bereits so durchgefeuchtelt, dass die eingesteckte Regenjacke auch nichts mehr gebracht hätte. Die letzte Stunde marschierten wir also mit schlechter Sicht und konzentriertem Blick auf den Meter Boden vor unseren Füßen.
Vor dem Zug zurück nach Brighton war in Bahnhofsnähe noch Zeit für ein köstliches Half Pint Bitter im örtlichen Pub.
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Zurück in Brighton kauften wir beim im Vorjahr entdeckten Brighton Sausage Co. Bratwürste fürs Abendbrot: Klassische Cumberland, Lamm mit Knoblauch, Schwein mit Erbsen, Rind mit Meerrettich & Senf.
Auf dem Heimweg bogen wir zu einem ausführlichen Supermarktbesuch ab. Wieder stand ich weinend vor den 20 sehr verschiedenen Sorten Zucker, von denen es bei uns höchsten fünf gibt. Für das Abendessen packten wir Brot und Bier ein.
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Die Würste briet ich in der eisernen Grillpfanne: Sie war von den vieren im Küchenschrank die einzige mit wirklich flachem Boden. Was nützen auf einem Elektroherd unebene Pfannen?
Romantischstes Abendessen am großen Wohnzimmerfenster mit Blick aufs Meer – ich weiß nicht, wann ich das zum letzten Mal hatte. Sicher noch nie hatte ich das inklusive Zurückgucken: Das Apartment liegt im Erdgeschoß, da wirft man als Passant schon auch mal einen interessierten Blick hinein.
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Östlicher Teil der Brighton Seafront auf meinem Lauf.
Das malerische Örtchen Glynde.
Kann jemand helfen, diesen Baum zu bestimmen? Höhe und Blätter wie eine Rosskastanie, aber ganz andere Früchte.
Haus im Tudor-Stil. Und in England sind die Gebäude gerne mal so alt wie ihr Stil.
Die Pfarreikirche von Glynde.
Glynde von oben.
Zwei Beispiele für die Wanderwege in den South Downs – kurz bevor die Gischt einsetzte.
Das malzige, schokoladige Bier zu den Bratwürsten.
die Kaltmamsell12 Kommentare zu „Journal Brighton, Dienstag, 17. August 2010“
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18. August 2010 um 10:44
Könnte der Baum eine Fleischrote bzw. Rotblühende Rosskastanie (baumkunde.de,wikipedia.de) sein?
Zitat: “Die kugeligen Kapselfrüchte sind glatt oder nur wenig bestachelt; sie sind mit 3 bis 4 cm etwas kleiner als bei der Gewöhnlichen Rosskastanie.”
18. August 2010 um 10:59
…ein Mispelbaum? Ich wünsche heitere Tage.
es grüßt Orangerie.
18. August 2010 um 11:04
nie, nie, nie hätte ich gedacht, dass mir irgendjemand lust auf ein paar tage brighton (oder ähnliche orte, das meine ich nicht persönlich) samt essen machen könnte. nie.
18. August 2010 um 11:17
@katha: mir gings beim lesen genau so. vielleicht kann fr. kaltmamsell so a la seumes “spaziergang nach syrakus” ihre englandreisen zusammen fassen?:-)
18. August 2010 um 13:01
Wie Stephan sagt, es ist eine Rosskastanie, ob rotblühend weiß ich nicht, aber die sind häufig in England. Es gibt auch andere Sorten, z.B. die in den USA buckeye heißen.
18. August 2010 um 13:32
Sie haben ein bisschen die Stimmung eingefangen wie zu sehen in der wunderbar nostalgischen englischen Serie “Der Doktor und das liebe Vieh”.
Schon wieder seufz.
18. August 2010 um 14:31
Hach, ist das schön! Großbritannien natürlich sowieso, aber ich dachte bislang immer, die Seebäder seien fad – lasse mich gerade eines viiieeeel Besseren belehren.
Hier noch ein Filmtip für Regenwetter http://www.picturehouses.co.uk/cinema/Duke_Of_Yorks/film/Pianomania/
18. August 2010 um 15:13
Öffentliche Wege über Golfplätze – das machen die Engländer häufig und mit Absicht, um arme Wanderer in Angst und Schrecken zu versetzen.
18. August 2010 um 22:38
du kannst dir vorstellen, dass ich jeden Tag gespannt auf die Fortsetzung warte. Hat Glynde irgendwas mit Glyndebourne zu tun?
18. August 2010 um 23:23
Aber ja, ilse, wir sind daran vorbeigekommen:
19. August 2010 um 10:27
Tatsächlich ist Glynde genau das, was ich mir unter Landleben vorstelle. Wenn Stadt, dann richtig, wenn Land dann auch richtig und mit jeweils allen daraus resultierenden positiven und negativen Konsequenzen. Dazwischen gibt es für mich nichts. Habe ich schon erwähnt, dass ich in manchen Dinge äußerst kompromisslos bin ? :-)
19. August 2010 um 11:14
danke! im Übrigen qualifiziert sich ein 4-Stunden-Spaziergang durchaus als Wanderung. Ansonsten wäre ich in meinem erwachsenen Leben noch nie gewandert.