Abenteuer Wein
Mittwoch, 8. September 2010 um 19:45Wenn ich den ersten Schreibimpuls nicht nutze, raffe ich mich meist gar nicht mehr auf, über ein Erlebnis zu bloggen. In Fall meiner Weinreise nach Gols wäre das zu schade – kratze ich also zusammen, was ich so an Notizen und Bildern finde.
Denn zuletzt ließ mich auch noch ein wildfremder Landwirt als Abkürzung zum Bahnhof durch sein Haus gehen. Dass Gols einen Bahnhof hat, kannte die Initiatorin des Verkostungstrips ins Burgenland, Hande Vinoroma, lediglich als Gerücht. Was sich unter anderem damit erklären lässt, dass diese schlichte Zughaltestelle am äußersten Rand des Ortes liegt und nicht einmal mit einer geteerten Straße bedient wird. Auf der Hinreise hatte mich ein hilfsbereiter Mitverkoster mit dem Auto abgeholt, zurückzu fragte ich mich durch. Kurz vor dem Ziel hatte ich mich verfranst und fragte einen Golser, der gerade aus einem Hoftor kam, ob es da entlang zu Bahnhof gehe. Nah, meinte der, da müsste ich einen großen Bogen um den Straßenzug machen. Kurze Pause. „Oder mogst bei mir durchgehn?“ (In Gols wird geduzt.) Da ich annahm, ich müsse dazu nur über den Hof gehen, nahm ich dankbar an und folgte dem Herrn. Tatsächlich führte der Weg aber über einen Hof und dann durchs Wohnhaus, für den eine junge Frau noch den Schlüssel holen musste.
Gols ist ein Kuriosum, nicht allein wegen der überwältigend freundlichen Menschen (die übrigens als Plural von du wie in Bayern den alten Dualis „es“ verwenden): Die kleine Marktgemeinde zählt 400 Weinbaubetriebe im Haupt- oder Nebenerwerb, durchgehend höchst lebendig und höchst ambitioniert. An der zwei Kilometer langen Hauptstraße des Zeilendorfes reihen sich fast ausschließlich Winzerhäuser aneinenander, erkennbar am großen Hoftor. Sie könnten alle gleich alt sein, wurden aber sichtlich zu verschiedenen Zeiten renoviert und weisen höchst unterschiedliche Grade an gestalterischer Geschmackssicherheit auf. Ich bin ja sonst schnell mit Lästereien bei der Hand, wenn es um die krampfhafte Erhaltung irgendeines romantisierten verflossenen Baustils geht – Gols hat mir vorgeführt, welchen Preis die komplette Abwesenheit dieses Erhaltungsbestrebens hat.
Das erste Wochenende im September gehört den neun Golser Winzern, die sich zu Pannobile zusammengeschlossen haben: Sie öffnen ihre Häuser und Keller zur Verkostung ihrer Erzeugnisse. Einige davon wollten wir probieren und zogen von Weingut zu Weingut. Angeführt wurde unsere kleine Truppe von zwei Menschen, die seit vielen Jahren zum Pannobile-Fest anreisen. Entsprechend wurden sie von allen Winzerfamilien mit großem Hallo und wie alte Freunde umarmt. Zusätzliche Nähe und Zuwendung verschaffte uns der Umstand, dass wir einen frisch eingeflogenen Winzer aus Oregon dabei hatten. Denn sobald er mit: „And this is Jim. He is a winemaker.“ als Kollege vorgestellt wurde, bekam er sofort eine Führung durch die Kellereianlagen angeboten – die er gerne annahm. Wir anderen hinterher.
Wir begannen die Verkosterei im eleganten Weingut von Judith Beck und setzten sie fort bei Heinrich und Paul Achs, um schließlich bei Claus Preisinger zu landen. Der Besuch bei Paul Achs ließ mich erahnen, dass vielleicht nur die Fassaden all der Winzerhäuser unattraktiv sind: Sein Tor öffnete sich zu einem bezaubernden Innengarten, überhangen von den Zweigen eines Birnbaums, die sich an die einer Esskastanie schmiegten. Vielleicht sieht es ja hinter den anderen Toren auch so schön aus? Claus Preisinger wiederum hat sich ein Ufo auf den höchsten Punkt über Gols gestellt, von dessen Balkon aus man einen atemberaubenden Blick über die Landschaft bis zum Neusiedler See hat. Auch hier bekamen wir höchst interessante Weine zu kosten und – in Jims Gefolge – den Weinkeller zu sehen.
Beeindruckt war ich nicht nur von den Weinen (Ergebnisse unter anderem: St. Laurent ist dann doch nicht so das Meine, dafür habe ich Pinot Noir entdeckt, Zweigelt eher nicht, Blaufränkisch überraschend doch), sondern auch von der Gestaltung der Ausstattung: Website1, Etiketten, Broschüren sind fast durch die Bank sehenswert.
Um dem Winzer aus Oregon noch mehr Einblick zu verschaffen, nahm uns der Seniorchef des Guts Claus Preisinger, Lorenz, am Sonntag sogar in seine Weinberge mit. Wo er uns die weitere Kuriosität dieses Winzerorts vorführte: Niemand hat seine Weinstöcke am Stück. Alle Winzer pflegen über die gesamten 2000 Hektar des Gols’schen Weinanabaugebiets verstreut ihre Stöcke. Und so fuhren wir an einem Ende die vier Reihen Merlot und Zweigelt an, die Claus Preisinger gehören, an einem ganz anderen Ende ein paar Reihen Blaufränkisch. Ich erfuhr ungeheuer viel über biodynamischen Weinanbau und seine Unterschiede zu den vorher üblichen Anbaumethoden. Seniorchef Lorenz Preisinger hatte sogar versucht, eine der Anbauflächen mit einem Pferdegeschirr zu bestellen (das dauerte aber zu lange, deswegen ließ er es wieder bleiben).
Außer der Pannobile-Reihe waren wir auch bei Limbeck zum Kosten – am Sonntagmorgen um halb zehn. Manfred Limbeck machte uns trotzdem auf und schenkte ein (die Süßweine!), seine Frau Edith stellte wunderbaren Käse und Brot dazu.
Nun war ich ja mit dem Zug gereist – Weintransport hätte ich mir eigentlich versagen müssen. Doch gerade als ich mir einredete, dass sich eine wunderbare Gelegenheit bot, ein wenig Kleidungs-, Schuh- und Laptopballast abzuwerfen und im Koffer durch Weinflaschen zu ersetzen, erboten sich zwei zauberhafte Münchner, für mich die Weinkuriere zu sein.
Der typische Blick: Weinstöcke kombiniert mit Windrädern.
Im Weingut Heinrich.
Claus Preisingers Ufo am Sonntagmittag.
Blick von der Ufo-Terasse am Samstagabend beim Verkosten.
Einige der Preisinger-Weinreben mit Aussicht.
Innenhof des Pannobile-Winzers Paul Achs.
Sonntagmittagessen (bis nach fünf) in der Dankbarkeit in Podersdorf.
- Sehen Sie sich unbedingt die Website von Claus Preisinger an: Seine Unternehmensbroschüre sieht genauso aus – was normalerweise ein schlechtes Zeichen ist, doch in diesem Fall aufs Wunderbarste funktioniert [↩]
6 Kommentare zu „Abenteuer Wein“
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8. September 2010 um 20:11
Freut mich allein schon aus patriotischen Gründen, dass es Ihnen gefallen hat. Die andere Seite des Sees ist übrigens nicht weniger reizvoll … ;-)
8. September 2010 um 23:48
das haben sie sehr schön zusammengefasst und beschrieben und überhaupt.
st. laurent ist so eine sache für sich: manchmal ja, manchmal nein.
pinot noir sollten sie einmal einen aus der thermenregion rund um baden probieren, daran werde ich arbeiten.
zum zweigelt kann ich nur mit frau godany sagen: der zweigelt zweigelt. immer. nur wenn er wirklich gut ist, und der restliche angebotene wein nicht zum trinken, dann darf er ins glas. aber auch nur fallweise.
persönlich habe ich ja gerade wieder den tokajer wiederentdeckt. 2001 war wirklich ein gutes jahr.
9. September 2010 um 6:54
Oh, auf St. Laurent, kelef, bin ich ja überhaupt erst gekommen, weil mir der St. Laurent Reserve vom Grassl (Carnutum) so gut geschmeckt hat. Das war dann halt die Ausnahme.
9. September 2010 um 8:51
Oh, Sie waren gleich bei drei von mir sehr geschätzen Winzern/Winzerinnen…
11. September 2010 um 22:08
Das Ufo-Weingut überrascht doch sehr. Ein echter Hingucker. Vielleicht besticht der Wein ja auch durch Schnörkellosigkeit.
12. September 2010 um 16:48
herrlich!