Als ich sah, dass das SZ-Magazin diese Woche „ein Frauenheft” ist, rechnete ich bereits damit, dass ich mich aufregen würde, zumal auf dem Titel stand: „Die Revolution ist in vollem Gange, es merkt nur keiner. Frauen übernehmen die Macht, leise, unaufgeregt, unaufhaltsam.“ Denn Prognosen, dass Frauen SO kurz davor seien, endgültig die Weltherrschaft zu ergreifen, lese ich, seit ich die Titelseiten von Gazetten entziffern kann. Weckt mich, wenn der Anreißer erstmals lautet: „Männer auf dem Vormarsch.“
Besonders heftig rollte ich mit den Augen bei der Lektüre des Interviews mit Regine Stachelhaus. Seit Juli dieses Jahres im Vorstand von EON? Konnte also zum Zeitpunkt des Gesprächs gerade mal zwei, drei Monate Erfahrung in dieser Funktion vorweisen? Nicht sehr aussagekräftig. Allerdings gibt es nunmal so erbärmlich wenige Frauen in Spitzenpositionen, dass man sie unmöglich als Gruppe analysieren kann. Und so schnaufte ich heftig bei Aussagen wie:
Gerade Frauen haben ein sicheres Gespür dafür, was wann angebracht ist. Das gilt auch für Kritik am Vorgesetzten. Frauen wissen, wann dafür der geeignete Moment ist (…)
Echt? Mir fallen eine ganze Menge Gegenbeispiele ein – die genauso wenig statistisch relevant sind wie die Aussagen von Frau Stachelhaus. Und ich erinnere mich an die Kollegin aus der Personalentwicklung, die mich für einen Artikel über den Nutzen eines höheren Frauenanteils in der Führungsschicht meines Arbeitgebers briefte: Ich solle schreiben, dass Frauen mit ihrem großen Einfühlungsvermögen Konflikten vorbeugten und deshalb in Führungsgremien ausgleichend wirkten. (Sie ließ sich aber – das halte ich der Kollegin zugute – umstimmen, als ich sie zahlengestützt auf die verheerende Wirkung von Geschlechterstereotypen in der Arbeitswelt hinwies.)
Wie sehr gefiel mir im Gegensatz dazu das Interview mit Birgit Behrendt in der Septemberausgabe des Manager Magazins, seit 2004 im Vorstand von Ford zuständig für das strategisch entscheidende Ressort Einkauf, bis zum Juni 2010 Einkauf Europa, seither Einkauf Amerika (Link zu einem Porträt vom Januar, aktuelles Interview leider nicht online). Nicht nur konnte sie fachlich Interessantes darüber erzählen, wie sich die Prozesse und Ziele in den Lieferantenbeziehungen der Automobilindustrie verändert haben. Ihre Aussagen zur Rolle des Geschlechts beziehen sich auch deutlich auf die Ergebnisse von Sozialisation, zum Beispiel:
(Frauen) glauben, wenn ich gut arbeite und fleißig bin, dann kommt man schon auf mich zu. Da kommt aber niemand auf Sie zu! Mit dieser Einstellung wird man zur Stütze der Abteilung, aber befördert werden andere.
(…)
Ihr Gebiet, Einkauf, gilt nicht gerade als spezifisches Frauenressort.
Behrendt: Es ist ein knochenhartes Geschäft. Aber warum sollte es deshalb nicht ein Frauenressort sein?
Zum schmerzhaften Lachen und eindeutig ein Fall von My fault I‘m female ist die Anekdote, die Frau Behrendt im Zusammenhang mit dem Umstand erzählt, dass ihr Mann 1998 die Erwerbstätigkeit aufgab (sie ging in die USA, er bekam dort keine Arbeitsgenehmigung):
Ihrem Mann macht es überhaupt nichts aus, dass man denkt: Das ist kein „Go-getter“ oder „Was ist das denn für ein Mann“?
Behrendt: Er sieht das völlig gelassen und hört oft: Sie haben alles aufgegeben für Ihre Frau! Mir hat sich ein Schüsselerlebnis eingebrannt: Als ich das erste Mal in die USA gegangen bin, war alles für mich Neuland; neuer Job, neues Unternehmen, hart in gewisser Weise. Aber in den Anrufen, die von zu Hause kamen, ging es immer nur darum: Wie geht es dem armen Norbert, der aufgehört hat zu arbeiten und im International Newcomer-Club der einzige Mann war unter 40 Frauen. Als hätte ihn da ein schreckliches Los getroffen! Keiner fragte, wie es mir ging.
Zurück zum gestrigen SZ-Magazin. Die klügste Aussage über das Thema Frauen stammt dann ausgerechnet vom greisen Friseur Vidal Sassoon:
Was haben Sie über Frauen gelernt in all den Jahren, in denen Sie so viel mit ihnen zu tun hatten?
Ich habe gelernt, dass ich nichts über Frauen weiß. Ich habe vielleicht einzelne Frauen verstanden, wenn ich mit ihnen gelebt habe. Aber ich kann nichts über die große Gruppe Frauen sagen. Sie möchten doch auch als Individuum betrachtet werden und nicht als Teil einer Gruppe, oder nicht?
Amen.