Tag 24 – Ein Buch, von dem niemand gedacht hätte, dass du es liest/gelesen hast
Montag, 25. Oktober 2010 um 6:21Wer mir bis hierher durch diesen Bücherfragebogen gefolgt ist, müsste gemerkt haben, dass ich eine unerstättliche Leserin war und – mit Abstrichen – immer noch bin. Was also mag es geben, das niemand als meine Lektüre erwarten würde?
Machen wir’s doch so: Ich schlage Ihnen drei Bücher vor, die ich gelesen habe und immer noch aufbewahre (was ich inzwischen nicht mehr mit Büchern tue, die ich weder mag noch als Nachschlagewerke sehe). Und Sie kreuzeln an, welches davon Sie am wenigsten in meinem Regal erwartet hätten.
1. Wolfgang Niedecken, Auskunft. Eine (Auto-)Biografie des Autors von 1990.
2. Harlan Ellison (ed.), Dangerous Visions. Eine Anthologie von Science Fiction-Kurzgeschichten, erschienen 1967.
3. Andreas Eschbach, Das Jesus Video (sic!), Thriller von 1998.
(Umfrage freundlicherweise gebastelt vom Blogheinzelmännchen, der gestern so viel zu arbeiten hatte, dass ich wusste, ich würde mit meiner Bitte um ein Umfragemaschinchen hoch willkommene Ablenkung schaffen.)
Nachtrag am 26. Oktober 2010: Vielen Dank fürs Mitstimmen, meine Damen und Herren!
Der Niedecken gehört tatsächlich, wie Gaga vermutete, zu einer längst vergangenen Phase: Als junges Mädchen zog mich das Konzept hinter BAP an, die Texte und die Mundart sprachen zu mir, ich interessierte mich für die Musiker. Das waren schlicht meine 80er. Heute kann ich diese Vorliebe genauso wenig nachvollziehen wie meine damalige Gläubigkeit und den Genuss von Hermann-Hesse-Romanen. Beim Zusammenstellen der Bücher für diesen Fragebogenpunkt entdeckte ich noch zwei weitere BAP-Bücher: Sie sind alle drei auf dem Stapel mit den Ausgemusterten gelandet. (Falls jemand Interesse…?)
Ellison kennen vermutlich nicht allzu viele der Vorspeisenleser und -leserinnen. Ich habe hier mal eine Geschichte über ihn notiert. Als ich den Mitbewohner einst bat, mir doch etwas aus seinem Fachgebiet Science Fiction zu lesen zu geben, reichte er mir diesen Sammelband, den er als recht repräsentativ für das Genre bezeichnete. Mir gefielen viele der Ideen hinter den Geschichten, ich fand allerdings auch viele ziemlich schlecht geschrieben.
Das Jesus Video, das die meisten überrascht, ist gar nicht so schlecht, “guilty pleasure”, wie Anke es nennt, trifft das Lesegefühl recht gut. Ein Arbeitskollege empfahl es mir seinerzeit, soweit ich mich erinnere das einzige Mal, dass er mir ein Buch nahelegte. Und ich fühlte mich gut unterhalten, keineswegs schlechter als von einem Ken Follett.
die Kaltmamsell13 Kommentare zu „Tag 24 – Ein Buch, von dem niemand gedacht hätte, dass du es liest/gelesen hast“
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25. Oktober 2010 um 7:35
Der Niedecken, eindeutig, obwohl ich auch kurz in Richtung Jesus Video gezuckt habe, weild er Titel so bescheuert ist. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass etwas, was Herr Niedecken 1990 geschrieben hat, das Lesen und Aufheben der Biografie nötig macht. Sein Gutmenschentum raubte mir gerade damals den letzten Nerv.
25. Oktober 2010 um 10:48
Oh. Das Jesus Video habe ich auch gelesen. Oder habe ich den Film gesehen? Egal, eigentlich beides unverzeilich ;-)
Dankedankedanke nochmal für den Tip mit den Yiddish Policemen……. ich bin jetzt auch durch und immer noch ….. irgendwie drin.
25. Oktober 2010 um 11:02
Neinnein, Herr Eschbach ist ein „guilty pleasure“, das kann man lesen, wenn man nix anderes mehr da hat (ich hab drei von ihm im Regal). Aber der fehlende Bindestrich auf dem Titel ist natürlich ein eindeutiges Indiz
25. Oktober 2010 um 12:55
Die Mehrheit wählt “Das Jesus Video”.
Dachte ich mir.
Ich habe es nicht nur gelesen, sondern gefressen.
Im Urlaub (der zugegeben scheußlich war, falscher Ort, falsche Zeit) sogar auf der Toilette aus der Tasche gezogen, um weiterzulesen.
Ich habs gelesen – und das ist gut so! ;-)
25. Oktober 2010 um 13:47
Jesus Video, weil Ihnen doch sonst auch immer so viel peinlich ist ;-)
25. Oktober 2010 um 15:05
Wenn ich den Begriff Jesus-Video nur höre, denke ich an schmerzhafte Nachmittag auf der Couch. Ich konnte mich kaum bewegen, weder lesen noch Musik hören. Das einzige, was mich von meinen kaum erträglichen Schmerzen abhielt, was dieses Hörspiel.
Mit ganz viel Aua konnte ich auch problemlos Paulo Coelhos Alchimisten zuhören, was ich im Wachzustand nie ertrage.
Niedecken hätte ich vermutlich auch, wenn ich damals gewusst hätte, dass er autobiographisch tätig war. Ist halt verdammt lang er…
25. Oktober 2010 um 17:32
Jesus-Video, weil ich mich selbst frage, wie ich das zuende lesen konnte, … und weil es eines der wenigen Bücher ist, die ich wirklich sofort im Altpapier entsorgt habe. (Es wäre mir peinlich gewesen, es irgendwie weiter zu geben, weiter zu schenken, weiter zu verkaufen.)
25. Oktober 2010 um 21:09
ich hab auch Niedecken angekreuzt. Aber nun müssen wir ja zur Kennntnis nehmen, dass alle drei Werke auf dem uns inzwischen bekannten heimischen Brokat-Kanapee Platz nehmen durften, und somit Bestandteil des Hausstandes sind. Bei Niedecken hätte ich einfach gedacht, was will unsere Kaltmamsell mit dem? Die Musik-Liebhaberei ist ja ohnehin stark zurückgegangen, wie wir hier schon häufig lesen durften und selbst wenn der Buchkauf aus einer der Musik zugewandteren Ära stammen sollte, hätte mich die Vorliebe für die Musiktruppe B.A.P. doch etwas irritiert. Es sei denn, es gäbe einen familiären Bezug zu Herrn Niedecken oder einen irgendwie doch sentimental jugendlichen oder womöglich Interesse am bildenden Künstler Niedecken? Fragen über Fragen! Vielleicht ein Geschenk oder jemand hat das Buch vergessen?
26. Oktober 2010 um 7:32
Hermann Hesse hat 1946 immerhin den Nobelpreis für Literatur bekommen.
26. Oktober 2010 um 8:56
Na ja, Musiker, den haben sie 1938 auch Pearl S. Buck verliehen.
26. Oktober 2010 um 11:39
Ha, Niedecken hat bei uns in der Schule in der Aula eines seiner ersten Konzerte gegeben. Unser Englischlehrer hat damals noch bei ihm mitgespielt. Den hätte ich glatt auch gelesen. Aber nur, wenn he dat Booch in Kölsch jeschriwwe häät.
Jesus-Video – hab ich mal geschenkt gekriegt wegen der Verbindung zu Israel, ich muß jetzt immer daran denken, wenn ich nach Bet Shearim gehe, Sarkophage gucken. Eine Geschichte, die so hirnrissig ist, daß man, wenn man einmal angefangen hat und Lese-Omnivor ist, einfach weiterlesen muß. Trainwreck nennt man sowas im Internet? Es ist gräßlich, aber man muß hingucken. Überhaupt Zeitreise-Bücher – schlimm, schlimm.
Ich hab das mittlere Buch angekreuzt, weil ich das selbst nicht lesen würde :-)
26. Oktober 2010 um 12:53
guilty pleasure trifft es sehr gut.
Rein interessehalber (ich verbinde Pearl S. Buck mit Schulzeit): was ist falsch an ihr?
26. Oktober 2010 um 15:22
Falsch? Eigentlich nichts. Sie hat ein interessantes Leben mit ein paar zentralen Themen, die sie in ihrem Werk in leicht lesbarer Sprache variiert. Große Literatur ist es dadurch noch nicht. Einige ihrer Bücher sind gute Unterhaltungsliteratur – Ostwind-Westwind ist ein hübsches kleines Buch, das ich als Heranwachsende gern gelesen habe. Die gute Erde hat einen gewissen “epischen Atem”. Ich habe nicht alle ihre Bücher gelesen, obwohl ich mein Jahr in einem Internat dazu benutzt habe, die dortige Bücherei abzugrasen und Madame Buck dort gut vertreten war. Die Biographie über die letzte Kaiserin war auch noch okay, ebenfalls ein paar Kurzgeschichten (eindrucksvoll fand ich die Geschichte über den armen Schneider).
Aber das sind, soweit ich es übersehen kann, die Gipfel ihres Schaffens. Sehr viele ihrer Bücher sind reines Füllwerk, voll Klischees, und wandeln das Thema von Ostwind-Westwind mit immer neuen Konstellationen ab. Die jungen Damen sind schön und blütenzart, die jungen Männer herb und wollen in den Westen, die älteren Damen sind fett und stecken sich gezuckerte Sesamplätzchen in die tratschenden Münder. Die Revolution ist Stichwortgeberin für Seelenprobleme, so wie in Von Winde verweht der amerikanische Bürgerkrieg emotionale Krisen der Protagonisten heraufbeschwört.
Kriterien für gute Literatur sind schwer zu definieren, bestimmt nicht von mir – aber meinem laienhaften Urteil nach hat sie nie einen Charakter tiefer erfaßt oder die englische Sprache so behandelt, daß sie neu klingt. Ich erinnere mich an ein paar Landschaftsbeschreibungen (die Flut in der Guten Erde), an eine emotional starke melodramatische Szene (der Selbstmord der Ersten Frau in der gleichnamigen Novelle), aber meist schreibt sie im Konversationston. Wenn wir an Kafkas Metapher von der Axt im gefrorenen Meer denken – bei Buck kratzt nicht mal ein Silbermesserchen an meinen inneren Eisschichten.
Sigrid Undset hat auch den Nobelpreis bekommen und ist ebenfalls keine riesige Nummer, aber ich finde, Buck ist zu Unrecht bekannter als sie. Ich kann sie nicht in der Originalsprache lesen und die Übersetzungen zeigen wohl nur unzureichend, was sie mit dem Norwegischen gemacht hat, aber ich will mir ihre Bücher noch mal vornehmen. Ich habe den Verdacht, daß sie um Klassen besser ist als Buck. Jedenfalls steht mir ihre Kristin Lavransdatter als Charakter wesentlich klarer vor Augen, auch nach Jahrzehnten der Lektüre, als Bucks zwitschernde Damen.
Ich wüßte zu gern mal, nach was für Kriterien dieser Preis überhaupt vergeben wird… wäre gern mal Fliege an der Wand, wenn die Kandidaten gesiebt werden.