Es ist sehr einfach, sich über das Darstellungsbedürfnis seiner Mitmenschen lustig zu machen – das weiß ich, weil ich es selbst ständig tue.
Der Tagesspiegel stilkritisiert den „unheimlichen Trend zu Outdoorkleidung“, also die Heerscharen von Deutschen, die ihren Weg zum Nanga Parbat anscheinend gleich auf dem Münchner Marienplatz antreten.
Sie wissen: diese sündhaft teuren Spezialklamotten, gemacht für hochalpine Witterungsbedingungen oder Arktisexpeditionen von Herstellern wie North Face, Vaude, Jack Wolfskin, Patagonia oder Wellensteyn. Wasserabweisende, atmungsaktive Anoraks mit abnehmbaren Pelzkrägen, UV-Strahlenschutz, hunderttausend versteckten Taschen und Reißverschlüssen, mit Unterarmventilation und strahlenabweisender Handytasche.
Kaum liegt der Spekulatius in den Supermarktregalen sind sie überall: in der
U-Bahn, der Imbissbude, der Fußgängerzone, im Kino, im Park, sogar im Kindergarten und auf dem Spielplatz. Im Wendland lief jüngst die halbe Führungsriege der Grünen in den Jacken mit dem Tatzen-Logo auf. Eine Kollegin, die kürzlich über den Berliner Alexanderplatz lief, zählte bei einer einzelnen Überquerung 47 Jack-Wolfskin- und 14 North-Face-Jacken. Wahnsinn!
Ich musste umgehend an SUV-Automodelle denken, bei deren Anblick ich unschlüssig bin, ob sie als Panzer für den nächsten Russlandfeldzug fungieren sollen oder die Fahrerin vielleicht ja direkt von ihrer Alm auf dem Reisberg bei Lippertshofen angefahren kommt. Denn, so denke ich mir, niemand wird doch wohl diese spritsaufenden Scheußlichkeiten ohne schmerzliche äußere Zwänge kaufen. Auch dieses Jahr allerdings sprechen die Geschäftszahlen von Porsche eine andere Sprache: Am besten verkauft sich der SUV des Herstellers. So viele Almbewohner, Försterinnen und Privatarmeen gibt es in der deutschen Bevölkerung ganz sicher nicht.
Die einfachste Erklärung: Die Leute wollen doch bloß spielen. Sie verkleiden sich als Darsteller in einer imaginären Szenerie, mit der sie positive Gefühle verbinden. Letzte Woche begegnete ich einem Grüppchen junger Punk-Darsteller im Untergeschoß des Marienplatzes: So perfekt bis ins letzte Detail durchgestylt hätte sich das vor gut 30 Jahren Vivienne Westwood nie ausdenken können.
Oder all die Menschen, die sich ausstaffieren, als wären sie gerade auf dem Weg zu ausgiebiger sportlicher Betätigung: Glänzender Trainigsanzug, blitzblanke Joggingschuhe, gerne kombiniert mit einer Pilotenarmbanduhr. (In München treffe ich sie vor allem in der Umgebung des Hauptbahnhofs an.)
Die Großstadtmenschen wiederum, die sich draußen in den Spitzenentwicklungen von Textilingenieuren für Outdoorkleidung mögen, fühlen sich wahrscheinlich von Werten wie praktisch, nützlich, sinnvoll angezogen und wollen sich von einer eigens dafür definierten Oberflächlichkeit abgrenzen.
Ich bin doch auch nicht besser. Werfe mir im Frühwinter Umhänge über, die man eigentlich aussschließlich in – äh – Mantel- und Degenfilmen erwartet, und bevorzuge auch sonst Kleidungsstücke, die mich an Filme erinnern.
Was uns alle, alle verbindet: Freiheit und Wohlstand. Wir leben in einer Gesellschaft, die uns den Raum für diese Schauspiele lässt. Keine Sittenpolizei nimmt uns fest, keine Standesordnung begrenzt Farben oder Stoffvarianten unserer Kleidung. Und wir müssen uns schon lange keine Sorgen mehr darum machen, ob wir uns überhaupt witterungsadäquat bedecken können – auch dann nicht, wenn ein Outfit gerade in der Wäsche ist.
Ist doch eigentlich schön, nicht? (Und jetzt von Herzen weiterlästern.)