Die Zukunft des gedruckten Buches
Sonntag, 28. November 2010 um 13:56Im Merkur hat Kathrin Passig sehr Kluges zur Zukunft des gedruckten Buches geschrieben: „Das Buch als Geldbäumchen“.
Darin blickt sie auf ihr eigenes gewandeltes Verhältnis zum Buch zurück, macht sich – wie immer angenehm sachlich und unaufgeregt – Gedanken über die heutige Funktion von Büchern und skizziert, welche Formen die Veröffentlichung und die Rezeption von Texten in naher Zukunft annehmen werden.
Ich muss ja immer schmunzeln, wenn mal wieder jemand, meist ein Feuilletonist einer großen Tageszeitung, versichert, das physische Umblättern beim Lesen inklusive der Haptik und Olfaktorik, sei nunmal ein grundmenschliches Bedürfnis, alles andere verursache Unbehagen und werde sich deshalb nie durchsetzen. Das ist doch lediglich erlerntes Kulturverhalten. Selbst gehöre ich noch ganz zur Lesegeneration, die sich am wohlsten mit einem papierernen Buch fühlt, das ich im Bett, im Zug lese. Doch mir ist sehr bewusst, dass das einfach zu meiner Kultur gehört, ähnlich wie meine Essvorlieben (vergorene Kuhausscheidung: lecker; geröstete Insekten: eklig). Und ich habe förmlich den Unterbibliothekar von Alexandria vor Augen, der am Anfang unserer Zeitrechnung mit seinen Kollegen über diesen neumodischen „Codex“ ablästert, der sich gegenüber den verbrieft praktischen Schriftrollen niemals durchsetzen werde: Zu umständlich das Blättern, diese Präsentation von Text in seitenweisen Häppchen, wo man doch in einer Schriftrolle flüssig und ohne Unterbrechung scrollen kann.
So weit wie bei Passig ist mein Verhältnis zum gedruckten Buch einfach noch nicht. Zwar ist seit einigen Jahren mein Bedürfnis verschwunden, jedes gelesene Buch auch zu besitzen: Ich gebe alles weg, was mir nicht zum Nachschlagen dient oder ich nicht sicher ein weiteres Mal lesen werde. (Das hat die Bücherregale chez Kaltmamsell allerdings nicht leerer gemacht, da ich sie mit einem leidenschaftlichen Sammler teile; es schrumpft lediglich mein Anteil am gemeinsamen Buchbesitz.)
Aber noch kaufe ich jedes Buch, das ich lesen möchte, wenn auch durch Online-Merkzettel erheblich disziplinierter als noch vor ein paar Jahren, nämlich nicht mehr auf Vorrat.
Auch der Mitbewohner und ich stehen schon seit einiger Zeit vor dem Problem, dass wir ausgemusterte Bücher sehr schwer loswerden – nicht mal geschenkt. Institutionen wie Krankenhäuser oder Stadtbüchereien, die noch vor zehn Jahren als sichere Abnehmer galten, nehmen nichts mehr an. Das ist nur ein Symptom, dass Frau Passig mit ihrer Prognose Recht haben könnte.
die Kaltmamsell25 Kommentare zu „Die Zukunft des gedruckten Buches“
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28. November 2010 um 14:28
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Gerne gelesen
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28. November 2010 um 14:29
Den Absatz habe ich mit besonderem Interesse gelesen:
(…)”Da ein Buch eine bestimmte Mindestlänge haben muss, ist Füllmaterial im Buch gebräuchlicher als in Onlineveröffentlichungen. Die Ideenmenge in einem handelsüblichen Sachbuch scheint mir der von etwa drei bis zehn Blogbeiträgen zu entsprechen” (…)
Das erklärt, wieso ich bei dem letzten Sachbuch das Gefühl hatte, ich lese manche Kapitel zum dritten Mal, nur anders formuliert.
(Was für luxuriöse Zeiten wir doch haben, fällt mir gerade auf. Aus Konsumentenperspektive waren wir noch nie auf einem höheren Level.)
28. November 2010 um 15:39
Ich hab seit ein paar Wochen so ein E-Book-Lesegerät. Ein fesselndes Buch vorausgesetzt, gibt es keinen Unterschied zwischen Lesen auf Papier und Lesen auf so einem Maschinchen. Eine Seite umblättern oder einen Knopf drücken… wenn einen eine Geschichte gefangen genommen hat, merkt man doch gar nicht mehr, dass man blättert oder drückt.
28. November 2010 um 17:06
Der Text von Frau Passig ist gut. Zumindest soweit wie ich kam.
Ich hab nach einem Drittel keine Lust mehr gehabt, das alles am Bildschirm zu lesen und daher den ganzen Text (zum später in Ruhe lesen) – ausgedruckt.
28. November 2010 um 17:49
Gerade habe ich, per e-Mail, einen Weihnachts-Wunschzettel in Richtung Eltern geschickt. Überwiegend Bücherwünsche. Auch ich lese am liebsten immernoch von Papier und die Bücherregale platzen aus allen Nähten.
Versuche, Aussortiertes auf dem Flohmarkt loszuwerden, waren in den letzten Jahren nicht mehr von Erfolg gekrönt. Seit einiger Zeit stelle ich jedoch eine Kiste mit Büchern einfach in den Flur, wo Publikumsverkehr herrscht, versehen mit der freundlichen Aufforderung, zuzugreifen. Da geht überraschend viel weg.
Im Freundeskreis wurde neulich spaßeshalber der gemeinsame Kauf eines Häuschens zur Unterbringung der privaten Bibliotheken diskutiert.
28. November 2010 um 18:22
@razza
solche seitenbreit formatierten Texte am Bildschirm zu lesen, ist in der Tat anstrengend bis unerträglich. Ich passe vor dem Lesen das Fenster auf eine mir angenehme, relativ schmale Spaltenbreite an und zoome die Ansicht insgesamt größer. Den Klapprechner im richtigen Winkel und dann zurücklehnen. Der Vorteil von Büchern gegenüber Monitoren ist eher die größere Variabilität von Abstand und Winkel des Textes, den man vor sich hat. Verändert man die Körperhaltung komplett, geht das Büchlein mit. Aber das müsste ja auch mit diesen E-Books gehen. Wenn wir erst alle so ein Ding haben, reden wir weiter. Dann sieht es wahrscheinlich ganz anders aus (ich hab so was auch noch nicht).
28. November 2010 um 18:51
Danke, ein sehr guter Artikel, der mich getröstet hat. Ich bin nicht alleine, und Kathrin Passig hat sogar eine gute Erklärung dafür, dass sie und ich weniger Bücher lesen.
Ich leihe in letzter Zeit sehr viel aus der Bibliothek aus. Man kann die Bücher einfach wieder zurückbringen! Toll!
28. November 2010 um 19:01
Habe ich auch gemacht, Gaga, Fenster verschmälert bis bequem lesbar – das geht halt mit dem Ausdruck nicht, der mich bei einem so breiten Textfluss wahnsinnig gemacht hätte.
Nun habe ich ja ein Ipad im Haus, den des Mitbewohners. Ich sollte mich endlich mal dazu zwingen, ein Buch darauf zu lesen. Denn theoretisch stelle ich es mir sehr angenehm vor, statt mit sieben Büchern lediglich mit einem Lesegerät in einen einwöchigen Urlaub zu fahren.
28. November 2010 um 20:43
“Denn theoretisch stelle ich es mir sehr angenehm vor, statt mit sieben Büchern lediglich mit einem Lesegerät in einen einwöchigen Urlaub zu fahren.”
— DAS ist wahr! Genau das habe ich immer als einzigen Vorteil des E-Books gegenüber Büchern angegeben. Im letzten (zweiwöchigen) Urlaub waren es vierzehn. Ich hab darauf geachtet, dass es nur Taschenbücher sind.
Aber ich seh (widerwillig) inzwischen sogar mehr als nur diesen einen Vorteil.
noch ein Vorteil: schnelles Wiederfinden von bestimmten Absätzen durch Suchfunktion (also – das nehm ich an, dass das geht … wär ja bescheuert wenn nicht) Das ist sogar ein gigantischer Vorteil.
noch ein Vorteil mehr: (betrifft 400-seitige Sachbücher, bei denen im Register bei jedem Begriff 30 verschiedene Seitenzahlen angegeben sind) man gelangt wahrscheinlich wesentlich komfortabler an die betreffenden Stellen. Das wird nämlich anstrengend, dieses blinde Anblättern.
@Gaga, @Kaltmamsell
Ihr habt recht – der breite Textfluss macht einen auch auf dem Ausdruck wahnsinnig (und vor dem Drucken in Spalten setzen geht dann doch zu weit) Danke für die Idee mit dem verschmälerten Fenster. Die ist gut. Und trotzdem: Ich les am Bildschirm einfach anders als auf dem Papier. Am Monitor werd ich schnell ungeduldig.
Aber ich nehm an, dass E-Book-Bildschirme NOCH etwas anderes als Monitore sind.
Und solange ich so ein Ding nicht in der Hand hatte, sollte ich vermutlich auch nichts weiter dazu sagen. Bin jedenfalls gespannt – für Sachbücher ist das wahrscheinlich gar nicht schlecht.
28. November 2010 um 21:00
huch, da habe ich doch vor kurzem was zum gleichen thema gelesen: http://miumeu.twoday.net/stories/6383976/
aber mein buecherregal bleibt immer noch unangetastet. meine buecher waeren sowieso schwer weiterzuvermitteln, da ich gelegentlich mal drin rumkritzele und ausserdem statt lesezeichen zu verwenden die obere ecke umbiege. fantastisch dann der zufall, wenn ich beim mehrfachlesen an genau derselben stelle aufhoere! zeitmaschine quasi. (so wie mich buecher auch sonst sehr an das drumherum im moment des lesens erinnern. das feature kann ich mir beim lesegeraet noch nicht so recht vorstellen. aber ich hab’s ja auch noch nicht ausprobiert.)
28. November 2010 um 21:59
Ich bin gerade zu dem Schluss gekommen, dass ich alle Bücher, die ich nur ein Mal lesen werde (Krimis etc.), genausogut elektronisch lesen kann und dass es auf Dauer billiger kommt, einen EBook-Reader zu kaufen als immer neue Regale (vom bald wieder fehlenden Platz dafür mal ganz abgesehen).
Auch ein Umzug führt einem schön vor Augen, dass Bücher auf Dauer in eine Sackgasse führen, wenn man denn hinreichend viel liest.
Aber Bücher von Lieblingsautoren, von denen ich schon weiß, dass ich sie mehr als ein Mal lesen werden, die will ich auch mit schönem Einband besitzen, da bleibe ich altmodisch.
28. November 2010 um 23:51
Ööööh, ihr sucht Abnehmer für alte Bücher…????? :-)
Ich kann mir nicht vorstellen, mein feines liebes altes Bücherlesen aufzugeben. Bin von Grund auf anhänglich an alte Gewohnheiten…
29. November 2010 um 0:44
Sich gerade im Urlaub von einem Gerät abhängig machen, das ausfallen kann?
29. November 2010 um 1:17
ha! jetzt habe ich das erste mal ein gutes argument für ein solches lesegerät gesehen: nur eines an stelle von 7 büchern!! das ist ja quasi genial!!
auf der anderen seite verlangt es mein persönlichkeitsprofil jedoch, dass ich ein gelesenes buch weglegen, also sozusagen abhaken kann.. hmm..
29. November 2010 um 10:33
Ich kann auch schon längst nicht mehr jedes ausgelesene Buch in meine Regale stopfen und habe gelernt, dass man sich am besten sofort nach dem Lesen davon trennt, später tut es mehr weh. Also verkaufe ich bei Amazon, da freut sich jemand, wenn er ein Schnäppchen macht und die nicht mehr geliebten Altbestände kommen zur Lions-Sammlung. Trotzdem werde ich, solange ich lesen kann, immer wieder Bücher kaufen und kein Lesemaschinchen.
29. November 2010 um 10:52
Mir war der Artikel auch zu lang für am Bildschirm, und ausserdem löscht der Online Merkur den Kram ja wieder. Ich habe mir deshalb gleich ein epub daraus gebastelt und auf den Reader geschoben…
29. November 2010 um 11:48
Für den Strand und die Luftmatratze kann ich mir ein Lesegerät nicht vorstellen. Auch ich lese mittlerweile weniger Bücher, aber das hat mehr mit Zeitmangel zu tun, da wird mir auch die Elektronik nicht helfen. Ich denke, besondere Editionen wie z.b. aktuell die Buch-Blechbüchse über den Ratinger Hof oder Bildbände wird man immer sammeln. Digitale Medien sind mir schon zu oft verloren gegangen.
29. November 2010 um 15:39
Naja, wenn man den ganzen Tag Bildschirmarbeit macht, geht das schon auf die Augen und befördert so eine Schildkrötenhaltung, HWS-Probleme, Mausarm etc. Zur physischen Erholung les ich gern was auf Papier dazwischen. Und als Lektorin ist es immer noch so, dass lange Texte einmal im Ausdruck korrekturgelesen werden müssen, Rechtschreibprüfung hin oder her. Es wird alles etwas schlampiger, je weiter man sich von alten Setzer-Regeln entfernt.
Was mir fehlt, ist allerdings die Suchfunktion im Analogen. Aber auch da wird man ja immer bequemer, denn man muss sich nichts merken, was sich googeln lässt. Rückverdummung oder zunehmende Wissensgeschwindigkeit?
Was mir nicht fehlt, ist mein erster Beruf als Buchbinderin. Sonst wär ich ja wohl schon ausgestorben… Glück gehabt. (?!)
29. November 2010 um 21:27
@ Gaga
Wem das Lesen am Bildschirm zu anstrengend ist: readability. http://lab.arc90.com/experiments/readability/
29. November 2010 um 21:37
Und noch eins: Das Lesen auf dem iPad wird die digitale Lesehaltung verändern im physischsten Sinne, weil das gekrümmte Sitzen am Schreibtisch wegfällt. Das ist wie der Unterschied zwischen knallhartem Frontallicht beim Blitzknipser und schön sanft ausgeleuchtet werden. Wait, touch and see.
Ich kann das Ende der Papierflut kaum abwarten, so »haptisch schön« es auch früher war. Druckfarbenallergie. Ich will einfach nur noch weg vom Schreibtischmonitor. Lesen bedeutet, die Beine anzuziehen und die Gedanken zu kräuseln.
29. November 2010 um 22:22
Die Welt ist voller großartiger Erfindungen, und es werden immer mehr. Danke! Ich lese übrigens eher im Liegen, als im Sitzen bzw. sehr bequem und variabel. Zurückgelehnt und Beine ausgestreckt auf einem großen Bodenkissen, die Wand im Rücken weich gepolstert. So ist fast jede entspannte Position möglich. Monitor vom Notebook relativ weit weg, der Arm liegt faul auf einem anderen Kissen und bedient die Maus. Nur wenn ich einen Text oder diesen Kommentar schreibe, ist die Postion vorübergehend ein bißchen wie Sitzen.
30. November 2010 um 11:44
Hier wird ja der Abgesang des Buches ganz schön gefeiert und damit das Erbe Gutenbergs (nein, nicht der Minister, sondern der Erfinder des Buchdrucks :)) )
und ebenfalls der einer ganzen Zunft. Ich stell mir schon die nächste Generation vor, die mit einem Reader in der Küche steht und das Rezept abliest: huch und dann kocht was über und der Reader ist hin, oder aber der Reader kann schon selber kochen.
30. November 2010 um 12:48
Ach, philine, wie schlussfolgert Kathrin Passig so schön:
“Die Welt – oder jedenfalls der Teil der Welt, der sich mit Texten befasst – wird durch diese Veränderungen weder besser noch schlechter. Manches wird einfacher, anderes schwieriger, Geschäftsmodelle entstehen und vergehen, und oft genug findet das alles im selben Menschen statt.”
30. November 2010 um 20:23
ach, ich nehm an, es ist wie mit dem Navi:
nützlich bis ungeheuer bereichernd – aber doch kein Grund, den Atlas wegzuwerfen!
Für mich jedenfalls. Ich kenne Dutzende, die genau das tun, bzw. der Meinung sind, Kartenmaterial ist von gestern. Dabei bedeutet Intelligenz und Fortschrittlichkeit doch eigentlich, einschätzen zu können, WAS genau WELCHE Vor- und Nachteile hat und WAS man daher WANN einsetzt.
30. November 2010 um 20:31
Meines Erachtens dient dieser Pseudo-Strang doch nur dazu, um Nebelkerzen zu werfen, und geschickt von der völligen Verdrängung der Schriftrolle abzulenken. “die Schriftrolle galt aber noch im 6. Jahrhundert als Symbol für klassische Bildung” (!) Dagegen sollte man auf die Barrikaden gehen. Aber von den untergegangenen Pergamentrollendynastien unserer Vorväter will heute niemand mehr etwas wissen. Immer schön unter den Teppich kehren! Immerhin hat Frau Kaltmamsell ja in einem Nebensatz zugute gehalten, dass der Kodex auch nicht der Weisheit letzter Schluss gewesen sein kann. Letztlich sehe ich in der neuen Technik immerhin eine Reminiszenz an die ehrwürdige Schriftrolle, da wenigstens wieder zur bewährten Rolltechnik übergewechselt werden kann.