Von der Eingangshalle des Erlebnisschwimmbades aus nahmen uns Herr Trainer und Frau Trainerin mit in ein kleines Besprechungszimmer (vorbei an einem Plakat, das einen „Sauna-Abend Las Vegas!“ ankündigte). Ein Blick in die Runde ergab: fünf Männer und mit mir vier Frauen. Die Vorstellungsrunde bestätigte alle meine Ahnungen: Einer nach der anderen zählte auf, an welchem Triathlon sie mit welchem Ergebnis teilgenommen hatten: „Aber gefinisht, das ist ja das wichtigste.“ – „Bloß sechs Sekunden haben gefehlt, und ich wäre in Hawaii dabei gewesen!“ – „Wir haben uns doch im Mai in Weiden kennengelernt, oder?“ – „War ziemlicher Aufwand, den zu veranstalten, aber für nächstes Jahr habe ich schon wieder ein paar Sponsoren.“ – „Mei, bei mir ist halt wie bei den meisten“ – verbrüdernder Blick in die Runde – „Schwimmen die schwächste Disziplin.“ Bei solchen Gelegenheiten hält sich üblicherweise eine ganze Brigade an Teufeln bereit mich zu reiten, glücklicherweise machte diesmal ein harmloser das Rennen. Als die Reihe an mir war, führte ich also wahrheitsgemäß als Referenz den Babyschwimmkurs an, den ich im Alter von einem halben Jahr im örtlichen Steylerbad absolviert hatte, und dass ich seither praktisch nicht mit dem Schwimmen aufgehört hätte. Dass ich dieses aber bitte gerne verbessern wolle.
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Kraulschwimmen hat mir in den vergangenen Monaten immer mehr Spaß gemacht, am liebsten schwömme ich meine wöchentlichen 3.000 Meter ausschließlich kraulend. Doch nach spätestens 1.000 Metern schmerzt meine linke Schulter, was ich auf unsymmetrischen Bewegungsablauf zurückführe, sehr wahrscheinlich bedingt durch den Umstand, dass ich nach jedem zweiten Schlag atme, und zwar immer nach rechts. Versuche ich nur alle drei Schläge zu atmen, bekomme ich nicht genug Luft, atme ich ausschließlich nach links, geht es mir ebenso. Meinem ähnlich bewegungsfreudigen Bruder hatte ich dieses Dilemma vor einigen Monaten geklagt, und so hatten er und meine Eltern mir zum Geburtstag Ende August einen zweitägigen Kraulschwimmkurs geschenkt. Worüber ich mich sehr freute.
Allerdings schwante mir schon bald, dass ich in diesem Kurs von lauter jungen, knackigen Triathleten umgeben sein würde: Wer sonst als diese Hobbyleistungssportler möchte dringend sein Kraultempo erhöhen (Schwimmen ist tatsächlich die schwächste Disziplin der meisten Triathleten, die fast alle vom Radfahren und vom Laufen kommen) und ist bereit, zwei Tage dafür zu investieren?
Ich habe während dieses Wochenendes eine Menge gelernt, nicht nur, wie ich meinen Kraulstil verbessern kann. Im Folgenden meine Erkenntnisse in komplett unzulässiger Verallgemeinerung.
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Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen hatten dann entspannenderweise alle etwa mein Alter, ich war allerdings die einzige, die ganz einzeln und ohne Freunde / Partnerin da war. Vielleicht steckt hier schon die erste Erkenntnis: Hobbyleistungssportler tun Dinge gerne zu mehreren. Alle waren warm und freundlich zu mir und schlossen mich trotz meiner absonderlichen Herangehensweise ans Schwimmen in ihre Gespräche und ihren Austausch ein. Auffallend und angenehm war auch, dass während der beiden Tage nie die Berufstätigkeit der Schwimmschüler angesprochen wurde, das interessierte einfach nicht. Die Ausnahme waren die Trainer: In ihrem Fall deckten sich nunmal Leistungssport und Beruf.
Zweitens: Hobbyleistungssportler lieben Zahlen. Nicht nur einer hatte Vergnügen daran, die bei den Übungen geschwommenen Meter zusammenzuzählen und regelmäßig den Zwischenstand zu melden. Und als der Trainer für die Videoanalyse (wir wurden an beiden Tagen über sowie unter Wasser gefilmt) seinen Rechner startete, prangte auf seinem Desktop das Programm „Laktatanalyse“. Was direkt führt zu
Drittens: Hobbyleistungssportler lieben Gadgets. Ein Teilnehmer stand minutenlang im Zentrum des Neids, als er seinen Bahnenzähler in Form eines Rings für den Zeigefinger vorzeigte: Bei jeder Bahn drückt man mit dem Daumen auf einen Knopf und bekommt anschließend umfangreiche Auswertungen. Oder all das Spielzeug, mit dem wir an den beiden Tagen übten: Flossen, Schwimmbretter, Polster, Zugseile. Auch ich bekam wertvolle Gadget-Tipps. Als ich nämlich durch eine entsprechende Übung festgestellt hatte, dass mein Bewegungsablauf beim Kraulen nahezu perfekt ist, wenn ich gar nicht atme, scherzte ich, dass ich also lediglich einen passenden Schnorchel finden müsse. Den gibt es natürlich längst, wie mich die Trainerin informierte, für Langstrecken im freien Wasser: Eine Schwimmbrille mit Mundstück und einem Luftrohr, das nicht wie beim Tauchen seitlich, sondern über der Nasenwurzel nach oben führt. Sie nannte mir auch zwei Sportgeschäfte, in denen ich solch eine Apparatur kaufen könne. Ich merkte mir diese erst gar nicht, war ich doch sicher, dass das Internet sowas ebenfalls hergibt. Nur dass ich jetzt nirgends eine finde.
Viertens: Hobbyleistungssportler brauchen Veranstaltungen als Bewegungsanreiz. Ausmaß, Frequenz und Art der Bewegung werden auf die Teilnahme an Wettbewerben abgestimmt, nicht etwa auf Wetter, Laune, Umgebung. Mein reines Genusssporteln war den anderen Schwimmschülern fremd. Es half ihnen, mich als Langstreckenschwimmerin einzuordnen. Und ihr Wohlwollen äußerte sich darin, mir auch dafür Veranstaltungstipps anzubieten: Es gebe doch am Chiemsee und an weiteren bayrischen Seen See-Überquerungen als Wettbewerbe, das wäre doch was für mich. Ich dankte für den Hinweis, zumal ich es mir durchaus schön vorstelle, einen großen See schwimmend zu überqueren. Nur, musste ich den Tippgebern bescheiden, würde ich zu diesem Zweck halt zu dem See fahren und rüberschwimmen. Am wenigsten gern täte ich dieses gleichzeitig mit mehreren Hunderten weiteren Schwimmern.
Fünftens: Hobbyleistungssportler tragen ihren Lesestoff auf T-Shirts bei sich. Die Schwimmschüler trugen außerhalb des Beckens über der Badehose Leibchen, die sie für die Teilnahme an einem Triathlon bekommen hatten. (Ich hatte einen Bademantel mitgebracht: ganz falsch.) Auf diesen standen nicht nur Titel und Datum der Veranstaltung, sondern auch einige Dutzend Sponsoren. Diese Aufschriften lasen sie einander vor und unterhielten sich dann darüber – der Text auf dem Leibchen eines Neuankömmlings am zweiten Tag bot Gesprächsthemen für eine ganze halbstündige Kaffeepause.
Sechstens: Hobbyleistungssportler sind nicht sehr belastbar. Bis dato hatte ich angenommen, dass diese Menschen ununterbrochen mit den Hufen scharren und sich möglichst viel bewegen wollen. Dass sie sich zudem am liebsten als harte Hunde geben. Doch die Schwimmschüler und -schülerinnen begannen schon nach wenigen Übungen Erschöpfung zu markieren und verhandelten um die Anzahl weiterer Wiederholungen; es wurde über ein Ziehen hier und ein Schmerzchen dort geklagt. Am Morgen des zweiten Tages hätte man meinen können, die Truppe habe einen kompletten Ironman-Triathlon absolviert, so geschunden und wund gab sie sich. Na gut, eventuell war ich tatsächlich diejenige Teilnehmerin, die in den vergangenen Monaten am meisten geschwommen ist. Dennoch passte das Verhalten nicht recht zum Brusttrommeln in der Vorstellungsrunde.
Siebtens: Hobbyleistungssportler benutzen nicht nur Fachwörter, sondern auch Fachaussprachen. Fachwörter gehören selbstverständlich zu jedem Nerdtum, und die der Sportelnerds sind nicht mal besonders abstrus. „Abschlagschwimmen“ kann man sich zum Beispiel fast selbst erschließen. Der Ehrentitel „First out of Water“ hingegen erheiterte mich sehr – ich wollte gar nicht wissen, was das genau ist. Sonderaussprachen kenne ich ja bereits aus der Aerobicstunde (z.B. den V-förmigen „We-Step“). Das Gegenstück im Schwimmtraining ist die Pull Buoy (also Zieh-Boye): Dieses Kissen, das man zwischen den Oberschenkeln festklemmt, wird ausgesprochen als handle es sich um einen Schwimmbecken-Burschen, also „der Pool Boy“.
Achtens: Hobbyleistungssportler haben eine bessere Koordination als ich. Zumindest war ich die einzige, die es fertigbrachte, so heftig mit der Stirn gegen den Beckenrand zu schwimmen, dass ich anschließend vorsichtshalber die Vollständigkeit meiner Zähne prüfte. Jetzt Beule.
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Nach etwa neun Stunden im Wasser, vier Videoauswertungen und von anderen gezählten gut 6.500 Metern Übungen habe ich jetzt eine lange Liste mit Details, die ich an meiner Kraulerei verbessern kann – inklusive der Übungen, mit deren Hilfe ich sie hoffentlich verinnerliche. Ich kann kaum erwarten, damit anzufangen. Ehrlich!