Quentin Crisp, The Naked Civil Servant
Mittwoch, 3. November 2010 um 6:44Aber sicher kennen Sie alle Quentin Crisp: Das ist der alte Herr, der im Video zu Stings „Englishman in New York“ fast häufiger im Bild zu sehen ist als Herr Sting selbst. (Nein, das YouTube-Video dürfen wir in Deutschland nicht sehen. Deshalb ein Link zum Video auf Daily Motion.)
Quentin Crisp wurde 1908 in Südengland geboren und war eine schrille Gestalt (möglicherweise wurde diese Bezeichnung eigens für ihn erfunden). 1968 veröffentlichte er seine Autobiografie The Naked Civil Servant. Darin beschreibt er, wie er als junger Bursche seine Homosexualität entdeckte, sich bis ins Mark dafür schämte und in einer unwiderstehlichen Purzelbaum-Logik beschloss, sich fortan so zu verhalten und herauszuputzen, dass absolut niemand Zweifel an ihr haben konnte. Womit ich diese Umstände allerdings erheblich schlüssiger zusammengefasst habe als Crisp selbst sie beschreibt. Denn: Zu den vielen Dingen, die dieser bezaubernde Mensch nicht wirklich gut kann, gehört das Schreiben – wie er selbst auch nicht müde wird zu versichern und damit zu belegen, wie oft er vergeblich versucht habe, Selbstgeschriebenes zu veröffentlichen. Aber das macht überhaupt nichts: Crisp ist ein Meister der Bonmots; sein Lebensrückblick dient in erster Linie dazu, möglichst viele wundervoll elaborierte Formulierungen unterzubringen. Kein Wunder, dass dieses Büchlein in unserem Haushalt landete, weil der Mitbewohner Quentin Crisp aus seinem Penguin Book of Modern Humorous Quotations kannte.
Crisp gibt freimütig zu, dass er nichts so richtig kann, nicht mal in einem Maß, das ihm einen Gelderwerb sichern würde. Seine Begabung, so stellt er schon in jungen Jahren fest, lag nicht in doing, sondern in being, doch es dauerte sehr lange, bis er davon leben konnte.
Er führt uns durch das halbseidene London der 20er und 30er, durch Schwulencafés und Boheme-Spelunken, durch die damals prosperierenden Werbeagenturen, die ihm hin und wieder Arbeit gaben. Und Crisp teilt mit uns den Spaß, den ihm der Ausbruch des 2. Weltkriegs bereitete.
Viele seiner Beobachtungen sind klarsichtig, viele allerdings himmelschreiender Blödsinn – Hauptsache sie klingen gut. Schließlich war Crisp nach eigener Beschreibung „a shallow and horribly articulate personality“. Einige Beispiele:
Mit Mitte 30 findet Crisp sich zu seiner großen Überraschung mal wieder in echtem Lohn und Brot, und zwar in einem Verlag:
Finding it impossible to take any further interest in myself because I had exhausted all the potentialities of my character, I decided, since I was suddenly surrounded by new people in a new setting, that I would try to devote some attention to them. It wasn’t easy.
Im Vorbeigehen merkt er an anderer Stelle an:
I never understood music. It all seemed to me to be the maximum amount of noise conveying the minimum amount of information.
Crisp interessiert sich sehr für Kinofilme. Doch die Diven der 50er enttäuschen den Verehrer von Brigitte Helm, Greta Garbo und Marlene Dietrich:
…there had to be a mechanical doll whose only recommendation was her infinite availability. The woman who came to embody this ideal to the full was Marilyn Monroe. Her directors persuaded her to flaunt her astonishing sexual equipment before us with the touching defencelessness of a retarded child. She was what the modern young man most desires in life – a mistress who could be won without being wooed. She was the football pool of love.
This was no kind of diet for anyone brought up on Rider Haggard.
The Naked Civil Servant ist ein ungelenkes, exzentrisches Buch. Es hat mir sehr gut gefallen.
(Auch zu lesen beim Common Reader.)
die Kaltmamsell3 Kommentare zu „Quentin Crisp, The Naked Civil Servant“
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3. November 2010 um 9:33
“Seine Begabung, … , lag nicht in doing, sondern in being …” – ich erblasse vor Neid, wie früh er dieses Talent an sich entdeckt und es nicht verleugnet hat.
3. November 2010 um 16:41
Das ist übrigens mal ein Film zum Buch der mir auch gefallen hat.
QUC hat übrigens die Theorie erfunden, die so ähnlich geht wie: wenn man 5 Jahre nicht putzt, wird der Dreck nicht mehr schlimmer. Radikal oder was?
3. November 2010 um 17:07
Ach, ilse, auch das beschreibt er im Grunde pragmatisch: Er habe beim Anziehen halt immer in seine Hose hüpfen müssen, damit sie nicht beim Schleifen auf dem Boden staubig wurde.