Gefühlsregie
Mittwoch, 22. Dezember 2010Übrigens: Nicht dass Sie glauben, mir ginge es substanziell besser. Ich lese die Fragen von Reverb, auf die Miss Caro, Coolcat und Anke antworten und merke, wie weit entfernt ich von einem auch nur durchschnittlich konstruktiven Grundgefühl bin.
Beispiele gefällig?
Body Integration. This year, when did you feel the most integrated with your body? Did you have a moment where there wasn’t mind and body, but simply a cohesive YOU, alive and present?
Bestes Körpergefühl 2010? Die Momente, in denen ich meinen Körper ein Weilchen vergessen konnte und nicht in der irrationalen Scham darüber gefangen war. Alive and present ist so ziemlich das letzte, was ich mich in meinem Körper fühlen will.
5 Minutes. Imagine you will completely lose your memory of 2010 in five minutes. Set an alarm for five minutes and capture the things you most want to remember about 2010.
Die Erinnerung an gesammelte Sekunden des Nichtdenkenmüssens und Nichtfühlenmüssens könnten auf fünf Minuten kommen.
Sie können sich jetzt vielleicht halbwegs vorstellen, welch peinliches Dauergewinsel in Dunkelgrau meine Beantwortung der gesamten Fragenliste ergeben würde.
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Andererseits hat mir letzthin ein konsultierter Neurologe gesagt, dass ich damit völlig in der Norm liege: Mein Geständnis, dass ich nicht gerne lebe, dass schon als Kind die Vorstellung von Nicht-Existenz alle anderen meiner Wünsche toppte, bezeichnete er als „Standardaussage“. Ebenso normal fand er mein Leiden darunter, dass ich mich schier unerträglich finde (und das ohne Fluchtmöglichkeit). Anscheinend bin ich lediglich schlau genug, mich unter Menschen zu mischen, denen es anders geht, die sich nicht ständig mit ihrer eigenen Gegenwart herumschlagen und beschäftigen. Die ja nun wirklich eine angenehmere Gesellschaft sind.
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Und überhaupt: Diese ganze Gefühlsregie. Ich fühle mich regelmäßig wie eine der Schauspielerinnen in der Fernsehsendung Schillerstraße. Nur dass in meinem Fall die Anweisungen aus einer inneren Regie kommen, die mich auf die üblichen Reaktionen in bestimmten Situationen hinweist.
Einen wichtigen Zwischenschritt meines größten Projekts hinter mich gebracht? Gefühlsregieanweisung: Tiefe Erleichterung, Plänefassen, Freude, Feierlaune. Leider mag sich mein Gefühlshaushalt nicht darauf einstellen und liefert statt dessen: Traurigkeit, Hibbeligkeit, Frust, Bedrückung. Für das äußerliche Verhalten sind die Regieanweisungen praktisch: Ich gebe den entsprechenden Anschein, so dass niemand in meiner Umgebung verstört wird oder sich Sorgen macht (und mich damit zusätzlich belastet). Doch nach innen bin ich genervt, weil ich schon wieder nicht angemessen fühle. Resultat: Zu Traurigkeit, Hibbeligkeit, Frust, Bedrückung kommen also auch noch Genervtsein samt Gereiztheit. Ergänzt durch die Anstrengung, niemanden darunter leiden zu lassen. Ein durch und durch lächerliches Elend.