München tiefgestapelt
Freitag, 7. Januar 2011 um 11:52Gemälde aus dem Mittelalter, Originale von alten Brunnenfiguren, Holzmodelle, Dioramen städtischer Wohnzimmer, Urkunden, repräsentative Kunstwerke aus mehreren Jahrhunderten – die ständige Ausstellung „Typisch München“ im Münchner Stadtmuseum (mein Umzug nach München jährt sich gerade zum 12. Mal – es wurde wirklich Zeit für einen Besuch) ist auf den ersten Blick, wie man sich eine stadthistorische Aussstellung halt erwartet.
Das Besondere ist der Tonfall der erklärenden Beschriftungen: Ich habe noch nie solch konsequentes Tiefgestapel in der Selbstdarstellung einer Stadt gelesen. Schon die meisten Gründungsmythen, die ich kannte, werden als Geschichtserfindung im Zuge des Nationalismus im 19. Jahrhundert entlarvt, freundlich und präzise. Heimatkundemuseen zeichnen sich doch sonst eher durch die Sammlung von Superlativen aus: Das weltweit erste Dings, Deutschlands größtes Trallala, der bedeutenste Hmpf seiner Zeit.
Mit der Gründung ihres Stadtmuseums im Jahr 1888 begaben sich die Münchner auf die Suche nach einer eigenen Vergangenheit. Es kam zu Konstruktionen, für die das moderne Wort der „erfundenen Traditionen“ gilt. Sie erweisen sich als Wunschvorstellungen, die für die Identität einer Stadt verbindlich werden können. Gezeigt werden diejenigen „Münchner Altertümer“, die sich aus der retrospektiven Sicht des 19. Jahrhunderts für das neue Verständnis einer standesstolzen Bürgerstadt vereinnahmen ließen.
Ebenso als Wunschvorstellung stellten sich die meisten Anekdoten heraus, die ich von Kindesohren an über Münchner Wahrzeichen und Brauchtum gelernt habe. Nein, der Schäfflertanz geht mitnichten auf eine überstandene Pestepidemie zurück. Große Bereiche des Museums könnten die Überschrift tragen: „Wie aus Brauchtum Folklore wurde.“
Mehr Tiefgestapel: Sehr deutlich machen Exponate und Erklärungen, dass Münchens Geschichte nicht besonders weit zurück reicht, dass Vororte wie Pasing, Allach oder auch Sendling erheblich stolzer auf ihr Alter sein können. Zahlreiche Beispiele belegen zudem, dass München architektonisch und kunsthandwerklich meist hinter vergleichbaren Orten herhinkte. Zu zwei Porträts aus dem 17. Jahrhundert heißt es explizit, die Dargestellten seien zu einem „wenig begabten Maler“ gegangen. Und wenn eine Figur oder Malerei bemerkenswert war, hatte sie ohnehin ein zugewanderter oder durchreisender Künstler geschaffen.
Die Strukturierung der Geschichte Münchens (Altes München, Neues München, Stadt München) brachte mich auf Erklärungen, wieso München heute so ist, wie es ist. Da wäre zum Beispiel die fast ausschließliche Prägung durch das Kurfürstentum und den Hofstaat bis zum Ende der Monarchie – im Gegensatz zur Prägung durch Zünfte, Hanse oder ein immer stärker werdendes Bürgertum in anderen großen deutschen Städten.
Massive Fehler in der Stadtplanung werden ebenso herausgestellt wie fragwürdige Setzung von Prioritäten. Natürlich erzählt die Ausstellung auch die Geschichte des Gebäudes, in dem das Stadtmuseum beheimatet ist: Es war einst das Münchner Zeughaus, die dort gelagerten Waffen sollten die Wehrhaftigkeit der Stadt sichern. Prompt wurde es zur Revolution 1848 gestürmt. Doch die Revoluzzer stellten fest, dass der Inhalt unbrauchbar für ihre Sache war, weil völlig veraltet.
Zur gründlichen Vermeidung jeglicher Selbstbeweihräucherung sind viele Inhalte des Museums mit Kommentaren berühmter Zeitgenossen illustriert – durchgehend vernichtend.
Sehr beachtlich fand ich die Teilausstellung „Kasperl im Klassenkampf. Eine Revue“, die anhand von Elementen aus Lion Feuchtwangers Roman Erfolg München von etwa 1900 bis zum Nationalsozialismus zeigt. Diese künstlerische Blütezeit stellen die Kuratoren fast ohne Tiefstapelei dar, nennen lediglich sachlich die Herkunftsorte ihrer Protagonisten: Sie liegen nahezu ausschließlich weit weg von München. Zum Thema Jugendstil (nu ja, zumindest das Wort geht auf eine in München erschienene Zeitschrift zurück) gibt es eine ganze Reihe beeindruckender Exponate.
Eine eigene Abteilung bekommen „Viktualien“. Doch nicht mal die Münchner Kulinarik kommt historisch gut weg. Zwar weist eine Tafel darauf hin, dass in den 80ern die deutsche Küche von München aus revolutioniert worden sei, macht das aber korrekt an der Einzelperson des Österreichers Witzigmann fest.
Sollte ich mal wieder ein Beispiel dafür brauchen, dass es auch in Deutschland virtuoses Understatement gibt: Ich würde das Münchner Stadtmuseum nehmen.
Dringend zum Museumsbesuch gehört der Museumsladen: Er besteht zur Hälfte aus einem echten Antiquitätenhandel in einem sehr nach Auer Dult aussehenden Stand. UND es gibt im Museumsladem den Münchner Gin Duke zu kaufen, der in der Barer Straße gebrannt wird (Näheres nach Verkostung.)
die Kaltmamsell15 Kommentare zu „München tiefgestapelt“
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7. Januar 2011 um 13:11
und damit hätten wir dann den typisch münchnerischen superlativ wiedergefunden: das tiefstaplerischste stadtmuseum deutschlands.
der gin ist gut – viel spaß damit!
7. Januar 2011 um 13:57
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7. Januar 2011 um 15:33
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7. Januar 2011 um 15:44
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7. Januar 2011 um 15:49
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7. Januar 2011 um 18:10
Manchmal, aber nur ganz selten, steigt in mir der Wunsch nach einem Münchenbesuch auf… Gerade war so ein Moment. Danke! für den tollen Tipp, wenn es mal zu einem Abstecher nach M kommen sollte, werde ich das Museum besuchen; “erfundene Traditionen” recherchiere ich sowieso gleich mal.
Gruß aus der Heimstatt der Pfeffersäcke (die sich auch immer deutlich toller darstellen, als sie realiter sind – im Februar ist Wahl: Pest, Cholera, Regen und Traufe werden auf dem Stimmzettel stehen. Toll.)
7. Januar 2011 um 18:54
Mit etwas bösem Willen, Kommentator, könnte man hinter der Haltung allerdings eine Sonderform der Hybris vermuten, die adelhaid andeutet: München bildet sich ein, es nicht mal nötig zu haben, sich in besonders guten Licht zu präsentieren. Das widerspräche allerdings der sehr aufs Präsentieren ausgerichteten Straßenkultur.
7. Januar 2011 um 22:55
Ich finde den Duke sehr gut.
Gestern habe ich damit eine Weißwein-Fischsoße “gerettet”, weil kein Wermut mehr da war. Also 4 EL Duke statt 2 EL Noilly. Das Ergebnis war sehr lecker.
7. Januar 2011 um 23:55
Hm, vielleicht würde die Nüchternheit des Museums in einer Stadt wie, sagen wir, Frankfurt gar nicht so auffallen, weil man da auch sonst nüchterner ist? Dann könnte man das im Stadtmuseum vielleicht auch nur „auf dem Boden bleiben” statt tiefstapeln nennen? Danke für den Tipp. Und: Ist das Cafe des Museums nicht das Wienerischste Münchens? Aber: Das Frankfurter Stadtmuseum ist sehr, sehr langweilig.
8. Januar 2011 um 9:52
es gibt ein lied vom Weiß Ferdl:
geh schimpfts ma ned über mei München – uns glangts.
als geborener münchner mit ebensolchen vorfahren ist mir sehr wohl bewußt, daß der zuzug ein wesentliches element des “München leuchtet” ist. vielleicht ist dies auch der grund warum M. einerseits laut ZEIT-artikel einen der höchsten ausländeranteile deutscher großstätte besitzt, dies jedoch nicht zu wesentlichen, das gesellschaftliche leben gefährdenden ausgrenzungen führt.
8. Januar 2011 um 10:36
@sebastian: auf jeden fall das wienerischste, gibt dort sogar den FALTER zu lesen. ansonsten heisst es für zugroaste aus wien erstmal durchhalten und umgewöhnen ;-).
8. Januar 2011 um 11:09
Also, als Exilmünchnerin in Berlin finde ich das richtig wohltuend (so wie ich auch jeden Besuch in München wohltuend finde).
Die große graue Stadt hier tut immer so “laid back”, ist aber in Wirklichkeit hautpsächlich großmäulig, anstrengend und dabei noch spießig. Dagegen kommen, summa summarum, auch die netten echten und zugezogenen Berliner, die es vereinzelt gibt, nicht an. Wohingegen München eben einfach München ist und deshalb wunderbar (ein Bekenntnis, das einen natürlich von jeglicher Zeitgemäßheit disqualifiziert).
8. Januar 2011 um 11:14
Liegt das nicht daran, dass München von einem Preußen gegründet wurde, und man immer noch dabei ist, dieses Trauma zu verarbeiten? ;-)
8. Januar 2011 um 16:51
Stimmt, richard, auch wenn München das ein paar Jahrzehnte vergaß und “Hauptstadt der Bewegung” wurde (ein weiteres Kapitel in “Typisch München”). Heute allerdings denkt der Münchner bei “Parallelgesellschaft” eher an Gründwald und Starnberg statt an die nördliche Goethestraße.
10. Januar 2011 um 16:01
Würde Ihre Begeisterung für die Ausstellung in noch höhere Höhen steigen, wenn Sie wüssten, dass sie von einem Augsburger kuratiert wurde? Oder ist das vielleicht sogar der Grund für das, was Sie understatement nennen?